Israel gegen Syrien – Russland gegen die Ukraine
Russland war 2022 nicht existenziell bedroht. Angegriffen wurde Russland schon gar nicht. Es gibt völkerrechtlich nichts, was die «militärische Spezialoperation» gegen die Ukraine rechtfertigt. Deshalb bezeichnen westliche Politiker und Medien den von Russland mit aller Härte geführten Krieg gegen die Ukraine mit Fug und Recht als einen «Angriffskrieg».
Daran ändert nichts, dass die gleichen Politiker und Medien das Wort «Angriffskrieg» kaum je in den Mund genommen hatten, als die USA gegen den Irak oder die Nato gegen Afghanistan völkerrechtswidrige Kriege führten.
Israels Grossmachtpolitik
Israel bombardiert schon seit längerem völkerrechtswidrig Syrien und erobert und besetzt im Norden des Landes völkerrechtswidrig syrisches Territorium.
Es fällt auf, dass westliche Politiker und Medien Israels krasse Verstösse gegen das Völkerrecht nicht klar verurteilen und Israels «Interventionen» nicht etwa als Angriffskrieg bezeichnen.
Im Gegenteil: Israels jüngste Bombardierungen des Verteidigungsministeriums und von Teilen des Präsidentschaftspalastes in Syriens Hauptstadt Damaskus sowie die zahlreichen Bombardierungen von syrischer Militärinfrastruktur nannte die «NZZ» verharmlosend «Interventionen im Nachbarland» und eine «Warnung an Syrien».
Die Tamedia-Zeitungen setzten den Titel «Israels Machtdemonstration» und schrieben: «Israels Regierung mischt sich unverhohlen in die syrische Innenpolitik ein.» Ein Hinweis auf den Verstoss gegen das Völkerrecht fehlte.
Zu Israels völkerrechtswidrigen Gebietsannexionen in Syrien schrieb die «NZZ» am 18. Juli1:
«Auf dem Golan nahm Israel nach dem Sturz von Präsident Bashar al-Asad weiteres Gebiet zwar völkerrechtswidrig ein, doch aus strategischer Sicht ergibt es Sinn, um die eigene Grenze besser schützen zu können. Gleichzeitig begann Israel, Verbindungen zu lokalen Milizen aufzubauen und logistische Unterstützung zu gewähren.»
Man stelle sich vor, die «NZZ» hätte im Fall der Ukraine geschrieben:
«Nach den Sturz der Regierung in Kiew nahm Russland Gebiete in der Ostukraine zwar völkerrechtswidrig ein, doch aus strategischer Sicht ergibt es Sinn, um die eigene Grenze besser schützen zu können. Gleichzeitig begann Russland, Verbindungen zu lokalen Milizen aufzubauen und logistische Unterstützung zu gewähren.»
Parallele zu Donezk und Luhansk
Die Medien berichteten, dass Israel die jüngsten Angriffe offiziell damit begründe, die drusische Minderheit in Syrien zu schützen. In Syrien leben rund 700’000 Drusen oder etwa drei Prozent der Bevölkerung. Die Mehrheit lebt in der nördlichen Region Suweida. Die Verwandtschaften reichen über die Grenzen zu Israel hinaus.
In Israel leben rund 150’000 Drusen, viele von ihnen auf den Golan-Höhen. Sie sind in Israel im Parlament vertreten und leisten sogar Militärdienst. Nach Israel einwandern dürfen Drusen im Ausland allerdings nicht, weil sie keine Juden sind.
Kürzlich kam es im Gebiet Suweida zu Gewaltausbrüchen, die 360 Drusen das Leben kosteten.
Es gibt eine Parallele zu den ukrainischen Verwaltungseinheiten Donezk und Luhansk. Deren zu Russland orientierte Bevölkerung hatte viele verwandtschaftliche und soziale Beziehungen zu ihren Nachbarn in Russland. Es gab keine Visumspflicht zur Einreise nach Russland und zahlreiche Ostukrainer arbeiteten als Saisonarbeiter in Russland.
Nach dem Putsch von 2014 in Kiew verlangten Donezk und Luhansk vergeblich eine Autonomie. Gegen die von Russland unterstützten Separatisten führte die Ukraine einen jahrelangen Krieg. In den beiden Verwaltungseinheiten wurden Tausende Zivilisten und Separatisten getötet.
Russland begründete den Angriff von 2022 gegen die Ukraine damit, die russisch-freundliche Minderheit in der Ukraine schützen zu wollen.
Syrien und Russland schwächen
Die Argumentation Russlands bezeichneten sowohl die Tamedia-Zeitungen als auch die «NZZ» als fadenscheinig. Auch im Fall von Israel suggerierten jetzt diese Medien, dass es Israel nur vordergründig um den Schutz der Drusen gehe. Vielmehr wolle Israel «das neue Syrien schwächen». Die «NZZ» präzisierte:
«Israel verfolgt eine langfristige Agenda gegenüber Syrien, in deren Zentrum die Wahrung regionaler Sicherheitsarchitekturen und die Eindämmung rivalisierender Akteure im Nachbarstaat ist. […] Es offenbart sich ein Muster von Einflussnahme, wie es Israel seit Jahren in Syrien testet, nun aber offen anwendet. […] Zugleich sendet Israel ein Signal an alle regionalen Akteure […], punktuell überall einzugreifen.»
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu erklärte sogar, Israel wolle keine syrischen Regierungseinheiten oder mit ihnen zusammenarbeitende Milizen südlich von Syriens Hauptstadt Damaskus mehr akzeptieren.
Ähnlich argumentiert Russlands Präsident Wladimir Putin: Russland akzeptiere keine Nato-Einheiten so nahe an seinen Grenzen.
Man stelle sich vor, die «NZZ» hätte im Fall der Ukraine damals geschrieben:
«Russland verfolgt eine langfristige Agenda gegenüber der Ukraine, in deren Zentrum die Wahrung regionaler Sicherheitsarchitekturen und die Eindämmung rivalisierender Akteure im Nachbarstaat ist. Es offenbart sich ein Muster von Einflussnahme, wie es Russland seit Jahren in der Ukraine testet, nun aber offen anwendet. Zugleich sendet Russland ein Signal an alle regionalen Akteure, punktuell überall einzugreifen.»
Angriffskriege beim Namen nennen
Sowohl Russland wie Israel führen Angriffskriege und annektieren fremdes Land.
- Russland wird von der Ukraine oder der Nato in absehbarer Zeit nicht bedroht.
- Israel wird seit der Vernichtung der Hamas im Gazastreifen, der Schwächung der Hisbollah im Libanon und den Angriffen gegen den Iran in absehbarer Zeit nicht mehr bedroht.
Trotzdem führen beide Länder ihre Angriffskriege weiter und nehmen ein unermessliches menschliches Elend in Kauf.
Im Fall von Israel läge es nahe, dass westliche Politiker und Medien auch dessen «Interventionen» als Angriffskriege beim Namen nennen.
«Israel will Syrien zerstückeln»
Akvia Eldar, früherer Kolumnist der israelischen Zeitung «Haaretz», meint, dass Israels Interventionen nicht in erster Linie die Drusen unterstützen sollen. Vielmehr beabsichtige die israelische Regierung, Syrien zu fragmentieren und die Konsolidierung der Macht unter der neuen Führung zu verhindern. Eldar vermutet, das Ziel sei ein schwacher syrischer Staat, der nicht in der Lage sei, die Interessen Israels entlang seiner Nordgrenze in Frage zu stellen.
Gamal Mansour, Politikwissenschaftler an der University of Toronto, sieht es ähnlich: «Israel nutzt seinen Einfluss in der Region, um Pufferzonen im Süden Syriens zu kontrollieren und jegliche Aussichten auf ein vereinigtes Syrien zu schwächen.»
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1Der fast seitenlange Artikel erschien am 18. Juli 2025 auf der «NZZ»-Seite «International» ohne Hinweis, dass es sich um einen Gastbeitrag handelt. Erst auf «Fokus Israel» war zu lesen, es habe sich um einen Gastbeitrag gehandelt. Autor Richard C. Schneider war unter anderem Leiter der ARD-Studios in Tel Aviv und Rom.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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