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Menschenrechte, Umweltverschmutzung, Greenwashing - die zunehmende Zahl der Klimaprozesse beruht auf vielen unterschiedlichen Gesetzen. © Depositphotos

Klima-Klagen: Jetzt geht es der Nutztierbranche an den Kragen

Daniela Gschweng /  Klagen gegen klimaschädliche Industrien richteten sich bisher vor allem gegen Gas- und Ölkonzerne. Das ändert sich gerade.

Bedeutende Klimaschutzklagen richteten sich bisher vor allem gegen Staaten oder gegen Öl-, Gas- und Kohlekonzerne. Die Land- und Viehwirtschaft als Verursacher von klimaschädlichen Emissionen kam bisher grösstenteils ungeschoren davon. Das könnte sich bald ändern.

Zwei Wissenschaftler:innen der Yale Law School haben untersucht, wie viele Klagen gegen die Milch- und Fleischwirtschaft sich ums Klima drehen. Noch sind es wenige, mit steigender Tendenz. Laufende und zukünftige Klimaklagen hätten aber gute Chancen, schätzen sie.

Aktuell: New York verklagt JBS

In Sachen Klima laufe auch die Zeit davon, sagen Daina Bray und Thomas Poston in ihrer im «Columbia Journal of Environmental Law» veröffentlichten Arbeit. Gesetze allein könnten die Klimakrise zwar nicht lösen, aber bei ihrer Bekämpfung hilfreich sein. Bisherige Klagen gegen «Big Oil» seien für die klagenden Parteien oft positiv ausgegangen.

Was aktuell an US-Gerichten geschieht, gibt ihnen recht. Im Februar 2024 verklagte der Staat New York JBS, den grössten Fleischverarbeiter der Welt, wegen Greenwashings.

Trotz angekündigter Pläne, bis 2040 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, wolle JBS USA seine Produktion hochfahren. Damit täusche das Unternehmen die Öffentlichkeit, begründete Generalstaatsanwältin Letitia James. Das sei Greenwashing und gefährde die Zukunft künftiger Generationen.

Produzenten emittieren so viel wie Exxon und Shell

Warum es bisher noch nicht zu grossen Prozessen um die Fleisch- und Milchproduktion gekommen sei, sei verwunderlich, finden Bray und Poston. Die grössten Produzenten verursachten immerhin Emissionen, die mit denen von Shell und Exxon vergleichbar seien. Je nach Quelle verursache die Nutztierhaltung zwischen 12 und 20 Prozent der globalen Klimagas-Emissionen und etwa 8 Prozent der Klimagase der USA.

Der Titel ihrer Auswertung, «The Methane Majors», ist angelehnt an die Bezeichnung «Carbon Majors», die der Klimawissenschaftler Richard Heede vor zehn Jahren für die 90 grössten CO2-Emittenten der Welt verwendete. Das heisst, nur wenige Superemitter verursachen das Gros der klimaschädlichen Emissionen.

Methan wird nicht einmal detailliert gemonitort

Methan ist ein kurzlebiges, aber potentes Klimagas. Es verursache 30 Prozent der globalen Erwärmung, erklären die Autor:innen in der ausführlichen Einleitung. Ein Drittel der US-Methan-Emissionen stamme aus der Viehwirtschaft, diese sei auch die Hauptquelle von Lachgas (Distickstoffmonoxid, N2O).

Das im Klimakontext oft übersehene Lachgas ist 265-mal so klimaschädlich wie Kohlendioxid und verbleibt etwa 120 Jahre in der Atmosphäre. Methan ist auf 20 Jahre gerechnet etwa 80-mal so schädlich wie CO2, verliert nach zehn bis zwölf Jahren aber seine klimaschädliche Wirkung.

Weniger Nutztiere, vor allem weniger Rinder, zu halten ist nach übereinstimmender wissenschaftlicher Meinung ein zwingendes und relativ einfach umzusetzendes Mittel, um weniger Klimagase zu produzieren. Davon würden auch die Artenvielfalt oder die Gewässerqualität profitieren.

Dennoch ist über die Emissionen der Land- und insbesondere der Viehwirtschaft in den USA wenig bekannt. Sie werden von der US-Umweltbehörde EPA nicht detailliert gemonitort und sind auch nicht gedeckelt (Infosperber: «Geheimsache Kuhrülpser»).

«Die Emissionen der Tierhaltung sind unterreguliert und werden von der Klimapolitik nur unzureichend berücksichtigt», sagt Bray gegenüber «Inside Climate News» (ICN).

Den US-Auftakt machte Montana

Die ersten Gerichtsverhandlungen zu Klimaklagen in den USA fanden erst kürzlich statt. «Inside Climate News» führt als Beispiel ein Urteil im Bundesstaat Montana auf. Das Gericht stellte fest, dass der Staat die Rechte junger Menschen verletze, wenn er die Klimawirkung von Projekten zur Förderung fossiler Brennstoffe ignoriere.

Weltweit gibt es seit einigen Jahren Klimaklagen gegen grosse Lebensmittelhersteller. Der «Guardian» beobachtet gar eine Klageserie, die die Zeitung auf ein wachsendes öffentliches Bewusstsein zurückführt.

Eines der jüngsten Urteile: Das oberste Gericht Neuseelands stellte im Februar die Rechtmässigkeit einer Klimaklage der Maori gegen Fonterra, den grössten Molkereikonzern des Landes, und sechs weitere Unternehmen fest. Die indigenen Maori machen geltend, dass der von deren Klimagasen mitverursachte Klimawandel ihre Küstengebiete bedrohe. Weitere Klagen gibt es in Grossbritannien, Italien, Pakistan und der Türkei.

Bisher wird vor allem in Europa wegen des Klimas verklagt

Die meisten juristischen Auseinandersetzungen mit Produzenten aus Milch- und Viehwirtschaft gibt es bisher in Europa. Die Länder der EU gehen vor allem gegen wolkige Umweltversprechen der Konzerne schärfer vor.

Viel Aufsehen erregte 2022 ein Urteil zu Europas grösstem Schweinefleischproduzenten Danish Crown. Das Unternehmen hatte sein Schweinefleisch als «klimakontrolliert» bezeichnet und behauptet, der Verzehr sei gut für das Klima. Das führe die Öffentlichkeit in die Irre, urteilte das oberste Gericht von Dänemark. Geklagt hatten mehrere Nichtregierungsorganisationen. 

Konsument:innen legten zunehmend Wert auf nachhaltigere Produkte, schreibt der «Guardian» und stützt sich dabei auf Umfragen. Entsprechend kritisch seien vollmundige Umweltversprechen der Hersteller zu beleuchten. Er erwarte, dass Greenwashing in den nächsten fünf Jahren ein zentrales Thema sein werde, sagt Todd Paglia, Geschäftsführer der gemeinnützigen Umweltorganisation Stand.earth gegenüber dem «Guardian».  Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP beobachtet insgesamt einen Anstieg von Klima-Klagen.

«Gute Erfolgsaussichten» für künftige Klimaklagen

Die Columbia Law School hat auf dieser Internetseite alle ihr bekannten Klagen und Beschwerden zu Fragestellungen des Klimas in- und ausserhalb der USA mit Links und Kurzbeschreibungen veröffentlicht. Dort findet sich zum Beispiel auch eine Beschwerde des Schweizer Konsumentenschutzes beim Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO) über Werbung des Babynahrungsherstellers Hipp. Hipp hatte seine Breigläschen als «klimapositiv» beworben.

Für zukünftige und noch offene Klagen sehen Bray und Poston gute Erfolgsaussichten, denn der juristische Handlungsspielraum sei gross. Die Klagenden berufen sich auf ein ganzes Bündel verschiedener Gesetze. Es gibt Verbraucherschutzklagen wie in New York und Greenwashing-Prozesse wie in Dänemark. Geklagt wurde aufgrund von Umweltgesetzen, wegen Verstössen gegen Menschenrechte, Umweltverträglichkeitsrichtlinien und Transparenzvorschriften. 196 der 231 von der Columbia Law School erfassten Klagen richten sich gegen Unternehmen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Eine Meinung zu

  • billo
    am 16.05.2024 um 13:55 Uhr
    Permalink

    Danke für diesen Artikel!
    Und wie sieht das in der Fischzucht aus? Die im Artikel genannte Datenbank der Columbia Law School enthält zwei Klagen gegen Aquakulturprojekte:
    – gegen die Genehmigung von 56 Aquakulturanlagen in Bundesgewässern und
    – gegen die Genehmigung einer Vergrösserung der Muschel-Aquakulturen, die Seegraswiesen zerstört, welche Küsten stabilisieren und CO2 speichern.

    Grundsätzlich gilt, dass für den europäischen und nordamerikanischen Markt überwiegend Raubfischarten gezüchtet werden, für deren Fütterung eine spezialisierte Fischerei riesige Mengen von kleineren Arten aus den Meeren gerissen und zu Fischmehl verarbeitet und locker um die halbe Welt transportiert werden. Eine wirklich «klimaneutrale» Zucht von Lachs, Forelle, Dorade, Zander, Wolfsbarsch & Co bleibt eine reine Werbebehauptung, zumindest solange, als das Futter nicht aus lokal gewonnen Rohstoffen besteht und die Produkte möglichst regional vermarktet werden.

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