Kommentar

Billette in die sündenfreie Zukunft

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Damit die Welt besser wird, braucht es keine neue Politik, sondern neue Fahrkarten.

Da behaupte jemand, die Schweiz sei kein vielfältiges Land. Gewiss, in der Natur schwindet die Artenvielfalt. Dafür wächst bei den Staatsbahnen die (Fahr-)Kartenvielfalt: Schon die Aufzählung aller heutigen Billette würde das Fassungsvermögen dieser Rubrik sprengen. Doch das Angebot ist längst noch nicht ausgereizt. Neu prüfen die SBB die Einführung von «Billetten für AKW-Gegner»; das enthüllte die «NZZ-am Sonntag» und bestätigte die SBB-Leitung. Konkret: Gegen einen Aufschlag von fünf Prozent vermitteln die Bahnbetreiber kaufkräftigen Kunden den Glauben, sie würden ohne Atomstrom von St. Gallen nach Genf oder von Basel nach Chiasso fahren.

Physikalisch stimmt das selbstverständlich nicht. Denn der Strommix der SBB enthält 25 Prozent Atomstrom. Wollten die Bundesbahnen diesen Anteil auf Null senken, müssten sie entweder ein Viertel ihrer Züge ausfallen lassen oder das Tempo auf allen Strecken drosseln. Moralisch hingegen befreit der Kauf des Anti-AKW-Billetts den Fahrgast vor der atomaren Sünde – so wie Ablasszahlungen einst die Katholiken vor dem Fegefeuer retteten. Entsprechend länger müssen jene Bahnreisenden, die sich den Zuschlag sparen, in der nuklearen Vorhölle schmoren.

Die Idee vom atomfreien Billett ist derart bestechend, dass sie unbedingt erweitert werden sollte. Beispiele: Mit einer «Enkelkarte-Plus» könnten Grossväter mitreisenden Nachkommen die gefährdete AHV sichern. Ein Aufpreis auf dem Verbund-Abo «Ostwind» oder «Libero» dient zur Entschädigung von Pendlerinnen und Pendler, die auf dem Velo zur Arbeit trampen. Zudem sollten die SBB ihre Fernreise-Billette soweit verteuern, dass alle Passagiere aufs Flugzeug umsteigen und so ihren CO2-Ausstoss mit einer Ablasszahlung an MyClimate begleichen können. Womit wir alle in eine atomfreie, altersversicherte und klimageschützte Zukunft fahren können.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 30.07.2012 um 21:00 Uhr
    Permalink

    Wenn die SBB ihre Kunden nicht in betrügerischer Weise hinterhehen, ändert der Kauf eines solchen Billetts sehr wohl etwas: Die SBB beziehen dann entsprechend weniger Atom- und dafür im gleichen Ausmass mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Auch wenn sich «atomare» und «nichtatomare» Elektronen in der Leitung miteinander vermischen und danach nicht mehr auf ihre «Herkunft» hin überprüft werden können, macht das durchaus einen konkreten Unterschied, auch physikalisch.

    Auch MyClimate-Kompensationen für Bahnreisen wären eine Idee, die durchaus Sinn machen würde. Im übrigen mag es wohl im SBB-Fahrschein- und Abo-Angebot durchaus überflüssiges geben, dennoch sind noch keineswegs alle Bedürfnisse abgedeckt. Wie mir erst neulich anhand eines konkreten Beispiels bewusst wurde, gibt es nach wie vor kein attraktives Streckenabonnement für eine Krankenschwester, die 80 % arbeitet und dafür viermal pro Woche z.B. von Bern nach Basel oder Zürich pendelt. Ein GA käme in diesem Fall relativ teuer zu stehen, doch ein passenderes Abo gibt es (erstaunlicherweise) nicht.

  • am 1.08.2012 um 16:33 Uhr
    Permalink

    Noch viel besser wäre es. Wenn alle Vergünstigungen abgeschafft würden. Dann würden viele einen Wohnort näher beim Arbeitsort suchen und so könnten viele Bahnfahrten und Infrastrukturausbauten eingespart werden. Natürlich bäuchte es dann beim Treibstoff auch einen kräftigen CO2 Zuschlag.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...