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Paul Ryan: Die USA sollten eine Steueroase sein... © n

Ryan: «Wir sollten die USA zur Steueroase machen»

Robert Ruoff /  Panik bei Demokraten vor der Debatte Ryan-Biden. Und liberale Publizisten unterziehen den Medienhype wegen Obamas Flop der Kritik.

Das Schöne am amerikanischen Wahlkampf ist unter anderem die Serie von Pannen, die er produziert. Und die ihn in den letzten vier Wochen überaus spannend machen. Romneys Vorsprung auf nationaler Ebene, schreibt die «Huffington Post» nach den letzten Umfragen, ist «so dünn wie eine Rasierklinge». In manchen entscheidenden Staaten wechselt die Führungsposition in den Umfragen fast täglich. Kurz: Beide können es noch schaffen.

Aber weil es so knapp ist, wird nun die Debatte von Donnerstagnacht zwischen dem Vizepräsidenten und dem Kandidaten für das Amt von den Medien zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert. Vizepräsident Joe Biden ist zwar bekannt für seine verbalen Fehlleistungen, aber er ist auch ein Mann der einprägsam knappen Aussagen, wenn es darum geht, Obamas Leistungen unvergesslich zu machen: «General Motors lebt und Bin Laden ist tot. Gibt es noch Fragen?», gehört zu seinen prägnanten Sätzen.

Ryan: Die USA als Steueroase

Der Kandidat Paul Ryan hat zwar auch sein eigenes Charisma und sich als Liebling der Tea Party in Romneys Team hinein gespielt. Aber er bietet ähnlich wie Vizepräsident Biden auch Angriffsflächen. «Mother Jones», das links-liberale Magazin, hat sich seiner angenommen und ein Video ausgegraben, das Ryan im September 2011 bei einem Interview mit dem «American Business Magazine» zeigt.

Ryan erklärt dort, dass die USA eine Obergrenze von 25 Prozent für die Unternehmenssteuern brauchen, weil sie mit der gegenwärtigen Grenze von 35 Prozent das Kapital in andere Länder treiben. Und dann sagt er:

«Wir brauchen ein Steuersystem, das Amerika zum Hafen für Kapitalbildung macht. Lasst uns aus diesem Land eine Steueroase machen (Let’s make of this country a tax shelter), an Stelle von anderen Ländern.» Und im gleichen Atemzug erklärt er: «Wir wollen nicht Steuern erhöhen, wir machen keinen Klassenkampf…».

Da wundert es auch niemanden mehr, dass CS- und UBS-Manager mit Vorliebe für die Republikaner spenden.

Die Macher und die Profiteure

Und Ryan verkauft an Stelle des Klassenkampfs seine Version von Romneys «47 Prozent», die bekanntlich keine Selbstverantwortung übernehmen wollen. Romney hat sich von dieser Aussage mittlerweile distanziert, aber sein Vize-Kandidat Paul Ryan predigt seit Jahren den Gegensatz zwischen «Takern» und «Makern» – zwischen den Machern, die unternehmerischen Reichtum schaffen und zum amerikanischen Traum beitragen, und den Nehmern: den Profiteuren, die die produktiven Mitbürger aussaugen.

Wechselnd sind in seinen Reden nur die Anteile zwischen den beiden Gruppen: 2010 sprach Ryan von 60 Prozent der Amerikaner, die vom Staat mehr beziehen als sie an Steuern bezahlen. Im November 2011 zählte er noch 30 Prozent «Taker» – was in der Amtszeit von Präsident Obama eine erhebliche Verringerung wäre…! YouTube-User haben aus der Zeit von 2009 bis 2012 sieben Videos mit solchen Aussagen beschafft, und «Mother Jones» hat daraus einen hübschen Video-Clip montiert.

Freies Verhältnis zur Wahrheit

Berühmt-berüchtigt wurde Ryan mit seiner Rede am republikanischen Parteikongress: ein konservativer Kommentator sagte dazu: «Er hat die Wahrheit ziemlich gedehnt.» Andere sprachen von einem «Weltrekord an Lügen» in einer politischen Rede. Seine radikal staatsfeindliche Haltung in Wirtschaftsdingen wird nur noch übertroffen durch seine Haltung in Frauenfragen: Er ist sogar gegen das Recht auf Abtreibung bei Vergewaltigung in Inzest. Der Kritik begegnet er mit dem Standardsatz: meine persönliche Haltung ist nicht die Haltung einer künftigen Regierung.

Joe Biden, der Vizepräsident mit dem guten Draht zu weissen Arbeitern, wird also Angriffspunkte finden. Er weiss, dass er Ryan stellen und mit einigen starken Treffern zumindest beschädigen muss, um den negativen Medien- und Umfragetrend zu stoppen, der nach der ersten Präsidentendebatte mit einem schwachen Obama entstanden ist. Aber die Demokraten sehen dieser Debatte mit zwiespältigen Gefühlen entgegen, wohl wissend, dass Biden zu verheerenden Fehlleistungen genau so fähig ist wie zum brillanten K.O.-Schlag. So schwanken sie zwischen Hoffen und Bangen und dem inbrünstigen Wunsch, Joe Biden möge es richten.

Demokraten in Panik

Bei manchen ist angesichts der neueren Umfragen bereits die Panik ausgebrochen. Als Musterfall gilt der ehemalige Republikaner Andrew Sullivan, ein rechtsliberaler Anhänger und Unterstützer von Barack Obama und eine Kultfigur des politischen Blogs, der in seiner Kolumne nach der Debatte die Titelfrage stellte: «Hat Obama grade die ganze Wahl weggeworfen?»

Er schreibt: «Wenn ein Präsident sich selber in einer Live-Sendung erledigt und sein Gegner strahlend daher kommt mit Lügen und Lächeln, und wenn das eine Rekordzahl von Leuten sehen, ist schwer zu sehen, dass ein Präsident und seine Partei sich wieder davon erholen. Ich gebe nicht auf. Wenn die Lügen und Propaganda der letzten Jahre funktionieren, obwohl Obama mit solider Arbeit einen Vorsprung in entscheidenden Staaten erkämpft hat, dann ist es wieder vorbei mit einer Regierung, die ihre Arbeit auf die Realität abstützt. Dann sind wir zurück bei Bush-Cheney, aber viel extremer. Das müssen wir vermeiden. Es steht sehr viel mehr auf dem Spiel als Obamas Eitelkeit.»

«Stop Panicking!»

Sullivan hat heftige Reaktionen ausgelöst mit seinem Blog. Zustimmung, bei vielen Anhängern auch Angst vor der Niederlage. Nun aber zunehmend auch Widerspruch. «Stop Panicking, Obama Supporters!» schreiben Douglas Schoen und Jessica Tarlov in der Huffpost, und sie zeigen an Daten und Fakten, dass das Rennen vor der Debatte knapp war und nach der Debatte weiterhin knapp ist, vorher mit Vorteilen für Obama, jetzt einfach mit Vorteilen für Romney.

Auch Howard Fineman, der publizistische Direktor der Huffington Post Gruppe, hat in die Tasten gegriffen und daran erinnert, dass die Wahl erst vorbei ist, wenn sie vorbei ist. Er liefert vier Gründe für die Demokraten – die im Übrigen zu Recht besorgt sind.

Erstens dauert der Wahlkampf noch einen Monat, und in der Politik ist ein Monat ein ganzes Leben. Zweitens sind Obamas Zahlen (noch) nicht eingebrochen, nur Romneys Werte sind besser geworden. Drittens ist zwar die demokratische Basis nicht so begeistert wie 2008, aber die Partei ist viel stärker geeint als gewöhnlich. Und schliesslich ist der Vergleich mit Reagan gegen Carter falsch, denn damals fand die Debatte gerade mal eine Woche vor der Wahl statt. Carter hatte also gar keine Zeit mehr, sich zu erholen. Fineman: «Die Wahl ist nicht vorbei, ausser Obama benimmt sich, als ob sie schon vorbei wäre.»

Der Opportunismus der Medien

Und dann sagt Fineman noch etwas über den Opportunismus der Medien, die Obama schon hochgejubelt hatten. Jetzt schreiben sie weniger giftig über Romney und produzieren dafür Schlagzeilen über Obamas Zusammenbruch. «Mit den Medien ist es so: Entweder laufen sie dir hinterher, oder sie gehen dir an die Gurgel.»

Frank Bruni (New York Times) und Jonathan Rust (Newsweek) machen das dingfest. Rust
erinnert daran, dass der beschleunigte Journalismus – sieben Tage pro Woche während 24 Stunden – die Produktion von Instant-Meinungen (sprich: Wegwerf-Statements) fördert, und dass die neuen Medientechniken wie Twitter die schnelle Reaktion und den scharfen Einzeiler bevorzugen. Die kritische, tiefer gehende Analyse und der Blick auf die Inhalte haben das Nachsehen. Das heisst, so Rust, dass ganze journalistische Wertsysteme verloren gehen. Und dass der forsche Romney gefällt.

Ein Mann wie Obama, der vor und auch während seiner Amtszeit gerne an langen, kunstvollen Texten feilte, hat unter diesem kurzsichtigen Blick keine Chance – vor allem, wenn er wie bei der Debatte auch noch müde und zögerlich wirkt. Auch wenn seine Beliebtheitswerte nach der Debatte steigen.

Mit Schneid und Unverfrorenheit zum Erfolg

«Die politische Arena ist der Platz für Draufgängertum», sagt Frank Bruni. Und er zählt sie alle auf: Arnold Schwarzenegger, der es geschafft hat, in seinem Buch seine Frau und politische Unterstützung Maria mit der Publikation weiterer Affären noch mehr zu demütigen. Bill Clinton, über dessen Skandale keiner mehr spricht, obwohl dieser Meister des politischen Deals ohne sie vielleicht politisch noch mehr erreicht hätte. Der Demokrat Harry Reid, der bis heute ohne Beweis behauptet, Mitt Romney habe zehn Jahre lang keine Bundessteuern bezahlt. Nach dem Motto: «Nie zurückziehen, immer nur wiederholen.» Der Republikaner Paul Ryan, der unter George W. Bush für mehr Ausgaben stimmte, ohne sein Image als grosser Falke der Büdgetkürzungen auch nur im Geringsten anzupassen. Und schliesslich Mitt Romney, der sich zwar für seine «47 Prozent» entschuldigt hat – aber nicht im Rampenlicht der grossen Debatte. Dort hat er sich nur schneidig präsentiert, ohne Anflug eines Zweifels.

Und Obama? – Obama, so Bruni, ist in der Debatte nicht eingebrochen. Er war nur einfach schwach. Aber die grossen Meinungsmacher haben sich überboten: jeder musste noch schärfer urteilen als sein Vorgänger und am Ende wuchs sich der schwache Auftritt aus zu einer «Katastrophe». Die Kolumnisten haben nur vergessen, erinnert Bruni, dass auch Ronald Reagan seine erste Debatte mit Walter Mondale vermasselt hat, und desgleichen George W. Bush gegen John Kerry – und beide haben trotzdem die Wahl gewonnen.

Und Obama ist ein zäher, ausdauernder Bursche.

Er hält sich nur nicht an die Regel der Wahlkämpfer, die Dan Rather nach Romneys Auftritt zitiert hat, der grosse alte Mann der amerikanischen Fernsehmoderation: «Ich irre mich häufig, aber ich zweifle nie!»

Und die Kommentatoren, Kolumnisten und FernsehmoderatorInnen fallen darauf herein.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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US-Wahlen 2012

Am 6. November wird nicht nur der Präsident, sondern auch der Kongress gewählt. Mit Folgen für die Welt.

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