Donbas: «Wir haben unser Mandat verraten»
Red. Benoît Paré war früher französischer Offizier und Analyst im französischen Verteidigungsministerium und von 2015 bis 2022 als internationaler Beobachter der OSZE in der Ostukraine im Einsatz. Im Frühjahr 2025 veröffentlichte er das Buch «Ce que j’ai vu en Ukraine» (englisch: «What I saw in Ukraine»).*
Ein Schweizer OSZE-Beobachter, der in jenen Jahren ebenfalls vor Ort war, wollte die hier wiedergegebenen Aussagen von Paré nicht kommentieren.
Nach dem Maidan-Putsch 2014 kämpfte die neue Regierung in Kiew im Donbas gegen separatistische Aufständige, die von Russland unterstützt wurden. Im jahrelangen Krieg gegen die Separatisten wurden nach Angaben der OSZE und der Uno über 14’000 Menschen getötet: Militärangehörige und russische Soldaten auf der separatistischen sowie Militärs auf der ukrainischen Seite und etwa 3’400 Zivilisten.
Um den heutigen Krieg zu beenden, fordert Russland die Ukraine auf, im Donbas die beiden Republiken Donezk und Lugansk als Teile der Russischen Föderation zu akzeptieren. Militärisch ist es Russland bisher nicht gelungen, die beiden Republiken vollständig einzunehmen.
«Die Schuld liegt bei weitem bei der Ukraine»
Gleich vorweg die Antwort des OSZE-Beobachters Benoît Paré auf die Frage, welche Seite für das Scheitern der Minsker Vereinbarung von 2015, das die russische Invasion von 2022 wahrscheinlich hätte verhindern können, verantwortlich sei: «Ich drücke mich ganz klar aus. Für mich liegt die Schuld bei der Ukraine – und zwar bei weitem.»
Paré erklärt, dass ukrainische Ultranationalisten, die sich gewaltsam und erfolgreich gegen die Minsker Vereinbarungen gewehrt hatten, auch heute noch ein grosses Hindernis für den Frieden darstellen.
Im Folgenden dokumentieren wir wörtliche Originalaussagen von Benoît Paré, damaliger Originalzeuge vor Ort, aus seinen Interviews mit «L’Éclaireur» und mit Aaron Maté von «Grayzone»:
«Schockiert, wie wütend die Menschen waren»

Im Donbas wurde mir am Anfang meiner Mission im Jahr 2015 ziemlich schnell klar, dass die ukrainische Seite häufiger bombardierte als die andere Seite. Das ist ein Grund, weshalb die lokale Bevölkerung mehrheitlich die Separatisten unterstützte. Selbst wenn man mit der lokalen Bevölkerung in den Gebieten sprach, die von der Regierung kontrolliert wurde, neigten die meisten zu den Separatisten. Darüber wurde nirgendwo informiert.
Als ich noch im Jahr 2015 ein Dorf namens Podiumivka nördlich von Donezk besuchte, erklärten empörte Einwohner, das ukrainische Militär habe sie beschossen und den örtlichen Kindergarten besetzt. Sie fürchteten, dass die Separatisten ihr Dorf beschiessen würden, weil ukrainische Soldaten anwesend waren.
Ich ging auch in ein anderes Dorf in der Nähe von Orivka, nördlich von Donezk. Dort hatten die Behörden ein Treffen mit Dorfbewohnern organisiert. Als ich ankam, war ich schockiert, wie wütend die Menschen über die ukrainischen Streitkräfte waren. Sie beschuldigten sie für alles, was ihnen widerfahren war. Sie warfen ihnen vor, Kinder zu erschrecken, Menschen zu bedrohen, Häuser zu plündern und für Schützengräben die lokale Infrastruktur zu zerstören.
Einige Einwohner beschuldigten das ukrainische Militär, Dörfer, die sie kontrollierten, zu zerstören, um dann die Separatisten zu beschuldigen.
Für alle diese Aussagen hatte ich keine Beweise. Aber einige Einheimische waren den Tränen nahe und weinten, als sie diese Geschichten erzählten. Sie konnten es nicht ertragen, dass jemand ihre Aussagen anzweifelte. Es war schockierend für mich, solche Situationen zu erleben.
Als ich zurück ins OSZE-Büro kam, fragte mich die lokale Dolmetscherin, die sich in dieser Gegend sehr gut auskannte, wie es gewesen sei. Sie war nicht sonderlich überrascht, dass diese Menschen stark zur Volksrepublik Donezk neigten.
Doch im OSZE-Bericht über meinen Besuch stand nichts davon, weil meine Aussagen nicht als faktisch gestützt galten, sondern als aufgezeichnete Gerüchte. Die Dorfbewohner erhoben Anschuldigungen, aber wir konnten diese nicht bestätigen, also waren sie sozusagen nicht existent, sie zählten nicht. Deshalb tauchten sie in unseren Berichten nie auf.
Ich habe viele solcher Aussagen gehört, zuerst in der Gegend von Kramatorsk und ausserhalb von Donezk. Und als ich dann nach Mariupol versetzt wurde, hörte ich ähnliche Aussagen der lokalen Bevölkerung.
Ich sage nicht, dass alle konkreten Anschuldigungen begründet waren. Aber zumindest zeigen sie, dass es gegenüber den ukrainischen Streitkräften eine grosse Ablehnung gab. Für einen grossen Teil der Einheimischen waren die Besatzungstruppen nicht russische oder separatistische Einheiten, sondern es waren eindeutig die ukrainischen.
Diesen Eindruck habe ich während mehrerer Jahre vor Ort an verschiedenen Orten gewonnen. Doch in den Berichten der OSZE stand davon nie etwas. Die Aussagen der Bevölkerung wurden nicht als Fakten betrachtet.
Benoît Paré
Paré begann seine Laufbahn als Offizier im französischen Militär. Bereits ab Mitte der 1990er war er in diversen internationalen Missionen aktiv: Einsätze für IFOR in Bosnien (1996), Positionen bei OSZE-Missionen in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien (heute Nordmazedonien), Kosovo sowie für ISAF und die UN im Libanon und Afghanistan. Im Donbas war er zwischen Juli 2015 und März 2020 im Einsatz, anschliessend auch im politischen Bereich in Odessa 2021 bis 2022.
Die Mission der OSZE im Donbas bestand darin, Daten zu Vorfällen unabhängig zu erfassen, das Einhalten der Menschenrechte zu überprüfen und den lokalen Dialog zu fördern.
Einer der seltenen Berichte im Westen
Eines der wenigen westlichen Medien, die über die Wut der Einheimischen auf die ukrainische Armee informierten, war ein Bericht der CNN über den Beschuss von Donezk im Jahr 2014. «Wir sind Ukrainer, aber sie töten uns, sagte ein Mann. Wahrscheinlich brauchen wir unser eigenes Land, denn diese Leute in Kiew sind keine Brüder für uns.»
Die CNN hatte ebenfalls aus der Stadt Lugansk berichtet, die am 2. Juni 2014 von Kampfflugzeugen der ukrainischen Armee bombardiert wurde.
Ähnliche Aussagen hörte ich dann wiederum, als ich in Golowka stationiert war, einer Stadt nördlich von Donezk, die zur Volksrepublik Donezk gehört. Als ich dortige Einwohnerinnen und Einwohner fragte, ob sie sich wieder der Ukraine anschliessen wollten, bekam ich oft die Antwort, es sei zu viel Blut vergossen worden. Sie sagten, wie könnten sie sich wieder einem Land anschliessen, das sie als Terroristen betrachtet und sie tötet?
Auch diese Aussagen betrachtete die OSZE nicht als sachlich. Sie wurden in unseren Berichten nicht erwähnt, sodass sie unsere Hierarchie in Kiew nie erreichten.
«Dinge, welche die Hierarchie nicht hören wollte»
Nach einer Weile merkte ich, dass es einige Dinge gab, welche die Leute in der Hierarchie einfach nicht hören wollten. Einmal berichtete mir eine Kollegin von einem Gespräch, das sie mit einem US-Botschafter hatte, der zu Besuch war. Er fragte sie: «Gibt es irgendwelche Menschenrechtsverletzungen zu melden?»
Meine Kollegin hatte zu diesem Zeitpunkt nur Beispiele für Menschenrechtsverletzungen der ukrainischen Streitkräfte. Wir wussten, dass in der Region Kramatorsk fast an jedem zweiten Tag Menschen verschwanden. Sie wurden in der Regel von Freiwilligenbataillonen oder der Streitkräfte der Ukraine (SDU) entführt und tauchten nach ein paar Tagen wieder auf. In der Zwischenzeit wurden sie in irgendeinem Keller eingesperrt und zusammengeschlagen, bis sie leere Papiere unterschrieben. Sobald sie die leeren Papiere unterschrieben hatten, wurden sie freigelassen und dann offiziell verhaftet, aufgrund der Geständnisse, die über ihre Unterschriften später hinzugefügt wurden.
Das waren Berichte, die meine Kollegin damals gesammelt hatte. Doch als sie dem US-Botschafter darüber erzählte, meinte dieser: «Tut mir leid, das interessiert mich nicht.»
Die Rolle der Ultranationalisten
Rechtsextremen, neonazistischen Ultranationalisten begegnete ich an mehreren Orten. Zuerst in Kiew, dann in Donezk, wo ich zwei Wochen verbrachte, dann in Kramatorsk, wo ich zwei Jahre lange stationiert war und dann auch in Mariupol, wo ich zwei weitere Jahre war. Mariupol ist die Heimatbasis des Azov-Regiments, das bereits im Maidan-Putsch eine Rolle spielte. In dieser Gegend war das Azov-Bataillon die Speerspitze der ukrainischen Streitkräfte.
In Mariupol erhielt ich viele Informationen, auch kompromittierende über Azov. Bald entdeckten wir das Innere einer Stellung, die vom Azov-Bataillon westlich von Schirokino gehalten wurde. Schirokino ist ein Dorf östlich von Majapir, wo von 2014 bis 2015 mehr als ein Jahr lang gekämpft wurde.
Als die separatistischen Kräfte ständig beschossen wurden und sie das Dorf nicht mehr halten konnten, zogen sie sich aus Schirokino zurück.
Eine Vereinbarung sah vor, dass das Dorf unbesetzt bleiben sollte. Aber Azov hielt sich nicht daran und besetzte das Dorf und zog sich dafür aus Stellungen weiter westlich zurück. Wir, die OSZE, beschlossen daher, diese Stellungen weiter westlich zu besetzen, da sie auf einem Hügel lagen, von dem aus man einen guten Überblick über das Tal darunter hatte. Als wir dort ankamen, entdeckten wir die von Azov vorher besetzten Gebäude. Sie hatten sie praktisch überall mit Hakenkreuzen bemalt. Ich zählte fünf oder sechs, darunter ein gemaltes Porträt von Adolf Hitler, der in einem Auto sass. Ich fand das unglaublich und machte Fotos, um diese Dinge zu dokumentieren und niemand behaupten kann, ich hätte mir das ausgedacht.
In unserem Hauptquartier in Mariupol wussten alle davon. Später entdeckte ich eine weitere ehemalige kleine Basis des Azov-Bataillons. Am Eingang stand eine Wand mit einem riesigen Hakenkreuz. Ein Einheimischer bestätigte, dass er der Besitzer des Hauses war und Azov kurz zuvor dort gewesen war.
Wenn man online recherchierte, fand man Videos von Azov-Soldaten, die mit Nazi-Flaggen in ihren eigenen Stützpunkten unter einer riesigen Nazi-Flagge paradierten. Es bestand kein Zweifel, dass es sich wieder um das berühmte Mariupol-Bataillon handelte.
Einseitige Gerichtsverfahren
Die OSZE-Mission verfolgte Gerichtsprozesse, die mit dem Konflikt zu tun hatten. Es gab zwei Arten solcher Prozesse.
Es gab einmal Prozesse gegen mutmassliche Separatisten. In der Regel hatten sie kaum etwas Ernstes getan: Telefonate geführt oder Informationen zu Bewegungen der Streitkräfte weitergegeben. Sie wurden alle verhaftet oder verurteilt, egal was passiert war.
Bei der zweiten Art von Prozessen ging es um mögliche Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Mitglieder des Azov-Bataillons oder Mitglieder des Donbas-Bataillons, einem weiteren Freiwilligenbataillon, das die ukrainische Regierung unmittelbar nach dem Start der sogenannten Anti-Terror-Operation (ATO) ins Leben rief. [Red. Bei der ATO handelte es sich um ukrainische Regierungstruppen, die zusammen mit pro-ukrainischen Freiwilligenverbänden gegen die Aufständischen in den Regionen Donezk und Luhansk kämpfen sollten.] Auch Mitglieder anderer ukrainischen Einheiten wie des Nipro-1- oder des AIDAR-Bataillons waren angeklagt.
Ich habe Zeugenaussagen über Gräueltaten gehört, die von diesen Einheiten begangen wurden. Darunter war ein erschütternder Bericht eines Priesters aus der Region Luhansk.
Was wir aus einigen der Prozesse erfuhren, wurde teilweise auch vor Gericht dokumentiert. Andere Geschichten erwähnten lokale Medien der Region Mariupol. Aber konzentrieren wir uns auf die Dinge, die vor Gericht kamen.
Während Gerichtsprozessen erfuhren wir von Entführung und Folter. Und dass die Soldaten dachten, sie könnten tun, was sie wollten. Einer der Männer, der wegen Folter und Mord angeklagt war, gehörte zu einer kleinen Gruppe innerhalb des Azov-Bataillons, die sich «SS Bears» nannte.
Ich fand ein Bild von diesen Männern. Darauf stand der Name eines der Mitglieder, dessen Prozess wir verfolgt haben. Sein Name war Mortica. Auf dem Bild sieht man etwa 12’000 Soldaten, die alle um ein Porträt von Adolf Hitler versammelt sind.
Es gab jedoch Leute, die sagten: «Ach, das ist doch nur russische Propaganda» oder «Diese Fälle sind nicht repräsentativ».
Ich sprach mit einem Mitglied des Azov-Sicherheitsteams und konnte eine der Militärbasen von Azov in Mariupol City, im Osten von Mariupol, besuchen. Es war eine Basis auf Kompanieebene. Noch bevor ich fragte, sagte mir der Sicherheitsbeamte: «Nun, wissen Sie, wenn Sie uns fragen, ob wir hier noch Nazis haben», das war 2018, «Oh ja, wir haben immer noch Nazis in unseren Reihen.[…] Wir haben nur die Verrücktesten rausgeschmissen und die anderen gebeten, diskreter zu sein.»
Das war wiederum eine Aussage aus erster Hand.
2015 hatte das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das kommunistische Symbole verbietet. Daraufhin begann man in der ganzen Ukraine, Lenin-Statuen abzureissen und sogar die Namen von Dörfern und Strassen zu ändern, die mit der Geschichte der UdSSR in Verbindung standen.
Im gleichen Gesetz wurden zwar auch Symbole des Nationalsozialismus verboten, wahrscheinlich, weil westliche Regierungen ihnen dazu geraten hatten. Denn Nazisymbole sind hinderlich, um die Erzählung von Freiheitskämpfern zu verkaufen, welche die Demokratie gegen die russischen Barbaren verteidigen.
Als dann Russland im Jahr 2022 seinen Angriff begann, konnte man auf Telegram-Kanälen feststellen, dass diskrete Nazi-Symbole wieder auf den Uniformen der ukrainischen Streitkräfte auftauchten – allerdings nicht so auffällig wie Hakenkreuze, da diese zu offensichtlich sind. Die Neonazis verwendeten andere Symbole wie die «Schwarze Sonne».
Warum die Minsker Abkommen den Krieg nicht verhinderten
Ich drücke mich klar aus. Für mich liegt die Schuld in erster Linie bei der Ukraine. Die Minsk-Abkommen begannen im September 2014. Dann gab es das sogenannte Minsk-II-Abkommen, das am 12. Februar 2015 unterzeichnet wurde. Dieses ist das präziseste Abkommen von allen. Es umfasst 13 Punkte.
Diese 13 Punkte sind in einigen Aspekten ganz klar. Es war offensichtlich, dass die Vorgaben zur politischen Beilegung des Konflikts vollständig von der Ukraine in Gesetzen und einer Verfassungsbestimmung zu verabschieden waren. Wenn man das politische Problem, das die Wurzel des Konflikts ist, nicht löst, kann man nichts lösen.
Es drehte sich alles um die Tatsache, dass der Donbas einen Autonomiestatus erhalten sollte. Es ging nicht um Unabhängigkeit, sondern um Autonomie innerhalb der Ukraine. Dafür hätte das ukrainische Parlament zwei verschiedene Beschlüsse verabschieden müssen. Ein Gesetz sollte den besonderen Autonomiestatus für diese Donbas-Regionen schaffen. Und eine Verfassungsänderung sollte das Gesetz in Kraft setzen.
Die Ukraine hätte also nach den Vorgaben der Minsk-Verträge ihre Verfassung ändern müssen, um einen Autonomiestatus für den Donbas zu schaffen (eigene Polizeikräfte, Mitbestimmung bei lokalen Staatsanwaltschaften und Richtern, besondere Wahlkreise, begrenzte Selbstverwaltung sowie finanzielle Unterstützung durch die Ukraine). Die Verfassungsänderung erforderte im Parlament eine Zweidrittelmehrheit.
Am 31. August 2015 nahm das ukrainische Parlament die Verfassungsänderung in einer ersten Lesung an, wie es der Zeitplan des Minsker Abkommens vorsah. Während der Sitzung kam es zu heftigen Kontroversen im Saal und Protesten vor dem Parlament. Kritiker warfen der Regierung «Kniefall vor Russland» vor. Nationalistische Abgeordnete blockierten zeitweise die Tribüne.
Draussen hatten sich mehrere Tausend nationalistischer Demonstranten versammelt, vor allem Anhänger nationalistischer Parteien wie Swoboda und Pravy Sektor. Sie waren entschieden gegen jegliche Zugeständnisse an die Separatisten. Nach der Abstimmung warf einer der Nationalisten eine Handgranate auf die Polizeikette. Es gab drei tote Polizisten, einen getöteten Journalisten, Dutzende Verletzte.
Eine zweite Parlamentslesung sollte im Dezember 2015 die Verfassungsänderung endgültig verabschieden. Doch angesichts der ultranationalistischen Opposition kam die von Minsk-II vorgegebene Verfassungsänderung nicht zustande. Damit trägt die Ukraine für das Scheitern der Minsk-Abkommen meiner Meinung nach die Hauptschuld.
Die einzige Möglichkeit, auf die Umsetzung des Minsker Abkommens zu hoffen, war ein Machtwechsel im Parlament. Das hiess warten bis 2019. Zwischen 2015 und 2019 bewegte sich politisch nichts mehr.
Schwere Verletzungen des Waffenstillstands
Regelmässig wurde gegen den Waffenstillstand verstossen. Die Ukraine machte dafür fast immer die Separatisten verantwortlich.
Ich hatte damals alle Daten zur Verfügung und erstellte Statistiken: Drei Viertel aller Sachschäden im Gebiet Luhansk stellten wir auf der Seite der Separatisten fest. Sie wurden also von den ukrainischen Streitkräften verursacht. Ähnlich verteilt waren in den Jahren 2016 und 2018 die Opfer von Zivilisten. Ich stellte fest, dass 72 Prozent der Opfer von Beschuss und Schüssen auf der Seite der Separatisten zu beklagen waren. Sie wurden also von den ukrainischen Streitkräften verursacht.
Damit zeigten die Statistiken der Opfer und der Sachschäden ein übereinstimmendes Bild.
Doch die OSZE veröffentlichte nur einen kleinen Teil dieser Daten. Im Jahr 2016 war es das einzige Mal, dass die OSZE in einem Bericht – etwas versteckt auf Seite 7 – Daten veröffentlichte, aus denen hervorging, dass es mehr Opfer auf der Seite der Separatisten gab als auf der Seite, die von der Regierung kontrolliert war.
Als diese Zahlen veröffentlicht wurden, reagierte die ukrainische Regierung wütend und beschuldigte die OSZE, von russischen Beobachtern in die Irre geführt worden zu sein. Diese hätten die Daten gefälscht.
Das war eine lächerliche Behauptung. Ich war an der Erarbeitung der Statistik beteiligt und kann sagen, dass es keinen einzigen Russen gab, von dem ich wüsste, dass er an dieser ersten Sammlung von Informationen vor Ort und der anschliessenden Analyse beteiligt war.
Es gab ohnehin keinen einzigen russischen Staatsbürger, der innerhalb der OSZE in der Ukraine eine Machtposition innehatte. Russen erledigten lediglich logistische Aufgaben.
Ich wusste genau, dass die Daten, über die wir verfügten, zuverlässig waren, weil wir jede einzelne Behauptung aus drei verschiedenen Quellen überprüfen mussten: aus einer medizinischen Quelle, aus einer offiziellen Quelle und von einer Quelle aus der Familie. Wenn nur eine dieser drei Quellen fehlte, galt der Fall als nicht bestätigt und wir nahmen ihn in unsere Statistik nicht auf.
In der Region Luhansk gab es viele Fälle, für die wir nur zwei Quellen hatten. Das bedeutete jedoch nicht, dass diese Opfer nicht existierten.
Das war also das einzige Mal, dass die OSZE diese Statistiken veröffentlicht hatte. Weil die ukrainische Regierung protestierte, beschloss unser Missionsleiter, ein türkischer Botschafter, in Zukunft keine solchen Statistiken mehr zu veröffentlichen. Die OSZE gab dann nur noch Gesamtzahlen der Opfer für den gesamten Donbas bekannt.
Die OSZE in der Ukraine weigerte sich, die «Details» zu publizieren. Die Öffentlichkeit sollte nicht mehr erfahren, wer tatsächlich für die meisten dieser Opfer verantwortlich ist. Durch diese Unterlassung haben wir das ukrainische Volk belogen. Die Ukrainer waren die ersten, die ein Recht darauf hatten, die Wahrheit zu erfahren.
Weil sie nur hörten und lasen, was ihre eigenen politischen Parteien sagten und was in ihren Zeitungen stand, waren viele überzeugt, dass die Separatisten auf russischer Seite für die meisten der 14’000 Toten verantwortlich seien. Das wurde ihnen jeden Tag erzählt.
Meiner Meinung nach haben wir unser Mandat verraten. Deshalb habe ich mein Buch geschrieben.
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*Ce que j’ai vu en Ukraine – Journal d’un observateur international», 2025-2022. 30. April 2025, 32 Euro.
«What I Saw in Ukraine: 2015-2022 – Diary of an International Observer», 22. Mai 2025, 29 Euro
Aus dem Verlagstext:
«A unique account of its kind, precise, sensitive, and personal, seen from the inside of an international mission at the heart of the Donbass war. The reality on the ground, from the front lines.
New revelations, notably concerning civilian casualties, human rights violations, conflict-related trials, and the manipulation of facts. And then, how the US-sponsored Ukrainian ultra-nationalist project provoked Moscow’s reaction. This book is primarily intended for those who prioritize facts over partisanship and who want to understand how the deadliest conflict in Europe since World War II came about.»
Die so andere Geschichte der Halbinsel Krim
Es war die Ukraine und nicht Russland, welche sich die Krim gegen den Willen der dortigen Bevölkerung angeeignet hatte. Ein historischer Rückblick im Infosperber vom 8. August 2025.
Für Putins Krieg gegen die Ukraine gibt es keine Entschuldigung
upg. Es kann durchaus sein, dass es ohne Osterweiterung der Nato und ohne Absicht, die Ukraine in die Nato aufzunehmen zu keinem Krieg gekommen wäre. Doch auch wenn sich Russland von der Nato eingeschnürt fühlte, war Russland existenziell nicht bedroht. Angegriffen wurde Russland schon gar nicht. Deshalb gibt es nichts, das den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertigt.
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*Zuerst erschien über diesem Artikel ein Bild mit einem ukrainisches Azov-Bataillon des Jahres 2014, auf dem Soldaten ein Hakenkreuz zeigten. Wir erhielten eine Nachricht, das Bild sei wahrscheinlich manipuliert worden. Deshalb haben wir es ersetzt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.








Nun. es gab dort ja auch andere Kriegsberichterstatter. Was sagen die zu dem vorliegenden Bericht?
Nach dem russischen Einmarsch gab es auf der ukrainischen Seite fast nur «eingebettete» westliche Journalisten und in den von Russland kontrollierten Gebieten des Donbas war Patrik Baab, früher beim MDR, wohl der einzige Journalist, der sich auf beiden Seiten der Front aufhielt. Seine Beobachtungen und Erfahrungen vor Ort veröffentlichte er in seinem Buch «Auf beiden Seiten der Front».
Für mich als Deutschen ist es unerträglich, dass eine deutsche Regierung ein in Teilen faschistisches Regime in der Ukraine unterstützt, anstatt sich ernsthaft für Frieden einzusetzen. Für mich auch unverständlich, dass Selenski als Jude, dessen Großvater in der Roten Armee gegen Deutsche und deren Kollaborateure kämpfte, sich auf solche Leute stützt. Ohne den Sieg der Roten Armee hätte es einen Selenski nie gegeben; alle Juden dort wären ermordet worden. Wie kann man auf seinen eigenen Großvater und auf die Vergangenheit so spucken, wie er es tut? Die ukrainische SSR bekam überdurchschnittlich hohe Zuwendungen aus dem Sowjethaushalt und konnte eine leistungsfähige Wirtschaft und Energieerzeugung aufbauen; weder war die ukrainische Sprache noch ukrainisches Brauchtum noch die Kultur verboten. Die Stadt Stanislaw erhielt 1962 ihren heutigen Namen Iwano-Frankiwsk, nach dem großen ukrainischschreibenden Literaten Iwan Franko. Der anti-russische Nationalismus ist künstlich erzeugt.
Sehr geehrter Herr Gasche. Herzlichen Dank für den Artikel. Leider gibt es in der CH kaum noch Publikationen, die das gängige Narrativ des an allen Übeln schuldige Russen in Zweifel ziehen. Möge Ihr Artikel möglichst weite Verbreitung finden.