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Energieprognosen und Klimaziele klaffen auseinander © südostschweiz

Energielobby torpediert Klimaziele

Hanspeter Guggenbühl /  Der Energieverbrauch wächst, der Klimaschutz bleibt auf der Strecke. Denn dem 2-Grad-Ziel fehlt der ökonomische Hebel.

Um eine globale Klimaerwärmung mit unabsehbaren Schäden zu verhindern, muss der Ausstoss von Kohlendioxid (CO2) und weiteren klimawirksamen Gasen vermindert werden. Diese Meinung vertreten Leute aus der Wissenschaft seit Jahrzehnten: Nach der ersten Weltklimakonferenz von 1988 in Toronto setzten die dort versammelten Wissenschaftler das Ziel, den CO2-Ausstoss bis 2005 um 20 und bis 2050 um 50 Prozent unter den Stand des Jahres 1990 zu senken (siehe pdf-Grafik: Grün gestrichelte Linie). Das erfordert eine entsprechende Reduktion des Kohle-, Öl- und Gasverbrauchs, denn der Grossteil der CO2-Emissionen entsteht bei der Verbrennung dieser Energieträger.

Klimaziele – einst und jetzt

Das kurz nach der Toronto-Konferenz gegründete Wissenschafts-Gremium Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) erarbeitete unzählige Studien, die das Wissen um den Zusammenhang von CO2-Emissionen, Treibhauseffekt und Klimawandel vertieften. Basierend auf diesen Grundlagen einigten sich die Regierungen 2010 an der Weltklimakonferenz in Cancun, die globale Klimaerwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Um dieses Ziel zu erfüllen, bleibt der Menschheit heute noch ein Emissions-Budget von 800 bis 1000 Milliarden Tonnen CO2. Das zeigen mehrere wissenschaftliche Berichte. Beim aktuellen Ausstoss reicht das nur noch für etwas mehr als 20 Jahre. Das heisst: Je später wir anfangen, den CO2-Ausstoss gegen Null zu reduzieren, desto steiler muss der Absenkpfad sein. Wie ein solcher Absenkpfad ab 2015 aussehen könnte, um die globale Erwärmung nicht über zwei Grad ansteigen zu lassen, zeigt die grüne Linie in der Grafik.

Mit der Summe aller CO2-Reduktions-Verpflichtungen, welche die UNO-Staaten vor der Weltklimakonferenz in Paris einreichten, wird das Zwei-Grad-Ziel zwar immer noch überschritten, zeigen Hochrechnungen. Doch wenn alle umsetzen, was sie in Paris – mehr oder weniger verbindlich – ankündigen, wird der globale CO2-Ausstoss ab 2020 immerhin sinken. Soweit die Klimaziele.

Konflikt mit wachsender Energienachfrage

Doch die klimapolitischen Wünsche stehen – ebenfalls seit Jahrzehnten – im Konflikt mit der realen Entwicklung sowie den Prognosen der Energiewirtschaft: Von 1990 bis 2014 stieg der fossile Energieverbrauch (Summe aus Kohle, Erdöl und Erdgas) sowie der energiebedingte CO2-Ausstoss weltweit um nahezu 60 Prozent. Das zeigt die Weltenergie-Statistik des Erdölmultis BP (siehe Grafik: Schwarze Linie). Dieser Zuwachs entspricht ziemlich genau der Prognose, welche die Internationale Energieagentur (IEA) schon 1992 erstellt hatte.

Auch im Zeitraum bis 2040 werde der globale Energieverbrauch und CO2-Ausstoss weiter zunehmen, rechnet die IEA in ihrem neusten Weltenergie-Ausblick. Dabei unterscheidet sie zwischen zwei Szenarien: Das Szenario «Weiter wie bisher» basiert auf den bisher beschlossenen energiepolitischen Massnahmen. Demnach steigt der fossile Energiekonsum und der energiebedingte CO2-Ausstoss bis 2040 je um 40 Prozent. Das Szenario «Neue Politik» setzt auf zusätzliche klimapolitische Massnahmen. Aber auch in diesem Fall wird der der CO2-Ausstoss bis 2040 um weitere 16 Prozent steigen (siehe Grafik: Rote Linie).

Ebenfalls auf Wachstum setzt der Weltenergierat (WEC). In seinem bevorzugten Szenario namens «Jazz» rechnet er bis 2050 sogar mit einer 50prozentigen Zunahme der CO2-Emissionen. «Die CO2-Szenarien des Weltenergierates», so bestätigt WEC-Generalsekretär Christoph W. Frei, «liegen weit über dem Klima-Fahrplan».

Energiepolitik steckt im «Trilemma»

Die auseinander driftenden Kurven markieren den Konflikt, der aus den Expansionsinteressen der Energie- und übrigen Wirtschaft, dem Energiehunger der Konsumenten und dem Kampf gegen den Klimawandel entsteht. Der Weltenergierat illustriert das mit seinem «Energy-Trilemma». Dieses besteht aus den Eckpunkten «Sichere Energieversorgung», «Energie-Wirtschaftlichkeit» und «Umweltverträglichkeit». Dabei gewichtet der WEC die kurzfristigen Interessen nach einer ausreichenden und günstigen Energieversorgung höher als das langfristige Interesse an einem stabilen Weltklima. Er beruft sich dabei primär auf die Ansprüche der Entwicklungs- und Schwellenländer, die heute pro Kopf noch weniger Energie konsumieren können und weniger CO2 verursachen als die nimmersatten Industriestaaten.

Auch in der EU, die als Vorreiterin im Klimaschutz gilt, herrsche in Sachen Klima- und Energiepolitik eine «konstruktive Mehrdeutigkeit», analysierte der deutsche Hochschuldozent Oliver Geden kürzlich an einer Tagung des Europaforums in Luzern. Dahinter steckten «grosse, aber verdeckte Widersprüche» zwischen unverbindlichen Erklärungen zum langfristigen Klimaschutz und harter Interessenvertretung, wenn es um kurzfristige nationale Energieinteressen geht. Deutschland etwa subventioniere zwar die erneuerbare Stromproduktion, widersetze sich aber einem hohen CO2-Preis, um die Nutzung der einheimischen Kohle zu schützen.

Der ökonomische Hebel fehlt

Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, braucht es nicht nur eine eindeutige Politik, sondern auch einen wirtschaftlichen Hebel. Konkret: Der Ausstoss von CO2 muss teurer werden, sei es mittels einer hohen globale CO2-Abgabe oder eines globalen Emissionshandels mit stark sinkenden CO2-Kontingenten. Solange keines dieser Mittel eingeführt wird, bleiben die Ziele zum Klimaschutz wohlfeil – und wenig wirksam.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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