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Reporter Peter Gysling (r.) mit dem georgischen Milliardär und neuen Premier Bidsina Iwanischwili. © SRF/Dok

Die Seidenstrasse zwischen Boom und Elend

Jürg Müller-Muralt /  Das Fernsehen SRF hat eine eindrückliche Reportage zur Seidenstrasse produziert, eine von westlichen Medien vernachlässigte Region.

Eine romantische Route war sie nie, die Seidenstrasse, trotz ihres klingenden Namens und ihrer mythenumrankten Vergangenheit. Schon immer war sie voller Gefahren für alle, die sie benutzten, Händler, Forscher, Armeen und Glücksritter. Es gab auch nie nur eine einzige Route, sondern ein Netz von Wegen, die das Mittelmeer mit China verbanden und verbinden. Ab dem 13. Jahrhundert setzte der Niedergang ein, der Seeweg wurde billiger und sicherer. Doch jetzt wird die grosse Ost-West-Landverbindung wieder wichtiger. Vor allem die Nordroute durch Zentralasien via Türkei, Georgien, Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan erlebt eine eigentliche Renaissance mit zahlreichen Fernstrassenprojekten.

Südroute kaum passierbar

Die Gründe für diese Renaissance: Die Staaten Zentralasiens erleben einen Wirtschaftsboom, gleichzeitig ist die südliche Route durch Länder wie Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan wegen der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Lage so gut wie unpassierbar. Trotzdem beschäftigen sich die westlichen Medien fast ausschliesslich mit dem südlichen Krisengürtel und kaum mit Zentralasien. Umso verdienstvoller ist es, dass ein Team des Schweizer Fernsehens SRF um Peter Gysling, Moskauer Korrespondent und Kenner Zentralasiens, und Christoph Müller in ihrer DOK-Serie Seidenstrasse im November und Dezember 2012 etwas genauer hingeschaut hat. Nun liegt auch ein reich illustriertes, äusserst informatives Buch zur mehrteiligen Fernsehsendung vor (Angaben siehe unten).

Kein Aufwand wurde gescheut

Vor allem gelingt es den Autoren, nebst den landschaftlichen Reizen und dem reichen kulturellen Erbe die grossen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme und Widersprüche herauszuarbeiten. Entstanden ist ein eindrückliches Dokument der ungleichen Lebenschancen und der prekären Lebensverhältnisse in einer Weltgegend mit grossem Rohstoffreichtum. Bei den Recherchen unter teils widrigen Bedingungen (Stichwort Dreherlaubnis in autokratisch regierten Ländern) wurde kein Aufwand gescheut. Zwei besonders eindrückliche Beispiele in Film und Buch: Der Besuch bei Bidsina Iwanischwili, unermesslich reicher Unternehmer und seit Oktober 2012 Ministerpräsident Georgiens. Und der Besuch bei der Fotografin Rena Effendi in Aserbaidschans Hauptstadt Baku, die das Leben jener dokumentiert, an denen der wachsende Reichtum der Gegend spurlos vorüberzieht.

Besuch beim Oligarchen von Tiflis

Der 56-jährige Bidsina Iwanischwili wirkt im Film beinahe schüchtern. Doch er ist reich, mit seinem Sechs-Milliarden-Privatvermögen hat es der Sohn eines armen georgischen Minenarbeiters auf die Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt geschafft. Er arbeitete sich beharrlich nach oben, ging nach Russland, verkaufte Computer und Telefone und gründete dann eine Bank: «Die Bank betrieb nicht nur ein florierendes Geschäft mit Kleinkunden, sie wurde auch zur Hausbank mehrerer staatlicher Organisationen, wie etwa der Steuer- und Zollbehörden. In diesem Filz zwischen Behörden, ehemaligen Funktionären und den neuen Kapitalisten wusste sich Iwanischwili so zu bewegen, dass sein Vermögen sich in wenigen Jahren vervielfachte. Über die Methoden in dieser Zeit der wilden Kapitalakkumulation spricht er nur ungern. Da unterscheidet er sich nicht von den anderen Oligarchen», heisst es im Buch.

«Georgischer Traum»

Anfang der Neunzigerjahre, als die sowjetische Industrie privatisiert wurde, kaufte Iwanischwili viele ehemalige Staatsbetriebe zu einem Schnäppchenpreis. Er spezialisierte sich auf Metalle und Edelmetalle. Und er sammelte Kunst, die gemäss Experten gegenwärtig einen Wert von einer Milliarde Dollar aufweist. Mit der Rosenrevolution kehrte er nach Georgien zurück. Und er wurde Wohltäter: «Tschorwila, seinen Heimatort, hat er in ein Muster verwandelt für das, was er gerne seinen ‚georgischen Traum‘ nennt. Hier sind die Strassen sauber geteert und sauber gereinigt. Die Häuser neu gebaut. Das Gesundheitswesen ist kostenlos. Die Kranken, Invaliden oder Familien mit vielen Kindern bekommen generöse Unterstützung. Für 17 000 Einwohner gab es kostenlos Heizöfen, Fernsehen ist ebenfalls gratis und ebenso die DVD-Player. Für alles das – vier Spitäler, Häuser, Stipendien, 40 neue Schulhäuser – hat ein Einziger bezahlt: Bidsina Iwanischwili.»

Land und Leute gekauft

Auch mit sich selbst ist Iwanischwili grosszügig: In seinem Heimatdorf hat er sich eine pompöse Villa gebaut, mit Fitnesszentrum und Zoo. Und beim Besuch in seinem Anwesen in der georgischen Hauptstadt hat es dem Fernsehteam gar «den Atem verschlagen»: «Hoch über Tiflis hat sich Iwanischwili einen Palast aus Stahl und Glas bauen lassen, auf dem Berg, der dem Präsidentenpalast gegenüberliegt. Eine eigentliche Trutzburg, Aug in Auge mit dem Präsidenten.» Mit diesem, Micheil Saakaschwili, hat er sich mittlerweile überworfen. Die Politik des Staatspräsidenten war ihm, der seine Geschäftsbasis in Russland hatte, zu russlandfeindlich. Im Oktober gewann er mit seiner auf ihn zugeschnittenen Partei die Parlamentswahlen und wurde Ministerpräsident. Jetzt ist er auch offiziell das, was er schon lange war: der mächtigste Mann im Land. Einer, der Land und Leute buchstäblich gekauft hat.

Fotografin als soziales Gewissen

Szenenwechsel etwas weiter östlich auf der Seidenstrasse: Besuch bei der Fotografin Rena Effendi in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, eine Fotografin, die sich nicht für Postkartenmotive interessiert. Sie gibt jenen ein Gesicht, die in verseuchten Werksruinen ihr Zuhause gefunden haben. Man nennt Rena Effendi das soziale Gewissen Aserbaidschans. Sie empört sich darüber, dass die untersten Schichten nichts vom Ölreichtum des Landes mitbekommen. Jahrelang dokumentierte sie den Alltag und die Armut der Landbevölkerung entlang der 1700 Kilometer langen Öl-Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan. Diese Fotos machten sie weltberühmt.

In Baku sind ihre Bücher nicht erhältlich, sie werden im Schweizer Benteli-Verlag publiziert. Im Oktober 2012 erschien das Buch mit dem Titel «Land ohne festen Boden» (Link siehe unten). Rena Effendi durfte ihre eigenen Bücher nicht einmal in ihr eigenes Land bringen, sie wurden beschlagnahmt.

«Ein bisschen Diktatur kann nicht schaden»

Auf Schritt und Tritt wird das Reportageteam mit den Problemen der zentralasiatischen Autokratien konfrontiert. Gezeigt werden jene, die auf der Sonnenseite leben ebenso, wie jene, die die harte Hand der postsowjetischen Herrschaftssysteme zu spüren bekommen. Der Chefarchitekt der kasachischen Hauptstadt Astana meint mit entwaffnender Offenheit, «ein bisschen Diktatur kann nicht schaden». Nur so bringe man die Dinge voran. Anders fällt das Urteil des in Taschkent lebenden und arbeitenden russischen Journalisten Alexei Wolossowitsch aus. Er harrt in Usbekistan aus, obschon er als unabhängiger Journalist in den staatlichen Medien praktisch nichts publizieren kann, ausser auf drei Internetseiten. Staatsbeamte antworteten auf Fragen unabhängiger Journalisten grundsätzlich nicht, die offiziellen Verlautbarungen seien «in der Regel lügenhaft». Das Recherchieren ist mit Risiken verbunden. Trotzdem bleibt er: «Es ist vielleicht gefährlich hier, aber auch interessant.» Und dann beklagt er sich bitter über die internationalen Medien: «Europäisch-amerikanische Medien haben wenig Interesse für unsere Region».

Die DOK-Serie Seidenstrasse des Schweizer Fernsehens SRF gibt hier verdienstvollerweise ein wenig Gegensteuer.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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