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Noch immer sind Insekten als Plagen gefürchtet. Die Menschheit sollte sich aber zunehmend Sorgen um ihr Verschwinden machen. © Cockroach Facts/Flickr

Insekten verschwinden rasant – auch in Schutzgebieten

Daniela Gschweng /  Selbst in üppigen tropischen Wäldern nimmt die Zahl der Insekten ab – und damit auch die der Vögel und Reptilien.

Ihm bleibe nichts anderes, als den Verlust zu beklagen, sagt Daniel Janzen, das sei mittlerweile seine Hauptrolle neben seinem Beruf als Evolutionsbiologe. Der Wissenschaftler beobachtet die Insekten an seinem Wohnort in Costa Rica schon sein ganzes Leben lang. Heute mag er sie kaum mehr zählen. Auch andere Wissenschaftler würden am liebsten gar nicht mehr hinsehen.

Sogar in abgelegenen, geschützten Gegenden wie dem Schutzgebiet, in dem Janzen lebt, geht die Zahl der Insekten dramatisch zurück. Der Grund: Die Klimakrise verstärkt andere menschliche Einflüsse, die Insekten ohnehin das Leben schwer machen. Sie beeinflusst die jahreszeitlichen Schwankungen und macht sie teilweise unberechenbar. Wissenschaftler warnen vor dem Kollaps ganzer Nahrungsketten.

Auf den ersten Blick wuselndes Leben

Oberflächlich betrachtet grünt und wuselt es noch immer im Nationalpark Guanacaste im Dschungel von Costa Rica, berichtet der «Guardian». Janzens Heim liegt in einem Gebiet, das weit von menschlicher Zivilisation entfernt und dicht bewachsen ist – ideal, um das Pflanzen- und Tierleben in den Tropen zu beobachten.

1978 stellte der Wissenschaftler zum ersten Mal eine Lichtfalle auf, bestehend aus einem Leintuch und einer Kamera. Lichtfallen sind eine in der Wissenschaft gebräuchliche Art, Insekten zu zählen. In der Station gab es jeden Abend für zwei Stunden Strom. Die Hauswand der Forschungsstation, die währenddessen von einer 25-Watt-Birne angestrahlt wurde, war jeden Abend voller Insekten. «Zehntausende», sagt Janzen. Auf den Fotos sah man das Leintuch kaum mehr. Andere Forschende identifizierten darauf 3000 Insektenarten.

Selbst im Tropenwald ist es stiller geworden

Über die Jahre wiederholte Janzen seinen Versuch. Inzwischen ist er 86 und lebt mit seiner Frau, der Tropenökologin Winnifred Hallwachs, noch immer im Nationalpark, der damals La Rosa hiess und heute Guanacaste heisst.

Heute lassen sich nur noch einige wenige Motten im Lichtkegel nieder. Das Insektensterben ist in Costa Rica angekommen. Hallwachs und Janzen bemerken, wie es stiller wird, weil es nicht mehr überall summt. Sie sehen dass die Insekten nun weniger Spuren hinterlassen. Unbeschädigte Blätter, die früher bis zum Stiel abgefressen waren, beispielsweise.

Guardian Lichtfalle Costa Rica
Einst war alles schwarz von Insekten – eine von Daniel Janzen und Winnie Hallwachs 2019 aufgestellte Lichtfalle.

Insektensterben weltweit

«In den Teilen Costa Ricas, die stark von Pestiziden betroffen sind, sind die Insekten völlig ausgerottet», sagt Hallwachs zum «Guardian». «Aber was wir hier in den geschützten Gebieten sehen – die, soweit wir das beurteilen können, sogar frei von zerstörerischen Insektiziden und Pestiziden sind – selbst hier geht die Zahl der Insekten erschreckend und dramatisch zurück.»

Weltweit geht die Insektenbiomasse jährlich um 1 bis 2,5 Prozent zurück. Das ist eine konservative Schätzung – einige Forschende nennen Zahlen von bis zu zehn Prozent.

Wer den Zinseszins-Effekt kennt, kann ausrechnen, dass es spätestens 2047 nur noch die Hälfte des Insektenreichtums von 1978 geben wird – dem Jahr, in dem Janzen seine Messungen begann. Das heisst, falls sich das Insektensterben nicht beschleunigt und es bei 1 bis 2,5 Prozent bleibt. Danach sieht es aber nicht aus. Nach einer Schätzung des Weltbiodiversitätsrat IPBES ist ein Zehntel aller Insektenarten bedroht.

Bekannte Gründe: Pestizide und Habitatverlust

Flächendeckende Untersuchungen gibt es nicht. Forschung konzentriert sich oft auf einzelne, besser sichtbare Arten wie die amerikanischen Monarchfalter. Seit Beginn des Jahrhunderts ist ihre Anzahl um mehr als ein Fünftel zurückgegangen, bei anderen Schmetterlingsarten ist der Rückgang teilweise noch drastischer. Nach einer Übersichtsstudie von 2018 nimmt die Population von 41 Prozent der Insektenarten weltweit ab, ein Drittel galt 2018 als vom Aussterben bedroht.

Zählungen aus Schutzgebieten in Deutschland, die 2017 veröffentlicht wurden, legen nahe, dass die Zahl der Fluginsekten in weniger als 30 Jahren mindestens um drei Viertel (75 Prozent) abgenommen hat. In den USA wurden über einen Zeitraum von 45 Jahren 63 Prozent weniger Käfer gezählt. Auch Costa Rica ist stark betroffen: Die Insektenmasse sei dort seit den 1970er-Jahren auf einen Sechzigstel zurückgegangen, schreibt der «Guardian».

Bisher waren die Gründe meist in der Nähe zu finden, in Form von Lichtverschmutzung zum Beispiel. Pestizide und Düngemittel sowie der Platzbedarf der industriellen Landwirtschaft haben den Lebensraum von Insekten verkleinert. Zahl und Artenvielfalt nahmen ab. Was die beiden Forschenden in Costa Rica beobachteten, war jedoch neu: ein deutlicher Einbruch der Insektenpopulation in einem abgelegenen Gebiet.

Neue Probleme: Die Klimakrise und das Wasserproblem

Hauptgrund dafür ist die Klimakrise, stimmen Wissenschaftler:innen weltweit grösstenteils überein. Ein Ökosystem sei wie eine Schweizer Uhr, erklärt Hallwachs. Jedes Detail trage zum Funktionieren bei: die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit, das Wachstum der Pflanzen. Vor allem Beginn und Ende der Jahreszeiten hätten einen grossen Einfluss auf das Gesamtsystem. Genau diese aber verschieben sich.

Seit 1963 habe sich die Trockenzeit in der Gegend von vier auf sechs Monate verlängert. Damit kämen viele Insekten nicht mehr zurecht. «Insekten können kein Wasser halten», erklärt David Wagner, ein Wissenschaftler aus den USA. Sie haben keine Lungen, sondern sogenannte Spirakel – kleine Atemöffnungen auf der gesamten Körperoberfläche, die die Atmung gewährleisten. Schon eine Dürre, die nur wenige Tage andauere, könne Millionen Insekten töten.

«Wir befinden uns an einem neuen Punkt in der Geschichte. Ich denke, dass der Klimawandel andere Einflüsse [auf Insekten] jetzt bei weitem übertrifft.»

David Wagner, US-Evolutionsbiologe

Bis vor fünf Jahren sei der Verlust von Lebensräumen das grösste Problem für Insekten gewesen. Nun habe das sich verändernde Klima andere menschliche Einflüsse deutlich überholt – eine historische Veränderung.

Auch andere Tierarten gehen zurück

«Ich komme gerade aus Texas zurück, und es war die erfolgloseste Forschungsreise, die ich je unternommen habe», erzählt Wagner den Journalistinnen und Journalisten. Dort gebe es «einfach kein nennenswertes Insektenleben mehr». Es habe kaum noch Eidechsen, und er habe während seines Ausflugs keine einzige Schlange gesehen.

Das trifft auch anderswo zu: In einem Waldgebiet in Panama hat sich der Bestand der meisten Vogelarten seit den 1970er-Jahren halbiert. Den USA fehlen seither etwa drei Milliarden Vögel, 2,9 Milliarden davon ernährten sich von Insekten. Ähnliches berichteten Forschende aus Brasilien und Ecuador, schreibt der «Guardian».

Im Urwald von Puerto Rico gibt es weniger Frösche, Eidechsen und Vögel. Janzen erzählt dazu eine traurige Geschichte: Hinter seinem Haus in Costa Rica lebt eine Kolonie von Fledermäusen, die sich von Nektar ernähren. Aber die Blumen, von denen sie abhängig seien, blühten nun nicht mehr. In nur fünf Tagen habe er drei tote, abgemagerte Fledermäuse gefunden.

Die ganze Nahrungskette steht auf dem Spiel

«Wir sprechen davon, dass fast die Hälfte des Lebensbaums in einem einzigen Menschenleben verschwindet. Das ist absolut katastrophal», sagt er. Wagner ist etwas optimistischer: «Ich glaube, dass wir eine nachhaltige Zukunft aufbauen werden», sagt er. Das werde aber «30 oder 40 Jahre» dauern. Für viele Lebewesen sei es dann zu spät. In seinem letzten Lebensjahrzehnt wolle er dennoch alles tun, um die letzten Tage vieler dieser Lebewesen zu dokumentieren.

Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler täten auch das nicht mehr, sagt Hallwachs. «Einer unserer sehr guten Freunde hat nicht mehr den Mut, nachts ein Tuch aufzuhängen, um Motten zu sammeln», sagt sie. Es sei zu frustrierend für ihn, zu sehen, wie wenige es seien.


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