Kommentar

kontertext: Hymne auf die fremde Welt der Moore

Johannes Kaiser ©

Johannes Kaiser /  Moore stinken und sind gefährlich? Sie sind auch heilsame Wunderwelten.

Moore sind geheimnisvoll, verwunschen und unheimlich. Irrlichter tanzen bisweilen über ihre schwarzen Wasser, locken Wanderer ins Verderben. Die Literatur ist voller Gruselgeschichten, die im Moor spielen. «O schaurig ist’s übers Moor zu gehen», dichtete Annette von Droste-Hülshoff.

Doch es gibt auch begeisterte Fans. So ist die kanadisch-amerikanische Schriftstellerin Annie Proulx seit ihrer Kindheit von Mooren fasziniert. Jetzt hat die Moorliebhaberin und engagierte Umweltschützerin, die sich für den Erhalt der Moore weltweit einsetzt, ein Buch über Moore geschrieben.

Allerdings hat die 88-Jährige ihre Begeisterung für die wundersamen morastigen Welten diesmal nicht in einen Roman gepackt, wie man das bei ihr eigentlich erwartet hätte, sondern in eine Art Sachbuch. Das ist für die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Schriftstellerin eine ungewöhnliche Wahl. Doch sie lässt sich einfach erklären.

Die Schönheit der Moore

Von klein an liebte die engagierte Naturfreundin die unglaubliche Vielfalt der Moore mit ihren Pflanzen und Tieren. Staunend beschreibt sie die Schönheit der Moose, malt mit Worten ihre feinen Farbnuancen. Sie freut sich an der bunten Pracht der Libellen, bewundert die lautstarken Konzerte oftmals tausender Vögel, die in den Feuchtgebieten Rast machen, um wieder Kraft zu schöpfen. Immer wieder feiert sie deren extreme Artenvielfalt, die es für sie mit jedem Regenwald und jedem Korallenriff aufnehmen kann. Sie lässt vor unseren Augen eine Welt entstehen, die wohl vielen von uns unbekannt ist, denn Moore sind selten geworden.

Für Annie Proulx gleichen Moorgebiete einem Buch mit Tapetenmustern, jedes – so schreibt sie – «weist einen eigenen Aufbau und Charakter auf – manche sind kaum mehr als Wasser und Schilf, andere üppige, vielfältige Landschaften mit Farben, von deren Existenz wir modernen Städter nichts wussten.» Immer wieder finden sich poetische Beschreibungen solcher Feuchtgebiete, zitiert sie Gedichte oder Erzählungen, historische Beschreibungen längst untergegangener Landschaften.

Feuchte Klimaschützer

Die Schriftstellerin bringt uns aber nicht nur die aussergewöhnliche Natur nahe, eindringlich weist sie auch auf deren Nützlichkeit hin. Moore, das hat die Klimawissenschaft inzwischen vielfach bewiesen, sind perfekte, reichhaltige CO₂-Speicher. Ihr Abbau, wie er immer noch in vielen Ländern fortgesetzt wird, wie zum Beispiel in Indonesien für den Palmölanbau, setzt unglaubliche Mengen an Methan und Kohlenstoff frei. Nicht weniger gefährlich ist die Vernichtung von Mangrovenwäldern für die Anlage von kommerziellen Garnelenfarmen. Das setzt die Küstengemeinschaften heftigen Überflutungen durch zunehmende Tropenstürme aus. Angesichts des steigenden Meeresspiegels eine katastrophale Entwicklung.

Annie Proulx wettert wütend dagegen. Wichtig wäre, sagt sie, vielmehr eine Wiedervernässung trocken gelegter Moorflächen, denn die verhindern nicht nur die Freisetzung klimaschädlicher Gase, sondern entziehen auf lange Sicht der Atmosphäre erhebliche Mengen CO₂.

Heftig attackiert Annie Proulx alle Formen der Vernichtung von Feuchtgebieten – egal, wo auf der Welt. Das reicht von klassischen Mooren über Regenwälder bis zu Mangrovenwäldern. Da zeigt sie sich in ihrem ersten, eher allgemein politisch gehaltenen Kapitel als heftige Kämpferin für Natur- und Klimaschutz. Die Schriftstellerin greift Klimaleugner wie Trump direkt an und lobt Gerichtsurteile zum Erhalt natürlicher Ökosysteme.

Gesundheitsgefahren

Sehr deutlich malt sie die enormen Gefahren aus, wenn durch die Erderwärmung zum Beispiel in Sibirien die Permafrostböden auftauen und riesige Mengen an Methan und CO₂ freisetzen und damit den Klimawandel forcieren. Sie erinnert an die Warnungen der Wissenschaft, dass jede Vernichtung von Feuchtgebieten letztlich auch dazu führt, dass wir mit den von dort verdrängten Tieren auch deren Viren und Bakterien stärker ausgesetzt sind.

Wissenschaft übersetzt

Für ihr Buch hat sie sich durch zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen zur Moornatur gearbeitet, auf die sie auch immer wieder Bezug nimmt. Aber ihr war wichtig, die Fachterminologie so zu übersetzen, dass auch ein jeder sie versteht. Nicht immer ist das gelungen. Manchen Begriff muss man schon noch nachschlagen.

Deutlich arbeitet sie heraus, welche Moortypen es gibt, nämlich Niedermoore, Hochmoore und Waldmoore, und widmet ihnen jeweils ein umfangreiches Kapitel. Dabei mischt sie ihre biologisch exakten Beschreibungen mit historischen Berichten von früheren Naturforschern und verweist gleichzeitig auf die Erkenntnisse aktueller Umweltstudien.

Zwischendrin kommen Poeten und Schriftstellerinnen zu Wort. Sie springt dabei durchaus zwischen den Zeiten hin und her oder greift bereits Gesagtes in anderem Zusammenhang wieder auf.

Sie verschweigt bei aller Begeisterung nicht die negativen Seiten der Moore, die Malaria, Sumpffieber oder extremen Gestank durch aufsteigende Faulgase beherbergen und deswegen auch immer wieder zur Forderung nach Entwässerung beitrugen.

Nicht zu vergessen, so Proulx, dass damit stets auch wirtschaftliche Interessen verbunden sind und waren. Die Inbesitznahme des entwässerten Landes verspricht kräftige Gewinne.

Geschichten aus der Geschichte

Gerne schweift die Schriftstellerin auch in Randgebiete ab, erzählt, wie zum Beispiel Rom die damalige Welt eroberte und die Völker unterwarf, aber in Germanien scheiterte. Die Cherusker und die mit ihnen verbündeten Stämme schlugen die römischen Legionen im Teutoburger Wald vernichtend, unter anderem weil die germanischen Kämpfer die Soldaten in eine Moorlandschaft abdrängten. Ausführlich spekuliert Annie Proulx über die oftmals gewaltsamen Tode vieler Moorleichen. Wie sie berichtet, sind für Archäologen Moore perfekte Archive, denn sie bewahren Jahrtausende alte Alltagsgegenstände ebenso wie Tiere und Menschen nahezu unversehrt auf und verraten uns viel über das Leben unserer Vorfahren.

Staunend folgt man Annie Proulxs historischen, geographischen, biologischen und poetischen Erkundungen der Moore. Es ist eine Hymne auf eine fremde, vielgestaltige Welt, eine poetische Entdeckungsreise. So ein Moorbuch hat es noch nie gegeben.

Annie Proulx: Moorland – Plädoyer für eine gefährdete Landschaft,
aus dem Amerikanischen Thomas Gunkel, Luchterhand, 2023, 253 Seiten, 24 €


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Keine
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

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