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Guillaume Barazzone, Vizepräsident der Genfer Stadtregierung, im Einsatz für ICAN © cm

Hiroshima und Nagasaki – zur Kenntnis genommen

Christian Müller /  Man weiss von der Katastrophe. Die Medien berichten. Doch wer auf dieser Welt kämpft gegen den Wahnsinn denn wirklich an?

Keine Zeitung und kein Fernsehen, die am Donnerstag, 6. August 2015, nicht über den Atombombenabwurf der USA auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki vor 70 Jahren berichtet haben. Viele Blätter widmeten dem historischen Ereignis gleich eine Doppelseite: mit Fakten, Augenzeugenberichten, Kommentaren. 80’000 Tote in wenigen Sekunden, weitere über 100’000 in den folgenden Tagen, Hunderttausende von Toten, Verletzten und Kranken in den Jahren danach. Nie zuvor hat ein einzelner Waffeneinsatz eine solche Vernichtung von Menschenleben und Zerstörung von Lebensraum verursacht.

Das Schweizer Medienarchiv «smd» verzeichnet allein am 6. August 54 Beiträge zum Thema Hiroshima und Nagasaki. Selbst unter dem Blickwinkel, dass die Medien im Ferien-Monat August, da keine politischen Gremien tagen und kaum eine Medien-Konferenz stattfindet, froh sind um jeden Anlass, worüber man ein paar Zeilen berichten kann, sind 54 Artikel über den historischen Bomben-Abwurf von Hiroshima und Nagasaki eine erstaunlich hohe und insofern erfreuliche Zahl. Darf daraus geschlossen werden, dass die Schweizer Medien geschichtsbewusst sind und die Leserschaft fähig, aus der Geschichte auch zu lernen?

Die heutige Situation

Haben die Medien auch darüber berichtet, wie die Entwicklung der Nuklear-Waffen nach Hiroshima weiterging? Etliche haben es getan. Einige haben auch ganz konkret aufgezählt, wer heute über Atomwaffen verfügt. Es sind die neun Länder USA, Russland, England, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Und dass Indien, Pakistan und Israel zwar über Atomwaffen verfügen, den Atomwaffensperrvertrag aber nie unterschrieben haben (Nordkorea ist hinterher wieder ausgestiegen). Einige Zeitungen haben auch darüber berichtet, dass die Technologie zwischenzeitlich geändert wurde und die Sprengkraft der heute zur Verfügung stehenden Bomben unendlich viel grösser ist als die der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Und vielleicht auch, dass nichtsdestotrotz weltweit geschätzt etwa 23’000 Sprengköpfe lagern – viel zu viel, um die ganze Menschheit definitiv auszurotten.

Wer stoppt den Wahnsinn?

Und was tut man gegen diese im wahrsten Sinne des Wortes unmenschliche Waffenentwicklung? Es gibt einige Organisationen, die sich zur Aufgabe gesetzt haben, eine Atomwaffen-freie Welt zu schaffen. An erster Stelle ist da die ICAN zu nennen (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons), die sich gezielt und weltweit dafür einsetzt. Und natürlich auch in der Schweiz, die ICAN Switzerland. Es war denn auch die ICAN, die am 6. August 2015 in Genf auf der Halbinsel Bains des Paquis am frühen Abend einen Event veranstaltete, um auf die Gefahren der nuklearen Waffen aufmerksam zu machen und die Bevölkerung aufzurufen, alles zu unternehmen, um diesen Wahnsinn zu stoppen.

Ein Augenschein vor Ort zeigte den Aufwand, der da konkret betrieben wurde. Vier Redner traten auf mit recht ausführlichen Informationen zum Thema. Guillaume Barazzone, Vizepräsident der Genfer Stadtregierung und Nationalrat (CVP), erklärte, wie sich die Stadt Genf für den Abbau der Atomwaffen-Arsenale engagiert. Martin Krottmayer, ein Spezialist für Strahlungskatastrophen beim Internationalen Roten Kreuz und Vertreter Österreichs bei der EU in Brüssel, stellte die Aktivitäten des Roten Kreuzes im Zusammenhang mit dem möglichen Einsatz von Nuklearwaffen dar. Prof. François Lefort, Mitglied des Genfer Grossen Rates (Grüne), stellte eindrücklich dar, wie viel zerstörerischer die heutigen nuklearen Waffen sind als damals in Hiroshima 1945. Und mit Beatrice Fihn, Vizepräsidentin der ICAN, trat auch eine international für die International Campaign to Abolish Nuclear Weapons im Einsatz stehende Amerikanerin auf die Redner-Tribüne. Anschliessend gab es eine attraktive musikalische Darbietung. Und nicht zu vergessen: Um 21.30 Uhr wurde der Jet d’aux, das Wahrzeichen Genfs im Seebecken, rot beleuchtet. Ein eindrückliches Bild!

Wer aber hörte zu? Knapp 40 Personen nahmen sich die kurze Stunde Zeit, um sich die vier Referate anzuhören – und um anschliessend gratis ein Glas Weisswein und etwas zum Knabbern zu erhalten (siehe Bild ganz oben)!

Die Medien schweigen

Und die Medien? Ein Blick ins Schweizer Medienarchiv zeigt: Keine einzige Zeitung machte am 6. August oder in den drei Tagen bis heute darauf aufmerksam, dass es eine solche Organisation gibt. Zivilgesellschaftliche Initiativen werden in der heutigen – gefährlichen und gefährdeten – Welt immer wieder als Hoffnungsträger erwähnt. Konkret Notiz davon nehmen die Medien allerdings kaum. Die Medienkonferenzen der etablierten Parteien und der PR-strotzenden Konzerne scheinen da wichtiger zu sein.

Hiroshima und Nagasaki: Man weiss es und man schreibt darüber. Dass allerdings so etwas nie wieder geschehen darf, ist ein anderes Thema. Man hat diese Menschheitskatastrophen zu Kenntnis genommen. Mehr liegt offensichtlich nicht drin.

Lernen aus der Geschichte?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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3 Meinungen

  • am 10.08.2015 um 00:30 Uhr
    Permalink

    Präsident Truman stand 1945 vor folgendem Problem:
    1. Die Westmächte hatten vereinbart, dass es für Deutschland und Japan nur eine «Bedingunslose Kapitulation» geben kann.
    Roosevelt nötigte Stalin zur Verpflichtung, spätestens 90 Tage nach der Kapitulation von Deutschland seinerseits Japan den Krieg zu erklären.
    Zudem war vereinbart dass Russland vor allem Soldaten stellt.
    USA dazu materielle Güter.
    2. Japan war zur Kapitulation bereit, hatte aber eine Bedingung:
    Des Kaisers Würde durfte nicht angetastet werden. Eine politische Entmachtung wie voher oft durch die Shogune wäre OK gewesen, das aber verstanden die Amerikaner (noch) nicht.
    3. Japan wusste nicht, dass die USA noch keine dritte Bombe hatte. Man fürchtete eine sofortige Bombe auf Tokyo und den Kaiserpalast. Japans Armee wollte weiterkämpfen bis zum letzten Japaner. Nicht für einen Sieg, sondern die Würde.
    4. Russland schickte sich an, schnellstens strategische Positionen zu erobern.

    Truman warf die zweite Bombe.

    In dieser Situation beendete Kaiser Hirohito den Krieg.
    Obwohl er ein neues Versailles und Nürnberg erwartete und nicht einen neuen Marshall-Plan unter General McArthur.
    Japan kennt nur Sieg oder Tod. Für Japaner ist Kapitulation eine Schande, die keine Menschlichkeit erwarten kann.

    Die zweite Bombe – Nagasaki – gab wohl den Aussschlag.
    Zum Glück.

  • am 12.08.2015 um 21:48 Uhr
    Permalink

    Einige Artikel die unter die Haut gehen bietet auch die TRANSCEND-Site für Friedensjournalismus.
    Zu Nagasaki: https://www.transcend.org/tms/2015/08/the-70th-anniversary-of-the-bombing-of-nagasaki-unwelcome-truths-for-church-and-state/
    Hier wurde in der christlichsten Stadt Japans die grösste christliche Kathedrale des Orients fast punktgenau von Christen bombardiert, die von christlichen Seelsorgern auf ihre Mission vorbereitet worden waren. Die Piloten haben sich übrigens nicht hintersinnt nachher – das ist eine Legende. Seelsorger dann schon. Siehe weitere Artikel.

    MfG
    Werner T. Meyer

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