Weltordnung a la USA

Weltordnung à la USA vs regelbasierte Weltordnung © The American Conservative

Die USA halten sich nur ans Völkerrecht, wenn es ihnen passt

Urs P. Gasche /  Kleinstaaten sind davon abhängig, dass sich Grossmächte an Regeln halten. Doch die Schweiz prangert Verstösse der USA nicht an.

Ein kürzliches Beispiel ist der bindende Beschluss des UN-Sicherheitsrats, der eine sofortige Waffenruhe in Palästina verlangt. Die USA liessen den Beschluss zu, indem sie sich der Stimme enthielten. Die USA wären in der Lage, den Beschluss des Sicherheitsrats durchzusetzen, indem sie die Waffenlieferungen an Israel stoppen.

Doch die USA erklärten kurz darauf, sie würden den Beschluss für «nicht bindend» erachten. Mit anderen Worten: Beschlüsse des Sicherheitsrats würden kein internationales Recht schaffen.

Gegen diese willkürliche Auslegung des Völkerrechts war von offizieller Schweizer Seite kein Protest zu hören. Es gab auch keine öffentlichen Reaktionen, obwohl kleine und mittlere Staaten vor Willkür und Druckversuchen von Grossmächten nur einigermassen geschützt sind, wenn auch diese die internationale Rechtsordnung einhalten. 

Blinken: «Die regelbasierte Ordnung bewahrt die weltweite Stabilität»

Am Vorabend von Russlands völkerrechtswidriger Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 hatte Aussenminister Antony Blinken gewarnt vor einem «gefährlichen Moment für das Fundament der Charta der Vereinten Nationen und für die auf Regeln basierende internationale Ordnung, die weltweit die Stabilität bewahrt». Bedroht seien die Grundprinzipien, die Frieden und Sicherheit garantieren: «Prinzipien, die nach zwei Weltkriegen und einem Kalten Krieg festgeschrieben wurden.» 

Doch die USA würden dazu neigen, sich nur dann auf das Völkerrecht zu berufen, wenn es ihnen nütze, schrieb Spencer Ackerman, Kolumnist für Aussenpolitik bei «The Nation». Sobald das Völkerrecht den Interessen der USA zuwiderlaufe, würden die USA das internationale Recht regelmässig verletzen und die Verstösse damit begründen, die USA müssten für eine globale Stabilität sorgen. Sie meinten damit eine von den USA dominierte Weltordnung.

Mit dieser Haltung würden die USA das internationale Recht schwächen. Denn eine auf Regeln basierende Ordnung, welche die US-Regierungen gerne zitieren, doch an die sich die USA und ihre Verbündeten nicht halten müssen, untergrabe grundlegend den Zweck und Sinn des internationalen Rechts.

Das sei der Grund, weshalb viele Staaten der südlichen Erdhalbkugel die Ukraine und die Sanktionen gegen den Aggressor Russland nur halbherzig oder gar nicht unterstützen. Denn sie selber wurden direkt oder indirekt bereits Opfer von Angriffen oder Sanktionen der USA, welche das Völkerrecht verletzten. 

USA stellten Eigeninteressen über das Völkerrecht

Ackermann erinnert an folgende Fälle, bei denen die USA ihre eigenen Interessen über das Völkerrecht stellten:

  • Ein krasses Beispiel ist die US-Invasion im Irak im Jahr 2003. Die Regierung von George W. Bush rechtfertigte den Angriff zynisch damit, der Irak halte sich nicht an Abrüstungsbeschlüsse der UNO. Der vermeintliche Rechtsbrecher Irak musste Zerstörung und militärische Besatzung über sich ergehen lassen, während Washingtons unübertroffene militärische und wirtschaftliche Macht dafür sorgte, dass die USA für diese Invasion ohne UN-Ermächtigung keine Konsequenzen zu befürchten hatte. 
  • Ebenfalls im Jahr 2003 verabschiedeten die USA ein Gesetz, das vorsah, «alle erforderlichen Mittel» einzusetzen, um die vom Internationalen Strafgerichtshof rechtmässig inhaftierten Amerikaner freizubekommen.
  • Während des libyschen Aufstands 2011 nutzten die USA und ihre Verbündeten die Genehmigung des Sicherheitsrats für eine Flugverbotszone, um Muammar Ghaddafi zu stürzen. US-Truppen operieren nun schon seit mehr als acht Jahren im Osten Syriens, lange genug, um zu vergessen, dass es für ihre Anwesenheit keine völkerrechtliche Grundlage gibt.
  • Was Israel in Gaza tut, verstösst eindeutig gegen das Völkerrecht. Bereits zwei Monate vor der Verabschiedung der Resolution Nr. 2728 des Sicherheitsrats entschied der Internationale Gerichtshof, dass die anhaltenden israelischen Angriffe als Völkermord angesehen werden können. Er forderte Israel auf, Massnahmen zu ergreifen, die einen Völkermord verhindern. Vor zehn Tagen empfahl die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete, Francesca Albanese, den Mitgliedsstaaten, Waffenlieferungen an Israel «unverzüglich» zu verbieten, da Israel «die vom internationalen Gerichtshof angeordneten verbindlichen Massnahmen offenbar nicht befolgt» habe. 
    Washington bewaffnet einen Staat, den der Sicherheitsrat der UNO aufgefordert hat, den Kampf einzustellen.

Diese Realitäten seien dem Rest der Welt nicht entgangen. Das Gemetzel in Gaza habe einige ausländische Beamte und Gruppen davon abgehalten, US-Beamten in anderen Fragen zuzuhören. Annelle Sheline, eine Menschenrechtsbeauftragte des Aussenministeriums, die kürzlich wegen des Gazastreifens zurückgetreten ist, sagte der Washington Post, dass einige Aktivistengruppen in Nordafrika sich mit ihr und ihren Kollegen nicht mehr treffen. «Der Versuch, sich für die Menschenrechte einzusetzen, wurde einfach unmöglich, während die USA Israel unterstützen», sagte sie.

Eine Dynamik, die stark an das erinnere, was ausserhalb Europas geschah, als US-Diplomaten vor zwei Jahren weltweit um Unterstützung für die Ukraine warben. Sie stiessen auf «eine sehr deutliche negative Reaktion auf die amerikanische Neigung, die globale Ordnung zu definieren und Länder zu zwingen, Partei zu ergreifen». Das erklärte Fiona Hill, eine Wissenschaftlerin der Brookings Institution, in einer Rede im vergangenen Jahr.

Ein nächstes Mal würden die USA auf noch weniger weltweite Unterstützung zählen können, wenn die USA sie gegen einen Gegner erwarten, meint Ackermann: 

«Die jüngste Resolution des Sicherheitsrats könnte in Erinnerung bleiben als Anfang des Niedergangs der regelbasierten internationalen Ordnung – also eigentlich der Ordnung, welche die USA aufbauen und erhalten wollen. 
Die aufstrebenden Mächte werden sich gerne auf den amerikanischen Präzedenzfall berufen, wenn sie ihre eigenen Ausnahmen vom Völkerrecht geltend machen. Gaza zeigt auch auf grausame Weise, dass die Schwächsten am meisten leiden, wenn sich die Mächtigen nicht ans Völkerrecht halten.» 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Siehe Infosperber vom 15. April 2024:
So einseitig und scheinheilig sind Baerbock, Macron und Medien

Zum Infosperber-Dossier:

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Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

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10 Meinungen

  • am 17.04.2024 um 12:18 Uhr
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    So ist es! Wer die Macht hat, hat oft auch das Recht. Und am Schluss diktiert meist die Wirtschaft. Und da zählen rechtliche und ethische Grundsätze nur, solange sie als Verkaufsargumente dienen.

    Die Kritik dazu ist wichtig, aber das doppelzüngige Verhalten der Politik war, schon seit der Mensch sesshaft wurde, ein Merkmal eben desselben.

    Und: Es gibt nichts Menschlicheres als Krieg, Mord und Totschlag.

  • am 17.04.2024 um 13:26 Uhr
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    Warum richtet sich nun diese Kritik nur an die USA? Die UNO müsste alle Mitglieder, die das Völkerrecht nicht einhalten verklagen und notfalls ausschliessen, so etwa die USA und Russland.
    Dass die UNO die Vetorechte im Sicherheitsrat nicht abzuschaffen vermag ist ein Armutszeugnis für die GV und die 193 Mitgliedsländer, auch für die Schweiz So lange das so bleibt, kann man die UNO vergessen.

  • am 17.04.2024 um 13:53 Uhr
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    Die Schweiz betont ständig die Wichtigkeit insbesondere des humanitären Völkerrechts. Aber sie hält sich selber nicht daran. Einerseits betrachtet sie die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten als völkerrechtswidrig. Andererseits anerkennt sie die Legalität dieser Siedlungen, indem sie den Handel mit ihnen zulässt und sie dadurch fördert. Jährlich werden Güter im Wert von mehreren hundert Millionen Franken aus den illegalen Siedlungen auf dem Schweizer Markt abgesetzt (https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/menschenrechte/kolonisierung-von-besetztem-gebiet-ist-ein-kriegsverbrechen/). Sie gewährt «gemeinnützigen» Organisationen Steuerbefreiung, welche in die völkerrechtswidrigen Siedlungen investieren. Auch die Schweiz wendet das Völkerrecht selektiv an, gehorsam fügt sie sich der US-geführten «Wertegemeinschaft».

  • am 17.04.2024 um 17:55 Uhr
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    USA stellten Eigeninteressen über das Völkerrecht!
    Das war schon immer so!
    Wann emanzipiert sich Europa endlich von dieser schrecklichen Hegemonialmacht?

  • am 18.04.2024 um 02:19 Uhr
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    Danke für diesen kritischen Artikel. Welche Medien berichten kritisch über das Verhalten der Schweiz, insbesondere des Aussendepartements? Ausser Jacques Baud, früherer Nachrichtendienstler (sorry, ich erwähne ihn halt oft), hat sich noch selten ein Journalist gewagt, die Medien und die Schweiz in ausserpolitischen Angelegenheiten in Frage zu stellen. Fehlt es der Schweiz an Kompetenzen, an Mut und Rückgrat, oder hält sie sich als ein «Little America»? Es ist höchste Zeit, dass sich die Bevölkerung bewegt!

  • am 18.04.2024 um 06:04 Uhr
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    Die USA haben lediglich ein Eigeninteresse daran, eine regelbasierte Ordnung aufzubauen und einzufordern: Damit sie sich selbst nicht daran halten müssen weil sie die Regeln nach Belieben ändern, sobald es nicht mehr zu Ihrem Vorteil ist.

    Der Neo-Kolonialismus mit den Kolonien Europa, Asien und Afrika kommt zu einem Ende, da sich die Kolonien auflehnen (ausser Europa welche in blindem Gehorsam als Vasall hinterherrennt).
    Es war auch das erklärte Ziel der US Aussenpolitik spätestens seit des zweiten Weltkriegs eine Emanzipation von Europa bzw eine Annäherung an Russland zu verhindern da sie genau wissen, dass sie gegen eine solche Grossmacht (Ressourcen und Produktionskapazitäten) nichts ausrichten könnten. Teile und herrsche.

  • am 18.04.2024 um 08:49 Uhr
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    Man liest immer wieder von «Russlands völkerrechtswidriger Invasion in der Ukraine» und vergisst, dass Moskau sich auf Artikel 51 sowie UNSCR 2202 beruft, während die Regel basierte Ordnung nicht niedergeschrieben ist.
    Vielleicht sollte man bei der russischen Botschaft nachfragen wie Russland das interpretiert.

  • am 18.04.2024 um 11:06 Uhr
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    Die USA wollen keine Waffenruhe in Palästina. Sie liefern seit der Staatsgründung Israel die Waffen. So macht die amerikanische Rüstungsindustrie ihre Geschäfte.
    Seit Jahrzehnten werden die USA bewundert und bejubelt. Sie verpacken ihre unzähligen Kriege in „Frieden“ und in eine so genannte „regelbasierte“ Ordnung als Weltmacht, und die Europäer laufen immer brav und willig als „Verbündete“ hinterher.

    • am 19.04.2024 um 05:46 Uhr
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      Ich bin genau gleicher Meinung.
      Ausser: Europa wurde so „erzogen“. Stichwort Marshall Plan.

      Die Kinder lernen in der Schule, dass die USA mit GB und FR Europa gerettet haben.
      Russland wird oft ignoriert. 2022 wurde darüber debattiert, den Tag der Befreiung nicht zu begehen, da dadurch der Russische Angriffskrieg in der Ukraine legitimiert werden könnte.

      Es ist für mich sehr einfach nachvollziehbar, dass diejenigen die das Geld in einen „Wiederaufbau“ nach einem grossen Konflikt stecken auch die Wahrheit über die Interpretation der Ereignisse die dazu geführt haben „definieren“. Solche Vorgänge wiederholen sich in der Geschichte immer wieder, ein Umstand den die USA konsequent nutzen um ihre hegemonialen Ansprüche durchzusetzen. Alle grossen Strukturen scheinen aber eine gewisse kritische Grösse nicht überschreiten zu können und brechen dann zusammen, weshalb dezentral organisierte Konstrukte deutlich stabiler sind. Ein Grund mehr, auf eine multipolare Weltordnung zu setzen!

  • am 20.04.2024 um 19:54 Uhr
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    Manchmal schäme ich mich Schweizer Staatsbürger zu sein. Jüngstes Beispiel gefällig: Als es am vergangenen Donnerstag im UNO-Sicherheitsrat darum ging, einen Antrag an die Generalversammlung zu stellen, um Palästina als Vollmitglied in die Vereinten Nationen aufzunehmen, haben 12 der 15 Mitglieder dem Antrag zugestimmt. Darunter Frankreich, Slowenien, Malta und Japan. Lediglich Grossbritannien und die Schweiz haben sich der Stimme enthalten!
    Natürlich ist der Antrag am Veto der USA – zugunsten von Israel – gescheitert. Auch die Enthaltung von GB ist nicht verwunderlich. Aber die Begründung der Schweizer Uno-Botschafterin Pascale Baeriswyl zur Enthaltung der Schweiz ist fadenscheinig: Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der Uno zu einem Zeitpunkt zu vollziehen, wenn sich ein Frieden abzeichne.
    Mutlose Diplomatie.

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