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Aufbau einer modernen Forschungsanlage der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft (ZHAW) in Winterthur. © ZHAW

Auf Schweizer Solardächern schlummert eine Öko-Oase

Daniela Gschweng /  Grüne Solardächer leisten einen erheblichen Betrag zur Artenvielfalt. Und das ist nur einer ihrer Vorteile.

Solarstrom vom Dach wird in den nächsten Jahren für einen Schub der Biodiversität sorgen. Wenn alles nach Plan verläuft, zumindest. Bis 2050 müsste ein Viertel der Schweizer Dachflächen mit Solarpaneelen versehen sein, um den Strombedarf zu decken, rechnete die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor.

Die NZZ hat hier visualisiert, wie die Forschenden zu dieser Annahme kommen. Flachdächer sind gut geeignet, weil darauf viele Panels untergebracht werden können, was in der Menge auch günstiger ist.

Wer ein Flachdach umbaut, kommt ums Grün nicht herum

Für Flachdächer gilt in zahlreichen Gemeinden seit Jahren Begrünungspflicht, mit oder ohne Solaranlage. Ein Flachdach hat ausserdem eine begrenzte Haltbarkeit. Nach etwa 30 bis 40 Jahren wird es undicht und muss repariert werden – eine gute Gelegenheit, eine Solaranlage zu installieren. Wenigstens ein dünner Film aus Pflanzensubstrat und Erde muss darauf ausgebracht werden, damit Pflanzen Fuss fassen können. Eine Vorschrift, die bei jedem Neu- und Umbau greift.

«Die Bau- und Nutzungsordnung … sieht vor, Flachdächer, soweit sie nicht begehbar sind und wenn Solaranlagen dies sinnvoll zulassen, ökologisch wertvoll zu begrünen … in der Bewilligungspraxis ist dies ab einer Mindestgrösse von 25 m2 vorzusehen», ist beispielsweise in einer Bauherren-Broschüre aus dem Kanton Aargau zu lesen.

Mit anderen Worten: Alles, was ein Flachdach hat und grösser ist als eine Gartenhütte, muss bei jedem Umbau begrünt werden, sonst gibt es keine Baugenehmigung. Ab 100 Quadratmetern Dachfläche muss der Bauherr weitere Massnahmen ergreifen, die die Biodiversität fördern. Ähnliche Merkblätter gibt es in Luzern und Zug, auch Städte wie Zürich und Basel fordern Begrünung.

An vielen anderen Orten stehe die Begrünungspflicht auf der Traktandenliste, sagt die Schweizerische Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG) auf Nachfrage. Die Bauvorschriften sind Sache der Städte und Gemeinden. Das heisst, an vielen Orten gibt es sie noch nicht. Zurzeit würden noch viele grüne Dächer abgeräumt und mit Kies versehen, um dann eine Solaranlage zu installieren. Darüber berichtete im vergangenen Jahr auch die NZZ.

Wer Sonne vom Dach will, muss erst mal ackern

Die meisten Eigentümer wünschen sich einen niedrigen und pflegeleichten Pflanzenbewuchs – sogenannte extensive Bepflanzung. Auf das Flachdach wird eine dünne Schicht Substratmischung aufgebracht, in der kleinere Pflanzen wachsen können. Grössere Pflanzen gehen auch, dazu braucht es mehr Erde, Pflege, und das Dach muss geeignet sein. Bepflanzt wird in der Regel mit einer Saatmischung, die den Bedingungen auf Dächern angepasst ist.

Begrünung sei schon mit etwas Aufwand verbunden, schreibt Swissolar auf Anfrage. Je nach Lage müsse das grüne Dach ein- bis zweimal jährlich gemäht werden. Sonst könne es sein, dass die Module beschattet oder beschädigt werden und weniger Ertrag liefern. Ein Problem sei auch das Umrüsten von Gründächern auf Solar-Gründächer. Dafür müsse das Substrat oft ganz oder teilweise ausgetauscht werden.

Bei Bauherren kommt die grüne Solaranlage überwiegend gut an

In der Regel komme die Begrünung aber gut an, sagt ein Architekt, der Industriegebäude plant und umbaut. «Bauherren sind meist mehr am Ertrag der Solaranlage als an der Biodiversität interessiert», beschreibt er. «Das ändert sich aber schnell, wenn sie die finanziellen Vorteile sehen.» Dachbegrünung halte zum Beispiel einen grossen Teil des Regenwassers zurück, was die Kosten senke. Je nach Standort gebe es ausserdem Fördermittel. Das Dach und die darunterliegenden Räume sind im Sommer kühler, weil der Pflanzenteppich isoliert und durch Verdunstung kühlt.

Auch die Solaranlage fühlt sich im Grünen wohler

Mindestens 50 Prozent des Regens wird auf Gründächern aufgefangen und gespeichert. Abwasserleitungen können so kleiner ausfallen und die Gebühren sinken. Ein Gründach puffert Starkregen ab und leistet einen Beitrag zur Schwammstadt. Aufgefangenes Regenwasser kann nach und nach wieder verdunsten.

Die Solaranlage profitiert von der Verdunstungskühle. Auf einem nicht begrünten Dach kann es im Sommer bis zu 80 Grad heiss werden, mit Begrünung hat es selten mehr als 30 Grad. Die Leistung eines Solarpanels nimmt ab 25 Grad aber kontinuierlich ab. Jedes Grad weniger bedeutet also etwas mehr Strom. Wie viel mehr, hängt von Standort, Bauweise und einigen anderen Faktoren ab. Wissenschaftliche Arbeiten zum Thema gehen von einem bis zehn Prozent mehr Ausbeute aus.

Flach war gestern

Auch in der Forschung hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Das Bild von flach liegenden oder leicht gekippten Panels, die das Dach bedecken, wird sich vielerorts ändern. Als ideal für Solarflachdächer haben sich nach Forschungen der ZHAW senkrecht aufgestellte, beidseitig aktive (bifaziale) Solarpaneele herausgestellt. Pflanzen mit helleren Blättern haben sich ebenfalls bewährt, weil sie mehr Licht reflektieren als dunkle.

Öko-Oase Solardach

Dass ein Pflanzenteppich nicht nur kühlt, sondern auch CO2 und Feinstaub schluckt sowie Lärm puffert, ist ein weiterer Vorteil von Gründächern. Und wie sieht es mit Gründächern mit und ohne Panels im Vergleich aus?

Ein Studierender der ZHAW hat vor fast zehn Jahren auf Basler Dächern Käfer gezählt, um herauszufinden, wie sich ein Solargründach zu einem «nur» begrünten Dach aus ökologischer Sicht verhält. Er zählte 41 Käferarten auf Gründächern mit und ohne Solaranlagen, neun davon bedrohte Arten, die auf der roten Liste standen.

Auf den begrünten Dächern ohne Solarmodule fanden sich zwar etwas mehr Käfer, die Zahl der bedrohten Arten war jedoch auf beiden etwa gleich hoch. Ein Solargründach ist also eine kleine Öko-Oase, die zur Arterhaltung beiträgt.

Wie gross ist das Öko-Potenzial?

Die Frage, wie gross das Öko-Potenzial für Flachdächer insgesamt ist, ist aber gar nicht so einfach zu beantworten. Wie viele Quadratmeter Schweizer Dächer haben bereits eine Solaranlage und sind noch nicht begrünt? Und wie viele könnten noch hinzukommen, weil der Eigentümer eine Solaranlage bauen will oder weil sie repariert werden müssen? Wie viele Gründächer gehen verloren, weil ein Gründach durch eine Solaranlage mit Kiesuntergrund ersetzt wird? Weder Swissolar noch die Schweizerische Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG/ASV) haben dazu Daten. 

Wer sich Solaranlagen als lebensfeindliche Wüsten vorstellt, liegt aber zunehmend falsch. Wie es mit Solaranlagen auf dem Boden in der Schweiz aussieht, könne man mangels Beispielen nicht sagen, schreibt Swissolar noch. Grössere Freiflächenanlagen gebe es in der Schweiz bisher keine und damit auch keine Schotterwüsten. Es sei denn, man rechne Agri-PV-Anlagen dazu, also Solaranlagen mit kombinierter Landwirtschaft. Diese sind aber bereits eine Doppelnutzung mit Bepflanzung.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

Städtebau

Städtebau und Bauwirtschaft

Bauen im Hinblick auf eine sich verschärfende Klimakrise. Welche Materialien machen Sinn und wieviel Grün brauchen wir. Vorbildliches und weniger Vorbildliches.

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Eine Meinung zu

  • am 25.04.2024 um 11:32 Uhr
    Permalink

    Ich habe vor ca. 20 Jahren das renovierte, extensiv begrünte Flachdach meiner Eltern in Frenkendorf solarifiziert. In der prallen Sonne wuchs fast nichts, nur etwas Mauerpfeffer, im Schatten der Solarpanels etwas mehr, üppig jedoch auch nicht. Die Pflege beschränkte sich auf das Ausreissen gelegentlich aufkeimender Bäume und Zurückschneiden vom Wilden Wein der Fassaden an den Kanten.

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