Kommentar

Der Deutsche Evangelische Kirchentag übt Zensur aus

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Die Vertreibung und Flucht von 750’000 Palästinenserinnen und Palästinensern 1948 darf man am Kirchentag nicht thematisieren.

«Jetzt ist die Zeit!» – unter diesem biblischen Motto aus dem Markus-Evangelium findet vom 7. bis 11. Juni in Nürnberg der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) statt. Erwartet werden bis zu 100’000 TeilnehmerInnen.  «Wichtige Themen der Zeit werden diskutiert, Fragen nach Frieden und Gerechtigkeit… und der Würde des Menschen gestellt», kündigt der DEKT in seinen Einladungen und Werbematerialien für die Grossveranstaltung an. 

Der Präsident des Kirchentages, Bundesminister a.D. (Verteidigung und Innen) Thomas de Maizière (CDU) betont: «Wir brauchen einen offenen, ehrlichen Austausch untereinander, um der Zeit gerecht zu werden und gemeinsame Schritte zu gehen.»

Die Ausstellung wurde schon in über 150 Städten gezeigt

Diese wohlklingenden Ankündigungen gelten allerdings nicht für das Konfliktthema Israel/Palästina. Die Wanderausstellung «Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948» thematisiert die Vertreibung und Flucht von rund 750’000 PalästinenserInnen im Jahr 1948 – zunächst durch jüdisch-zionistische Milizen und nach der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 durch die Streitkräfte des Landes – darf ausgerechnet zum 75. Jahrestag dieses Geschehens auf dem Kirchentag DEKT in Nürnberg nicht gezeigt werden. 

Nur mit dieser Verbotsauflage erhielt der Verein «Flüchtlingskinder im Libanon» (FiL) e.V., der die Nakba-Ausstellung im Jahr 2008 aus Quellen israelischer Historiker konzipiert hatte, von der DEKT-Geschäftsstelle in Fulda die Zulassung für einen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten beim Nürnberger DEKT. 

Dieses von DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn und der für das Kirchentagsprogramm verantwortlichen Studienleiterin Stefanie Rentsch im November letzten Jahres übermittelte Verbot kam sehr überraschend. Denn auf vergangenen Kirchentagen seit 2010 wurde die Nakba-Ausstellung ohne Probleme gezeigt. Ebenfalls seit 2008 in über 150 Städten im In-und Ausland, auch in Basel, Bern, Biel, St. Gallen, Zürich und Bülach sowie bei der EU in Brüssel und der UNO in Genf.

Die Verantwortlichen drücken sich um eine Begründung

Für die Verbotsentscheidung gaben Jahn und Rentsch auch auf mehrfache Nachfragen hin keine Begründung. Die Entscheidung habe das für «das Programm des Kirchentages gesamtverantwortliche DEKT-Präsidium» getroffen «nach vorheriger Durchsicht und Prüfung» der Bewerbung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon «durch ein vom Präsidium eingesetztes Expertengremium».

Auch zahlreiche schriftliche Nachfragen bei dem «gesamtverantwortlichen» Präsidium nach den Gründen für das Verbot seit November letzten Jahres wurden bis Ende Februar nicht beantwortet. Selbst langjährige ehemalige Mitglieder des Präsidiums wie die frühere Kirchentagspräsidentin Elisabeth Raiser und ihr Mann, der ehemalige Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Konrad Raiser, erhielten keine Antwort.

Der aktuelle Kirchentagspräsident Thomas de Maizière reagiert auf Briefpost an seine Dresdner Anschrift bisher nicht. Anfragen per E-Mail-Schreiben an sein Büro lässt der Kirchentagspräsident durch seine Mitarbeiterin, die Flensburger CDU-Landtagsabgeordnete Uta Wentzel mit diesen Worten abwimmeln: «Das Schreiben wurde gar nicht gelesen und daran besteht auch überhaupt kein Interesse. Wenn Sie vom DEKT keine Antwort auf Ihre Frage erhalten, müssen Sie sich halt damit abfinden.»  

Von den übrigen 30 Mitgliedern des Präsidums (darunter Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, BWI-Staatssekretär und ATTAC-Mitbegründer Sven Gigold sowie BGH-Präsidentin Bettina Limperg) und den acht «ständigen Gästen» des Präsidiums aus der für den DEKT in Nürnberg gastgebenden Bayerischen Landeskirche, darunter Bischof Heinrich Bedford Strohm, antworteten nur wenige, die an die DEKT-Geschäftsstelle in Fulda verwiesen. 

Auffällig viele der Angefragten erklärten zudem, sie seien gar nicht auskunftsfähig. Denn sie hätten an der Präsidiumssitzung, auf der das Verbot der Nakba-Ausstellung beschlossen wurde, gar nicht teilgenommen. Das wirft Fragen auf: Gab es überhaupt eine solche Sitzung? Und wenn ja: Existiert ein ordentliches Sitzungsprotokoll, aus dem Beschlüsse und ihre Begründungen hervorgehen? Wenn nicht: Von welchem Personenkreis wurde das Verbot tatsächlich beschlossen?

Wer die Mitglieder des «Expertengremiums» waren, das zum Verbot der Nakba-Ausstellung geraten hat, hält der DEKT bislang ebenfalls geheim. Nach informellen Informationen aus Kirchentagskreisen soll ein Experte (möglicherweise der einzige?) Christian Staffa gewesen sein, der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Staffa ist auch im Vorstand der seit 1961 bestehenden «AG Juden und Christen» beim DEKT.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist auskunftspflichtig

Das Verbot der Nakba-Ausstellung auf dem Nürnberger Kirchentag ist ein unakzeptabler Akt der Zensur und des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Der DEKT verhindert damit den demokratischen Dialog. Der bisherige Umgang des DEKT mit Fragen nach einer Begündung des Verbots ist willkürlich und selbstherrlich. Und das DEKT-interne Verfahren, das zu dem Verbot geführt hat, ist offensichtlich nicht einmal für Mitglieder des «gesamtverantwortlichen» Präsidiums transparent. 

Der DEKT ist zwar ein Verein. Aber die Grossveranstaltung in Nürnberg ist keine Privatveranstaltung. Sie wird ausser durch Ticketverkäufe, Spenden und Sponsoring ganz wesentlich mit öffentlichen Geldern (Kirchensteuern und anderen Zuschüssen) finanziert. Aus diesem Grund ist der DEKT auskunftspflichtig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Journalist und Publizist Andreas Zumach ist eine von 51 Personen, welche die 2008 konzipierte NAKBA-Ausstellung öffentlich unterstützen. Die Liste aller Unterstützenden hier.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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8 Meinungen

  • am 21.03.2023 um 10:22 Uhr
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    T. de Maizière, Nachfahre einer traditionsreichen, aus Frankreich vertriebenen Hugenottenfamilie, kann seinerseits auf eine reiche Tradition verschiedener Mißhelligkeiten und umfangreicher Kritik an seiner Amtsführung als Innen- und Verteidigungsminister zurückblicken. Der Versorgungsposten eines Kirchentagspräsidenten reiht sich hier schlüssig ein; leider kann man ihn nicht beim Wort nehmen: «Als […] Präsident des Evangelischen Kirchentags 2023 forderte Thomas de Maizière im Oktober 2021 mehr Debatten-Qualität der öffentlichen Diskussionsbeiträge der Kirchen. Eine traditionelle Selbstverständlichkeit, nach der die Mehrheit der Bevölkerung den Argumenten der Kirche folge, sei nicht mehr gegeben. Das könne man nur durch besondere Qualität ersetzen, um für die eigenen ethisch-moralischen Positionen zu werben.»

    • am 23.03.2023 um 20:55 Uhr
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      Zwischen 1944/45 und 1950 waren zwölf bis 18 Millionen Deutsche von Flucht und Vertreibung aus den ehemaligen Ostgebieten betroffen – die Schätzungen von Historikern gehen hier auseinander. Bis zu 600.000 Menschen von ihnen starben dabei. Aus welchem Grund gab es hier keine Lager zwischen Polen bzw. Tschechien und Deutschland?
      Warum wird nicht darüber diskutiert wie oft die Juden in der Menschheitsgeschichte verfolgt wurden? Warum darf man auch in Deutschland nahezu jederzeit Witze über Juden, aber nicht über Moslems machen? Warum wird der Flüchtlingsstatus von Palästinensern vererbt, so dass wir heut bei 4,4 Mio. sind? In welchen Land der erde gibt es das ebenso? Wir sprechen heut von ca. 100 Mio. Flüchtlingen weltweit, warum gibt es für die Palästinenser eine Sonder-UNO Einrichtung?
      Es tut mir leid, aber ich kann den Sinn des Artikel und die Kommentare nicht ganz verstehen?
      Über das Leid und Elend, dass wir auf der Südhalbkugel hinterlassen reden wir kaum, aber über Israel immer.

  • am 21.03.2023 um 12:41 Uhr
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    In Deutschland ist die Grundgesetzlich verbriefte Meinungsfreiheit im Bezug auf Israel schon immer eine etwas andere gewesen als man meinen könnte. Nirgends sonst auf der Welt gibt es dermassen regulierte Äusserungen bezüglich Israel und Judentum. Begründet durch die Verbrechen des dritten Reiches sicherlichein Thema welches sensibel gehandhabt werden sollte. Oftmals leider schiessen diese «Regulierer: innen» über das Ziel hinaus und so etwas kommt dabei raus.
    Das die Meinungsfreiheit im politischen auch nicht mehr stattfinden darf sieht man an der Entwicklung im pauschalisierten verkriminalisieren oder gar, neuerdings gestzlich verboten.
    Denn so schön sich das Grundgesetz lesen mag, alles nähere regelt ein Bundesgesetz, welches meist wenig vom gut gemeinten Paragraphen übrig lässt.

  • am 22.03.2023 um 01:46 Uhr
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    Israel verdient tasächlich mehr als Kritik für ihre völkerrechtlichen und menschenrechts Verletzungen. Bei jedem anderen Land wären strenge Sanktionen, ja sogar Interventionen erfolgt.
    Was viele nicht verstehen: Kritik an Israel hat nichts mit Antisemitismus zu tun, es geht um eine politische Frage. Vermischen wir doch nicht alles!!!

    • am 22.03.2023 um 15:29 Uhr
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      Vermischen tun nur die es, die sich mit Argumenten nicht dagegen wehren können. Es ist einfacher, die Wahrheit in eine antisemitische Ecke zu stellen, als sich damit auseinander zu setzen und unliebsame Konsequenzen ziehen zu müssen.

  • am 23.03.2023 um 02:28 Uhr
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    Diese Ausstellung ist für einen Kirchentag ein no go, zeigt sie doch ein Zerrbild fern der Fakten. Denn die Araber lehnten 1947 den UNO-Teilungsplan ab, um umgehend die Juden im Mandatsgebiet zu bekämpfen. – Für Israel ein Ueberlebenskampf, für die Araber ein Angriffskrieg. Es gab wohl einzelne Vertreibungen, doch verliess der Grossteil der etwa 650,000 Palästinenser 1948 die Häuser, weil von arabischen Stellen dazu aufgefordert. Laut britischen Polizeiberichten verliessen die Araber Haifa, weil von ihren Führern befohlen, obwohl die Juden sie baten zu bleiben. Gemäss Instit. For Palest. Studies Beirut gingen 68%, ohne die Israelis gesehen zu haben. Die Jordanier zerstörten 1948 das jüdische Quartier in der Altstadt, X Synagogen und vertrieben die Juden. Tausende Gräber auf dem Oelberg wurden zerstört. Damals flüchteten 830,000 Juden aus arabischen Ländern. Von denen ist nie die Rede, Ihre Vermögensverluste waren x-fach höher als die der Palästinenser.

    • am 23.03.2023 um 13:43 Uhr
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      Und warum wird dann die Gegendarstellung nicht ebenfalls gezeigt damit man sich als uninformierter Besucher ein eigenes Bild dazu machen kann?
      Gibt es was zu verbergen?
      Allgemen wird doch gern sofort protestiert und gegen dargestellt. Vormalige Proteste in den vielen Jahren davor, wo die Ausstellung gezeigt wurde sind mir nicht bekannt.
      Persönlich würde ich gern mehr erfahren wollen, zumal ich zu der derzeitigen Politik und den Umgang mit den Palästinensern eher dagegen eingestellt bin. Und so stell ich schon den Teilungsplan in Frage. Wobei, ich weiss selbst nicht genug darüber…

  • am 24.03.2023 um 09:53 Uhr
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    Die objektive historische Forschung hat ergeben, dass es hauptsächlich der damaligen arabischen Kriegspropaganda zuzuschreiben ist, dass Hunderttausende Bewohner der Westbank nach Jordanien und Syrien flüchteten. Die angreifenden Staaten waren sich ihres Sieges so sicher, dass sie den Bewohnern versicherten, bald ins befreite Palästina zurückkehren zu können und deshalb ihre Dörfer verlassen sollen.
    Deshalb ist die gezielt unzutreffende Darstellung der nakba / Vertreibung durch die Israelis antiisraelische / antisemitische fakenews und gehört nicht durch Meinungsfreiheit gefördert und schon gar nicht an einen Kirchentag, der zu Versöhnung aufrufen sollte.

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