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Obama und sein Team verfolgen die Aktion gegen Bin Laden © whitehouse

Obama gegen Al Qaida (3): Der Sieg des Bin Laden

Robert Ruoff /  Mit George W. Bush sind die USA nach 9/11 bin Laden in die Falle gegangen. Mit Barack Obama drohen die USA darin auszubluten.

Mit George W. Bush sind die USA nach 9/11 Osama bin Laden in eine Falle gegangen, in der die Vereinigten Staaten an ihrer eigenen Aggression zugrunde zu gehen drohen.

Die Zerstörung der Zwillingstürme des World Trade Center in New York am 11. September 2001, heute bekannt unter dem Kürzel «9/11» war und ist bis heute ein Medienereignis. Sie ist ein Schock, der bis heute weltweit nachwirkt. Sie ist für die USA bis heute ein nicht verarbeiteter, traumatischer Schock, der das Denken und damit die Aufarbeitung blockiert. «Amerika», sagt der hoch angesehene Kolumnist Eric S. Margolis (New York Times, Int. Herald Tribune u.v.a.), «Amerika ist wie das alte Habsburger Reich, von dem, man sagte: Nichts vergessen und nichts gelernt. Der Blick auf die 9/11-Gedenkfeiern, die zu einem jährlich wiederkehrenden politisch-religiösen Ereignis geworden sind, erinnert uns an diesen alten Satz.»

Das ändert nichts an der klaren und einfachen Feststellung: Die Zerstörung der Twin Tower durch Al Qaida ist ein horrendes Verbrechen. Eric Margolis teilt sie und Noam Chomsky, der grosse amerikanische Sprachwissenschafter und führende Intellektuelle der amerikanischen Linken teilt sie. Chomsky stellt zusammen mit Margolis fest: Die Folgen von «9/11» sind (auch) ein Sieg des Osama Bin Laden. George W. Bush und nach ihm Barack Obama sind in eine Falle gegangen.

Die Schulden- und Krisenfalle

Um die USA zu besiegen, «muss man sie in eine Serie kleiner, aber teurer Kriege hineinziehen, die sie schliesslich in den Bankrott treiben» (Margolis). Das ist, wenn man so will, die Afghanistan-Falle, in der sich schon die Briten und nach ihnen die Sowjets verfangen hatten: Grossmächte, die in den unwegsamen Berggebieten unter Stammesherrschaft die Truppen ihres Empires immer wieder ausbluteten.

Heute muss man von der afghanisch-irakisch-pakistanischen Falle sprechen. Die Kriege in Afghanistan, Irak und Pakistan (das man faktisch dazuzählen muss) haben bisher zwischen 3.2 bis 4. Billionen Dollar gekostet, wie die «Eisenhower Study Group» an der Brown University aus offiziellen Daten errechnet hat. (Wie auch das «Tages-Anzeiger»-Newsnetz am 4.10. entdeckte, nachdem Infosperber bereits zwei Tage vorher über die Studie berichtet hatte).

«Die USA ausbluten», war Bin Ladens Ziel. Die Kriegskosten sind wesentlicher Teil der Verschuldung der Vereinigten Staaten. Und damit auch Ursache der wachsenden inneren Spannungen in den USA, «zumal wenn die Schulden in zynischer Weise von der äussersten Rechten ausgenutzt werden, um, in stillschweigendem Einverständnis mit dem Establishment der Demokratischen Partei, die Sozialprogramme, öffentliche Bildung, Gewerkschaften und überhaupt die verbliebenen Barrieren gegen die Tyrannei der Kapitalgesellschaften zu untergraben», wie Noam Chomsky sagt (in: Lettre International 94, Herbst 2011).

Das wäre dann der erste Sieg von Bin Laden.

Die Hassfalle

Nicht zu reden von den Menschenopfern, einer ungeheuren, nie rückzahlbaren Schuld. Die «Eisenhower Study Group» – benannt nach dem 2. Weltkrieg-General und späteren republikanischen US-Präsidenten – zählt im Kapitel «Human Costs» gegen 14’000 Soldaten der USA und der Alliierten und gegen 19’000 tote afghanische und irakische Sicherheitsleute.

Ausserdem wurden
– in Afghanistan 12’000 – 14’000 Zivilpersonen getötet, und die monatlichen Zahlen nehmen nicht ab, sondern sie steigen. Nicht gezählt sind dabei die indirekten Todesopfer wegen kriegsbedingter Armut, Unterernährung, fehlender Gesundheitsversorgung…
– in Irak wurden mindestens 125’000 Zivilpersonen getötet.
– In Pakistan wurden mindestens 35’000 Zivilpersonen getötet, in einem nicht dokumentierten Krieg.
Rund 8 Millionen sind geflüchtet (und zuvor schon sind über 1 Million vor der pakistanisch-talibanischen Invasion geflohen, die das Taliban-Regime zur Folge hatte).

Auch wenn die USA und ihre Allierten die Al Qaida-Führung zu Recht in Afghanistan suchten und sie dort nach dem Sturz des Taliban-Regimes vielleicht sogar von einer Mehrheit als Befreier aufgenommen wurden, so hat das bei dieser vernichtenden Bilanz heute sicher umgeschlagen. Alle Experten bestätigen, dass die kriegerischen Interventionen in Afghanistan, Pakistan und Irak dem Terrorismus den Nachwuchs zutreiben und der Al Qaida das Tor in den Irak erst geöffnet haben.

Und die Bush-Regierung, die die Schuld an «9/11» dem Islam zugewiesen hat, hat damit bis heute vor allem eines erreicht: «Eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass eine Mehrheit in den islamischen Staaten, selbst sogenannt ‚gemässigten’ wie Ägypten, Indonesien und Marokko, fälschlich glauben, dass die USA darauf aus sind, den Islam zu zerstören.» (Eric S. Margolis).

Die USA produzieren damit selber den Hass in der islamischen Welt, den Osama bin Laden zu schüren versuchte: Michael Scheuer, bei der CIA seit 1996 für die Suche nach Bin Laden und, wie wir seit dem 1. Mai 2011 wissen, mit seiner Suche erfolgreich, schreibt: «Die US-Streitkräfte und die Politik der USA vollenden die Radikalisierung der islamischen Welt, was schon Osama Bin Laden mit Beginn der 90er Jahre mit beträchtlichem, aber unvollständigem Erfolg versucht hatte.» (Zitiert nach Chomsky in Lettre International).

Das wäre der zweite Sieg von Bin Laden.

Die moralisch-ethische Falle

Und in ihrem «Krieg gegen den Terror» und gegen das «Reich des Bösen» hat die Bush-Regierung nicht nur erfolgreich nach innen Panik verbreitet – «der Moslem unter der Matratze hat das Schreckgespenst der 50er Jahre, den Kommunisten unter dem Bett, abgelöst» (Margolis) -, sie hat die Werte verraten, die sie angeblich verteidigen wollte: Sie hat die Folter wieder eingeführt, sie hat Gefangenen eine menschenwürdige Behandlung und einen fairen Prozess verweigert, sie hat Geheimgefängnisse in allen Regionen der Welt eingerichtet – und all das verbunden mit einer Aggression gegen einen anderen Staat : den Irak, auf der Basis einer nicht existierenden Gefahr («Besitz von Massenvernichtungswaffen») und ohne jede Legitimation durch die internationale Gemeinschaft.

Die amerikanische Regierung, die so lauthals propagierte, der Welt Freiheit und Recht zu bringen, hat damit selber die moralisch-ethischen Regeln verletzt, auf die sie sich beruft. Und es scheint, dass die Regierung Obama, die die Folter wieder klar verboten hat und sich wieder einbindet in das Netz der internationalen Gemeinschaft, im Kampf gegen Al Qaida nach wie vor eher nach archaischen als nach aufgeklärten Regeln des Rechts handelt. Die USA stellen sich damit selber ausserhalb der sogenannten «westlichen Wertegemeinschaft», machen sich selber zum «Outlaw».

Das wäre der dritte Sieg von Osama Bin Laden.

Produktion von Feindbildern, Unterdrückung und Vernichtung

Ständerat Dick Marty, der als Europa-Abgeordneter die Existenz der Geheimgefängnisse für angebliche Terroristen und ihre Folterung aufgedeckt hat, äussert in einem Abschieds-Interview mit Susanne Brunner (Schweizer Radio DRS) grösste Befürchtungen: Seit 9/11 konstatiert er «eine deutliche Verschlechterung der Menschenrechte», in einem «Klima der Gleichgültigkeit», denn es betrifft ja angeblich «nur die Moslems, und Moslem bedeutet ja schon «Terrorist oder Terrorismusverdächtiger.»

«Und das erinnert an die 30er Jahre. Ich sage nicht, dass die Geschichte sich wiederholt. Aber es gibt Tendenzen, es gibt Dynamiken, es gibt aber auch Fakten, die wirklich sehr ähnlich sind. Die Finanzkrise, die Wirtschaftskrise, die Notwendigkeit, ein Feindbild zu produzieren. Damals waren es die Juden, Kommunisten, die Roma – heute sind die Roma immer noch dabei, und es sind die Ausländer, es sind die Muslims. Und auch damals, in den dreissiger Jahren, hat man langsam immer neue Gesetzesbestimmungen angenommen, die die Freiheit für gewisse Leute und in gewissen Bereichen Restriktionen unterworfen hat. Und niemand hat reagiert – und man weiss, wie es gegangen ist.»

Marty stellt eine ähnliche Dynamik fest. Er ist entsetzt über Obamas Satz zur Tötung bin Ladens: «Justice has been done» – der Satz eines Juristen und Präsidenten der USA: «Das sind gefährliche Tendenzen.»

Verletzung des internationalen Rechts

Zur Tötung von Osama Bin Laden sagte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt: «Das war ‚ganz klar eine Verletzung des Völkerrechts’ und Bin Laden hätte festgenommen und vor ein Gericht gestellt werden sollen.» (Zitiert nach Yochi Dreazen u.a.: Das Ziel war nie, Bin Laden gefangen zu nehmen. In «Atlantic», 4. Mai 2011) – Das wäre nach allen Schilderungen des Sondereinsatzes der Navy SEALs wohl auch möglich gewesen. Und auch die Tötung von Anwal al-Awlaki fällt unter dieses Verdikt, mit der Einschränkung, dass Jemens Regierung offenbar an der Jagd auf Awlaki mitgewirkt hat.

Der Militärkorrespondent Yoci Dreazen und die beiden White House Korrespondenten des «National Journal», Aamer Madhani und Marc Ambinder, kommen gemeinsam zum Ergebnis, die Tötung Bin Ladens sei von Anfang an geplant gewesen. Zum einen wollte die US-Administration wohl einer ganzen Reihe von Problemen aus dem Weg gehen, die eine Gefangennahme des Terrorchefs nach sich gezogen hätte: einen gewaltigen Medienrummel, terroristische Befreiungsaktionen, Offenlegung der eigenen Geheimdienst-Aktivitäten, einschliesslich unangenehmer Wahrheiten wie der Zusammenarbeit mit Bin Laden im Krieg gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan und schliesslich die Sicherung eines regel-gerechten Prozesses.

Rache und Vergeltung

Zum anderen aber gab es in der amerikanischen Bevölkerung ein tief sitzendes Bedürfnis nach Vergeltung. Dreazen und seine Kollegen schreiben: «Wenige Individuen waren für den Tod so vieler amerikanischer Zivilpersonen verantwortlich wie Bin Laden, der die 9/11-Angriffe orchestriert hatte, aber auch eine Vielzahl kleinerer tödlicher Schläge gegen amerikanische Ziele. Für Viele im Pentagon und in der Central Intelligence Agency, die fast ein Jahrzehnt mit der Jagd auf Bin Laden verbracht hatten, war die Tötung des militanten Terroristen ein notwendiger und gerechtfertigter Akt der Rache.»

Die Tötung Osama Bin Ladens war sozusagen die Vergeltung durch eine Todesstrafe ohne Prozess – und sie entsprach damit einem sehr urtümlich amerikanischen Bedürfnis nach Vergeltung. Die USA sind damit, so Chomsky und andere, Bin Laden nach 9/11 voll in die Falle gegangen.
In die Schulden- und Krisenfalle: das Elend der amerikanischen Wirtschaft und die riesige Staatsverschuldung sind in hohem Mass den enormen Militärausgaben geschuldet. Und die zunehmenden Spannungen und Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft, von der Tea Party bis zu den Wall Street-Demonstrationen haben Einiges damit zu tun.
In die Hassfalle: Die amerikanische Aggression hat das Misstrauen und den Hass gegenüber Amerika in den muslimischen Staaten angeheizt und den Zulauf zu Terrororganisationen gefördert. Und der Anti-Islamismus der Bush-Administration und der politischen, christlichen und (so Chomsky) teilweise jüdischen Fundamentalisten hat Angst und Misstrauen auch innerhalb der USA verstärkt.
In die moralisch-ethische Falle: Das Ansehen der Vereinigten Staaten von Amerika als moralische Instanz in der Weltpolitik ist weitgehend zerbrochen – nicht nur, aber auch im «Krieg gegen den Terror».

«Krieg gegen den Terror» ist ein Schlagwort, das Präsident Obama nicht verwendet. Aber im Kampf gegen Al Qaida hat er mit der Tötung Bin Ladens und wohl auch der Tötung al-Awlakis die Standards eines aufgeklärten Rechtsstaats klar verletzt. Er hat sich für direkte Gewaltanwendung entschieden und sich damit dem verbreiteten Wunsch nach Vergeltung und Rache gebeugt.

Dieser Rückgriff auf Gewalt statt Recht durch die Regierung der USA ist vielleicht der durchdringendste Sieg von Osama Bin Laden. Denn er wirkt auch auf die Beziehungen der Amerikaner zueinander.

(Folgt: Obama gegen Al Qaida (4): Der Rückfall in die Zeiten der Rache)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Gewalt_linksfraktion

Gewalt

«Nur wer die Gewalt bei sich versteht, kann sie bei andern bekämpfen.» Jean-Martin Büttner

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Eine Meinung zu

  • am 10.10.2011 um 13:18 Uhr
    Permalink

    Ein bedeutender Faktor wurde im Artikel vergessen, nämlich der «Flugzeugträger» Israel im Arabischen Gebiet. Seit mehr als 60 Jahren bringt er Not und Elend in diese Gegend und dem Staat, der am meisten palastinensische Flüchtlinge aufgenommen hatte, (Libanon) wird es alle 10 Jahre mit Bomben vergolten, von seiten des Flugzeugträgers. Die UNO (UNRWA) und damit die Welt, ist denen dort nur recht, wenn sie den Unterhalt von Millionen ihrer gefangenen Palästinenser bezahlt, um alle andern Resolutionen haben sich die noch nie gekümmert…
    [wahrscheinlich haben auch sie Angst, das zu veröffentlichen und damit machen sie sich mitschuldig am Schlamassel].

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