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Erdölhändler sind gross im Geschäft mit CO2-Kompensationen © freepik

Ein neues Eldorado für Schweizer Rohstoffhändler

Maxime Zufferey /  Der Markt zur Kompensation von Treibhausgas-Emissionen boomt. Vorne dabei sind ausgerechnet Händler von fossilen Energieträgern.

(Red.) Der Autor Maxime Zufferey ist spezialisiert auf das Thema Klimafinanzierung bei Alliance Sud, dem Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik. Sein Artikel ist eine aktualisierte und leicht gekürzte Version des vorher auf der Webseite von Alliance Sud publizierten Textes.  

Erdgas mit dem Etikett «CO2-neutral» oder Beton mit dem Label «Netto-Null»: Die Liste der scheinbar klimaneutralen Konsumgüter ist in den letzten Jahren immer länger geworden. Der buchhalterische Kniff hinter dem CO2-Ausgleich besteht darin, dass ein Treibhausgase emittierender Akteur – sei es ein Unternehmen, eine Einzelperson oder ein Land – dafür bezahlt, dass ein anderer Akteur seine Emissionen vermeidet, verringert oder auf null setzt. So können sich Unternehmen nach ihrem Gutdünken auf dem Markt profilieren, indem sie sich ihren Kunden gegenüber als engagierte Klimaschützer präsentieren, ohne dabei ihre eigenen Emissionen zu senken. Der freiwillige CO2-Markt, der zwischen einem regelrechten Boom und der jüngsten, durch Greenwashing-Vorwürfe ausgelösten Vertrauenskrise hin- und herpendelt, befindet sich an einem Scheideweg.

Exponentielles Marktwachstum

Einerseits ist da die wirtschaftliche Realität eines freiwilligen Kohlenstoffmarktes, der sich allein 2021 auf 2 Mrd. USD vervierfacht hat – mit dem Potenzial, bis 2030 auf 50 Mrd. USD anzuwachsen; er hat das Interesse der grössten Emittenten, allen voran der Rohstoffhändler, geweckt. Dieses exponentielle Marktwachstum ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Privatsektor unter dem Druck steht, immer mehr «Netto-Null»-Verpflichtungen einzugehen, und zum anderen darauf, dass die Kompensation im Gegensatz zur Verringerung des eigenen CO2-Fussabdrucks eine finanzielle und logistische Alternative darstellt. Andererseits häufen sich die vernichtenden Berichte über die mangelhafte Qualität der Projekte des freiwilligen Kohlenstoffmarktes. Darin wird vor der unkontrollierten Entwicklung eines Marktes gewarnt, dessen tatsächliche Auswirkungen auf den Klimaschutz vernachlässigbar bis kontraproduktiv sind.

So haben die ETH Zürich und die Universität Cambridge aufgezeigt, dass nur gerade 12% des Gesamtvolumens der bestehenden Gutschriften in den wichtigsten Kompensationsbereichen – erneuerbare Energien, Kochherde und Backöfen, Forstwirtschaft und chemische Prozesse – tatsächliche Emissionsreduktionen bewirken. Die Investigativjournalismus-Plattform Follow the Money berichtete in Bezug auf das South Pole-Vorzeigeprojekt Kariba von massiv überhöhten Zahlen. Das Zürcher Unternehmen kündigte daraufhin seinen Vertrag als Carbon Asset Developer für das Projekt in Simbabwe. Die NGO Survival International erhob schwere Vorwürfe gegen ein freiwilliges Kompensationsprojekt im Norden Kenias, das auf dem Land indigener Gemeinschaften realisiert wird. Ihre Untersuchung deckte potenziell schwere Menschenrechtsverletzungen auf, die die Lebensbedingungen der Hirtenvölker gefährden.

Was also ist der freiwillige Kohlenstoffmarkt? Eine fehlkonzipierte Marketinglösung und gefährliches Blendwerk, das von der dringenden Notwendigkeit transformativer Klimaschutzmassnahmen des Privatsektors ablenkt? Oder eine echte Geschäftsmöglichkeit zur Unterstützung der Klimaschutzmassnahmen von Unternehmen und eine dringend benötigte milliardenschwere Finanzspritze für Projekte zur Emissionssenkung und zum Schutz der Artenvielfalt in Entwicklungsländern?

Schweiz nimmt Spitzenposition ein

Als Pionierin im bilateralen Handel mit CO2-Zertifikaten unter dem Pariser Abkommen ist die Schweiz eine wichtige Akteurin auf dem Kohlenstoffmarkt, einschliesslich seiner freiwilligen Sparte. Sie ist Herkunftsland des grössten Anbieters von freiwilligen CO2-Zertifikaten, South Pole, und des zweitgrössten Zertifizierers, Gold Standard. Vielleicht noch überraschender ist die Positionierung der Schweizer und insbesondere der Genfer Rohstoffhandelsriesen auf diesem Markt. Sie sind die Flaggschiffe eines Sektors, der ein Rekordjahr nach dem anderen verbucht. Die neuen Investitionen lassen sich aber auch mit dem Potenzial dieses undurchsichtigen Marktes erklären, erhebliche Margen abzuschöpfen und gleichzeitig beim Emissionsausstoss weiterzumachen wie bisher. Ein Markt, notabene, der weder für Preise noch die Verteilung der Einnahmen aus den CO2-Kompensationen eine Regulierung kennt. Gemäss Hannah Hauman, Leiterin des Kohlenstoffhandels bei Trafigura, ist das Kohlenstoffsegment mittlerweile der grösste Rohstoffmarkt der Welt und hat den Markt für Rohöl bereits überflügelt.

So beschloss Trafigura, einer der grössten unabhängigen Öl- und Metallhändler der Welt, im Jahr 2021 ein eigenes Kohlenstoffhandelsbüro in Genf zu eröffnen und das grösste Projekt zur Wiederaufforstung von Mangrovenwäldern an der pakistanischen Küste zu lancieren. Ein Jahr später beläuft sich sein Kohlenstoff-Handelsvolumen bereits auf 60,3 Millionen Tonnen. In seinem Jahresbericht von 2022 deklarierte der Genfer Energiehändler Mercuria nicht nur seine CO2-Neutralität, sondern gab überdies an, dass 14,9% seines Handelsvolumens aus CO2-Märkten bestünden, verglichen mit 2% im Jahr 2021. Anfang 2023 kündigte Mercuria-Mitgründer Marco Dunand die Schaffung von Silvania an, einem Investitionsvehikel mit 500 Mio. USD Kapital, das sich auf natürliche Klimaschutzlösungen (Nature-based Solutions / NbS) spezialisiert. Kurz darauf startete er mit dem brasilianischen Bundesstaat Tocantins das erste Programm zur Senkung von Emissionen aus Abholzung und Waldschädigung mit einem Volumen von bis zu 200 Millionen an freiwilligen Kohlenstoffgutschriften. Nichtsdestotrotz stellen Öl und Gas mit fast 70% immer noch das Hauptgeschäft des Unternehmens dar.

Mercurias Nachbar an den Gestaden des Genfersees, Vitol, der weltweit grösste private Ölhändler, blickt auf eine über zehnjährige Erfahrung auf den Kohlenstoffmärkten zurück und gedenkt, seine Aktivitäten in diesem Bereich auszubauen. Das Unternehmen strebt für den Kohlenstoffhandel ein Marktvolumen an, das mit seiner Präsenz auf dem Ölmarkt vergleichbar ist. Diese lässt sich für das Jahr 2022 auf 7,4 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte pro Tag beziffern, was mehr als 7% des weltweiten Ölverbrauchs entspricht.

Weniger transparent kommuniziert der Rohölhändler Gunvor, der in den kommenden Jahren sein CO2-Handelsvolumen ebenfalls erhöhen will. Dasselbe gilt für Glencore. Der Konzern ist seit vielen Jahren im Bereich von Kompensationszahlungen für die Biodiversität tätig, dem Kern seiner Nachhaltigkeitsstrategie. Glencore schätzte seine Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Jahr 2022 auf 370 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, mehr als das Dreifache des gesamten CO2-Ausstosses der Schweiz.

Diese Unternehmen bezeichnen sich selbst als treibende Kräfte der Transition und beanspruchen für sich, die Entwicklung durch die Integration des CO2-Handels in ihre Portfolios beschleunigt zu haben.

Fakt bleibt: Sie verfolgen eine Doppelstrategie mit Investitionen in sowohl kohlenstoffarme als auch fossile Energieträger, wobei die Bilanz immer noch deutlich zugunsten der fossilen ausfällt. Im Übrigen hat noch keiner dieser Rohstoffhändler seine Abkehr von fossilen Brennstoffen angekündigt, was jedoch unerlässlich ist, will man unter dem im Pariser Abkommen verankerten Temperaturanstieg von 1,5°C bleiben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Unternehmen setzen zur Erfüllung ihrer Klimaverpflichtungen massiv auf Kompensationsgeschäfte und verfolgen so ihre kurzfristigen Gewinnziele, während sie gleichzeitig den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen weltweit verzögern.

Angesichts der fehlenden Regulierung zur Einschränkung der Investitionen in fossile Brennstoffe und klimazerstörende Aktivitäten ist es illusorisch zu glauben, die Rohstoffhandelsbranche könne die Transition herbeiführen und die Ziele seien über den freiwilligen Kohlenstoffmarkt erreichbar. Solange die Unternehmen nicht alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihre eigenen Emissionen zu senken, bleiben naturbasierte Lösungen Greenwashing und die Absichtserklärungen zugunsten der Transition Augenwischerei: Diese Unternehmen geben vor, den Flächenbrand, den sie selbst angefacht haben, zu löschen.

Keine Einigung über freiwilligen Kohlenstoffmarkt an Klimakonferenz

An der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP 28), die Anfang Dezember 2023 in Dubai stattfand, sollten die Weichen für die Zukunft und die Glaubwürdigkeit des freiwilligen Kohlenstoffmarktes gestellt werden. Bei den Verhandlungen ging es insbesondere um die Umsetzung von Artikel 6.4 des Pariser Abkommens, der als einheitlicher Rahmen für einen wirklich globalen Kohlenstoffmarkt dienen könnte. Doch zum Leidwesen des COP-Vorsitzenden Sultan Al Jaber – notabene Geschäftsführer des elftgrössten Öl- und Gasproduzenten der Welt, der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), die gerade ein Kohlenstoffhandelsbüro eröffnet hatte – und der in Rekordzahl anwesenden Lobbyisten für fossile Brennstoffe, wurde keine Einigung erzielt. Die Entscheidung ist auf die COP 29 in Baku im nächsten Jahr vertagt. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen zwei Lagern über die Forderungen nach Transparenz, universellen Regeln und Kontrollen insbesondere über die Verwendung von Emissionsgutschriften verunmöglichten eine baldige Umsetzung.

Die Befürworter des freiwilligen Kohlenstoffmarktes räumen zwar Schwächen ein, sind aber weiterhin davon überzeugt, dass Initiativen zur Selbstregulierung und die Verständigung auf Standards zu glaubwürdigen Kohlenstoffgutschriften führen würden. Den Gegnerinnen und Gegnern genügen Selbstregulierungen nicht. Sie sehen in den CO2-Kompensationen ein potenzielles Ablenkungsmanöver, das den Status Quo zementiert.  


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor arbeitet als Junior Professional Officer bei Alliance Sud mit Spezialgebiet Klimafinanzierung. Sein Artikel war zuerst bei Alliance Sud publiziert worden – auf Französisch und in der Übersetzung auf Deutsch
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 4.01.2024 um 11:24 Uhr
    Permalink

    Vor über 50 Jahren haben die Blumenkinder das Problem erkannt und die industrielle Umweltzerstörung sowie die Ressourcenverschwendung der Konsumgesellschaft als Haupttreiber bezeichnet.
    Mir scheint als ob die Verursacher dank CO2 Zertifikat ihre schrumpfenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft kompensieren können um sich dann als Retter (zb. Al Gore) aufzuspielen.
    Die Politik macht natürlich mit um ihren Wanderzirkus zu rechtfertigen.
    Somit hoffe ich, dass Maxime Zufferey im nächsten Artikel den letzten Satz genauer untersucht.
    Mit bestem Dank an Herrn Gasche (und Team) für den lesenswerten Sperber.

  • am 4.01.2024 um 12:30 Uhr
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    Es gibt eine schöne kurze Geschichte von Bertolt Brecht EINE KLEINE VERSICHERUNGSGESCHICHTE die die Fähigkeit des Kapitalismus noch aus dem kleinsten Elend, aus der kleinsten gutgemeinten Geste brutal Gewinn zu schlagen, humorvoll illustriert. Natürlich sind CO2-Kompensationen ein Ablenkungsmanöver, eine weitere bürokratisch-kapitalistisch monströse Maßnahme, die sich hinter undurchschaubaren Praktiken und Hochglanzbroschüren versteckt und vor allem dem sie organisierenden Apparat viel Geld bringt. Der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist momentan noch nirgends möglich: Erdöl ist als Grundlage für tausende Produktgruppen und Treibstoffe bislang unverzichtbar, Gas- und Kohlekraftwerke müssen Flaute und Dunkelzeiten für Solar und Wind abfedern. Weltweit sind hunderte neue fossile Kraftwerke projektiert, dazu kommen dutzende neue AKW-Blöcke. «Klimaneutralität» ist eine vorrangig europäische Halluzination, die den Blick auf einen wirklichen Umweltschutz und Schadstoffreduktion verstellt.

  • am 7.01.2024 um 13:42 Uhr
    Permalink

    Dieser Artikel bestätigt mein ungutes Gefühl, was diese sogenannte CO2-Kompensation angeht, die einem sogar beim Benzintanken angeboten wird. Eigentlich ein pures Greenwashing, das die involvierten Konzerne noch reicher macht, aber kaum was am Status Quo ändert.
    Einmal mehr danke, Infosperber!

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