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Zwiebelpreis: Das Alltagsgemüse ist in Indien zum Luxusgut geworden © McKay Savage/wikimedia.commons/cc

Indien steckt tief in der Zwiebelkrise

Peter G. Achten /  Zum Heulen: In Indien sind die Zwiebelpreise explodiert. Die Volksseele kocht. Politiker bangen um ihre Wiederwahl.

Die Preise für Zwiebeln haben sich in Indien fast vervierfacht. Das Alltagsgemüse ist zu einem Luxusgut geworden. «Über die letzten Jahre», kommentiert ironisch die in Neu Delhi erscheinende Wirtschaftszeitung «Economic Times» das ernste Thema, «wurden wiederholt Tränen wegen Zwiebeln, beziehungsweise wegen zu wenig Zwiebeln vergossen.»
Der Anstieg der Zwiebelpreise gefährdet die politische Stabilität im Land. Für Politiker, die demnächst wiedergewählt werden möchten, ist die Lage bedrohlich, denn die meisten Wähler sind arm und leiden am meisten unter den teuren Lebensmitteln. Sowohl regierende wie oppositionelle Politiker sind nervös, stehen doch im Dezember in fünf indischen Bundesstaaten Wahlen an. Noch gravierender: Anfang 2014 finden landesweite Wahlen statt.
Die Zwiebeln haben, wie Kommentatoren landauf, landab nicht müde werden zu betonen, schon oft Wahlen entschieden. In den 1980er-Jahren nutzte Indira Gandhi die exorbitanten Zwiebelpreise und besiegte die Janata-Partei. 1998 war es wiederum die Küchenzwiebel, die eine regierende Partei von der Macht verdrängte. Auch bei Wahlen in manchen Bundesstaaten entschied das Lauchgemüse über Sieg und Niederlage.

Kein indisches Curry ohne Zwiebeln

In Neu Delhi ist man derzeit besonders nervös. «Die Lage ist sehr, sehr ernst, und wir versuchen, die Preise zu stabilisieren», sagte Chefministerin Sheila Dikshit. Wahlen im Dezember sind bei den derzeitigen Zwiebelpreisen von 80 bis 100 Rupien pro Kilo schlicht nicht zu gewinnen. Zwiebeln sind heute in Indien teuerer als Benzin. Sollte sich die Situation nicht bald ändern, ist sogar die regierende Kongresspartei von Sonja Gandhi und Premierminister Manmohan Singh bei den nationalen Neuwahlen im nächsten Frühjahr in höchster Gefahr.
Auf einem Gemüsemarkt am Rande von Delhi gibt ein junger Bauarbeiter seiner Wut beredten Ausruck: «Pro Monat haben wir bisher fünf bis sechs Kilo Zwiebeln gekauft – für 20, maximal 30 Rupien pro Kilo. Aber jetzt, bei Preisen um die 100 Rupien, reicht das Geld nur noch für etwa zwei Kilos.» Die Tageszeitung «Hindustan Times» kommentiert die Bedeutung des Tränen-Gemüses mit der Feststellung, dass für die meisten indischen Gerichte und Currys reichlich Zwiebeln benötigt werden. Auch das Fladenbrot ist ohne Zwiebeln unvorstellbar. Der Kommentator bezeichnet deshalb die jetzige Zwiebelsituation im Gemüse-Jargon treffend als «ökonomische und politische heisse Kartoffel».

Unter der Teuerung leiden vor allem die Armen

Die hohen Preise, insbesondere von Lebensmitteln, treffen vor allem die Armen. Nach Angaben der Weltbank lebt ein Drittel der 1,2 Milliarden Inder und Inderinnen in absoluter Armut, das heisst nach UNO-Massstab von weniger als 1,25 US$ pro Tag. Das sind umgerechnet 67 indische Rupien. Die Teuerung von Zwiebeln hat im Oktober im Jahresvergleich plus 278 Prozentpunkte erreicht. Tomaten sind «nur» 122 Prozent teurer als von einem Jahr, Früchte 16 Prozent, Eier, Fleisch und Fisch 17,5 Prozent. Nur die Kartoffel ist um 1,2 Prozent billiger geworden. Insgesamt sind die Gemüsepreise in Indien nach Angaben der Reserve Bank of India im Jahresvergleich um 78,4 Prozent angestiegen. Für die indische Mittelklasse ist das verkraftbar, nicht aber für die grosse Mehrheit. Bei Armen nämlich macht der Lebensmittel-Anteil am Gesamtbudget in der Regel weit über 60 Prozent aus.

Händler und Bauern treiben die Preise hoch

Nun gibt es Ökonomen, auch indische, die nicht ganz zu Unrecht dem Markt das Wort reden. Landwirtschaftsminister Sharad Pawar versuchte medienwirksam mit markigen Sprüchen seine politische Haut zu retten: «Die Regierung verkauft keine Zwiebeln. Die Preise werden vom Markt festgelegt.» Doch wie die jetzige Preisspirale der indischen Küchenzwiebel zeigt, ist keineswegs die viel zitierte «unsichtbare Hand des Marktes» von Adam Smith im Spiel. Handelsminister Anand Sharma zum Beispiel widerspricht dem Landwirtschaftsminister und macht hortende Händler und auch einige Bauern für das Preisdesaster verantwortlich.
Am grössten Zwiebelmarkt Lasalgaon in Nashik, im südwestlichen Bundesland Maharashtra, werden in aller Regel die Referenzpreise für den indischen Markt festgelegt. Händler kaufen bei Bauern den Doppelzentner für 4000 bis 4500 Rupien ein. Vom Gross- über den Zwischenhändler bis zum kleinen Gemüseverkäufer auf dem Markt in Delhi, Mumbai oder Kolkata steigt der Kilopreis auf 40 bis 50 Rupien an. Die Händler kaufen aber wenige Doppelzentner zum erhöhten Preis von 5700 Rupien. Dieser hohe Preis wird dann für alle Zwiebeln – also auch für die günstiger eingekauften – zum geltenden Referenzpreis. Zudem gibt es auch Händler und Bauern, die Ware zurückbehalten in der Hoffnung auf noch höher steigende Preise. Damit erzeugen sie eine künstliche Warenknappheit.

Indien produziert genügend Zwiebeln

Die Zwiebelkrise ist also von Menschen verursacht und nicht vom Markt. Sowohl Konsumenten als auch die meisten Bauern sind die Leidtragenden. Dabei wäre Indien mit einer Jahresernte von über 16 Millionen Tonnen Zwiebeln – hinter China die Nummer 2 – in der komfortablen Lage, tatsächlich den Markt spielen zu lassen. Der Bundesstaat Maharashtra ist mit 45 Prozent der Ernte so etwas wie der Mittelpunkt der Zwiebelwelt. Handelsminister Anand Sharma macht klar, dass der Markt durchaus spielen könnte. Zu Reportern in Neu Delhi sagte er: «Wir haben genügend Zwiebeln in Reserve. Die Behörden müssen entschieden gegen Hamsterer und hortende Händler vorgehen. Künstlich erzeugte Knappheit und die scharfen Preiserhöhungen sind nicht akzeptabel.»
In der Tat, Indien produziert genügend Zwiebeln für den Eigenbedarf. Doch der Ertrag liesse sich noch steigern. Die «Hindustan Times» empfiehlt, von den Chinesen zu lernen. Denn in China werden pro Hektare 22 Tonnen Zwiebeln geerntet, während es in Indien erst 14,2 Tonnen sind.


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Eine Meinung zu

  • am 12.12.2013 um 21:56 Uhr
    Permalink

    "Ertrag liesse sich steigern»
    – da wäre zu fragen, mit welchen Mitteln. Mehr Bewässerung erhöht zwar das Gewicht, doch das ist dann nur teuer bezahltes Wasser. Der Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden hingegen zerstört weltweit die dünne Humusschicht, die dann vom Regen weggeschwemmt oder vom Winde verweht wird. Oder wie es Hans Rudolf Herren, Preisträger des Right Livelihood Award, in Bezug auf ‹Schädlinge› formuliert:
    "Wenn man mit Chemie eingreift, weiss man im Voraus, dass die Probleme grösser werden."

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