Radioaktiver Abfall

Wohin mit dem radioaktiven Abfall? © Depositphotos

PR-Aktion der Atomlobby: Eine Reise nach Finnland zu gewinnen

Marcos Buser /  Die Nagra lanciert jetzt einen Namenswettbewerb. Doch das Endlager im Zürcher Unterland ist noch gar nicht endgültig beschlossen.

Red. Marcos Buser ist Geologe, Abfallspezialist und Mitglied der Stiftung 5RSt-Ursanne für Kreislaufwirtschaft. Ein Gastbeitrag.

«Das Schweizer Jahrhundertprojekt ‹Tiefenlager› braucht einen Namen – und ihr könnt mitentscheiden!» Diesen Aufruf verbreitete am 26. August 2025 die Regionalkonferenz Nördlich Lägern. Sie ist die öffentliche Diskussionplattform für das Endlager des schwach- und mittelradioaktiven Atommülls aus der Schweiz. 

Der Aufruf präzisierte: Gesucht werde ein Name, «der Verantwortung, Sicherheit und Zukunftsorientierung» vereine und «die Identität dieses einzigartigen Projekts» präge. «Gib dem Schweizer Tiefenlager einen Namen – und vielleicht führt dich deine Idee nach Finnland!»

Die Nagra ruft auf, für das Atommülllager einen schönen Namen zu finden.

Auch die Nagra ruft zum gleichen Namenswettbewerb: «Schritt für Schritt arbeiten wir auf die Realisierung des Schweizer Tiefenlagers hin. Und je näher die rückt, desto stärker wird der Wunsch, dem ‹Kinde› einen Namen zu geben. Einen Namen der aus der Bevölkerung kommt», ist in der Nagra-News zu lesen. 

Auch die Nagra bezieht sich auf Finnland: Das finnische Tiefenlager trage den Namen «Onkalo», auf Deutsch: kleine Höhle. «Wie soll denn das Schweizer Tiefenlager heissen?» Das «Namensforum Tiefenlager Schweiz» sammle bereits Ideen. Dann folgte ein Aufruf mitzumachen. Wer es beim Namenswettbewerb in die Top 5 schaffe, gewinne eine Reise nach Finnland – in einem Klein-Jet.

«Zynischer Marketing-Trick»

Die Reaktionen auf diese Idee liessen nicht auf sich warten. Das Unabhängige Schweizer Begleitgremium Tiefenlager USBT um den Physiker Harald Jenny antwortete noch am gleichen Tag: «Den Menschen im Zürcher Unterland soll die gefährlichste Anlage der Schweiz mit einem hübschen Etikett verkauft werden. Als Krönung dürfen die Betroffenen den Namen gleich selber aussuchen – ein zynischer Marketingtrick.» Was hier ablaufe, sei «kein Dialog, sondern ein PR-Manöver.» «Statt der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen, sollte die Nagra echte Alternativen prüfen.» 

Es fällt auf, dass nicht nur die Nagra und eine bekannte pro-atomare Kommunikationsberaterin in der Namensgebenden-Jury sitzen, sondern auch noch ein Vertreter der Baudirektion des Kantons Zürich. Dass sich der Kanton hinter eine PR-Aktion stellt, statt den Entscheidungsprozess unabhängig zu begleiten und zu überprüfen, weckt Befürchtungen, dass die erforderliche Distanz zwischen Projektträger und öffentlicher Hand in einem Risikoprojekt dieser Dimension einmal mehr fehlt. 

Überstürztes Vorgehen …

Wie schon oft in der Vergangenheit, ist das Vorgehen der Nagra auch in diesem Fall überstürzt. Das Überprüfen des Rahmenbewilligungsverfahrens durch die Sicherheitsbehörden ist noch voll im Gang und dürfte weitere zwei Jahre, wenn nicht länger dauern. Bis zum Abschluss des Prüfverfahrens, der Genehmigung des Projektes durch den Bundesrat und zur wahrscheinlichen Volksabstimmung über das Endlager dürften weitere Jahre vergehen. Gewiss bis 2031.

Es entsteht der Verdacht, dass der Namenswettbewerb das Endlager als bereits gegeben darstellen will.

Doch die Nagra kann davon ausgehen, dass die Aufsicht ihr Rahmenbewilligungsgesuch – mit Auflagen – absegnet. Diese Einschätzung lehnt sich an die historischen Erfahrungen an. Denn es gibt kein Endlagerprojekt, das in den letzten 50 Jahren von den Aufsichts- und politischen Behörden abgelehnt wurde. 

Eine Bewilligung heisst noch nicht, dass solche Projekte im Nachgang nicht scheitern, So geschehen etwa beim Gewährprojekt im kristallinen Grundgebirge der Nordostschweiz in den 1990er-Jahren oder beim Endlagerstandort Wellenberg im Kanton Nidwalden Es scheiterte trotz Bewilligung aufgrund seiner mässigen geologischen Eignung und dem starken Widerstand der Bevölkerung.

Mit dem Aufruf zur Namensgebung setzt die Nagra einen Pflock und stellt den Standort «Nördlich Lägern» schon jetzt als definitiv hin. Sie will ein Markenzeichen prägen, das unauslöschbar für den weiteren Verlauf des Projektes stehen soll. Eine Art Flagge also, mit der für das Endlager geworben werden kann. 

… mit offenem Ende

Ob die Rechnung tatsächlich aufgeht, ist zweifelhaft. Zum einen sind die Platzverhältnisse für die beiden Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle schon jetzt äusserst knapp. Sollten die Pläne von Bundesrat Rösti zur Wiedereinführung der Atomenergie aufgehen, wird der Platz im Untergrund für das gesamte Atommüllinventar mit Sicherheit nicht reichen. Dann wird mit der Standortsuche wieder von vorne begonnen werden müssen. 

Zum anderen muss damit gerechnet werden, dass weitere geologische wie auch nicht geologische Überraschungen am Standort «Nördlich Lägern» auftauchen, die das Projekt grundsätzlich in Frage stellen. Denn auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse und der technische Fortschritt und Wandel in einem solchen Jahrhundertprojekt dürften sich fundamental ändern. 

Dies zeigt sich bereits bei den heutigen Entwicklungen von Transmutationsreaktoren wie jenem der Firma Transmutex in Genf. Sollte die Wiederverwendung und Verwertung des hochradioaktiven Mülls in einem solchen Reaktor bis in knapp 15 Jahren gelingen – was heute als realistisch gilt –, bräuchte es kein Endlager für diese Abfälle mehr. Die schwach- und mittelradioaktiven Abfälle könnten anders und besser entsorgt werden. 

Die Nagra täte darum gut daran, für den Umgang mit dem Atommüll «Schritt für Schritt» auch Alternativen zu erarbeiten, falls sie eines Tages ohne Endlager dasteht. 


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2 Meinungen

  • am 7.09.2025 um 12:47 Uhr
    Permalink

    Finnisches Atomlager ONKALO (= finnisch für kleine Höhle – wie nett!) – wie wärs mit folgendem Namen für ein Schweizer Endlager: HELVETTI (= finnisch für Hölle)?

  • am 7.09.2025 um 19:20 Uhr
    Permalink

    Hienoa! Mahtavaa! denkt sich der Finnland-Liebhaber, freut sich schon auf den Flug über den finnischen Meerbusen und setzt sich sogleich in seinen mit einem dreifachen Containment ausgestatteten Kreativitäts-Reaktor, um in diesem NAGRA-Contest zu reüssieren. Das vorläufige Resultat:
    – End-Lägerli
    – Grotte zum ewigen Radionuklid
    – Halbwertszeit-Mausoleum
    – Seh ich dich im Strahlenmeer
    Nur, ein Zweifel mischt sich in die Benamserei: Wissen die Ausserirdischen in 100’000 Jahren die entsprechenden Flurnamen richtig zu deuten?

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