chinesisch

Chinesische Schrift: Für Lernwillige die erste grosse Hürde © eatyourchildren/Flickr/cc

Chinesisches Sprachgewirr

Peter G. Achten /  Das gesprochene Chinesisch umfasst mehrere Hauptsprachen und zahlreiche Dialekte. Was bis heute Schwierigkeiten bereitet.

Der erste Kaiser Qin Shi Huangdi vereinigte China 221 v. Chr. Mit eiserner Hand und strengen Gesetzen zwang er die eroberten Staaten in ein einziges Reich. Qin Shi Huangdi vereinheitlichte auch die Zeichenschrift. Nur so war der neue Zentralstaat zu regieren. Denn die Beamtenschaft setzte sich aus Vertretern vieler Regionen zusammen. Sie sprachen zwar alle Chinesisch, doch ihre Dialekte waren so verschieden, dass sie sich untereinander kaum verständigen konnten. Erst mit der einheitlichen Zeichenschrift liessen sich die Sprachhürden überwinden. Dieses literarische, geschriebene Chinesisch blieb bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Norm.

Mandarin – die Standardsprache
Neben dem literarischen Chinesisch entwickelten sich über die Jahrhunderte die Alltagssprachen in den Provinzen. Oft unterscheiden sich diese «chinesischen Dialekte» so stark wie zum Beispiel das Deutsche, Flämische und Niederländische. Als die Jesuiten im 16. Jahrhundert am kaiserlichen Hof in Peking als Astronomen und Mathematiker tätig waren, lernten sie auch die Sprache. Die Chinesen, stellten sie in ihren Schriften fest, haben verschiedene Sprachen in verschiedenen Provinzen, die untereinander zum Teil nicht verstanden werden. Dann gebe es, so die Jesuiten, eine andere Sprache, die als universale, allgemeine Sprache am Hof und unter den Beamten gebraucht und ähnlich wie das Latein als «Lingua Franca» (Amts- und Handelssprache) verwendet werde. Die Jesuiten nannten diese aus verschiedenen nördlichen Dialekten entstandene Sprache «Mandarin». Und Mandarin (Portugiesisch: Mandarim) bedeutet nichts anderes als Beamter, Berater, Minister. Chinesen selbst bezeichnen sie als «Standardsprache» oder «allgemeine Sprache» (Putonghua), Linguisten sprechen von «Beamtensprache» (Guanghua).

Regionale Unterschiede bis heute
1932 legten staatlich eingesetzte Sprachhüter den Peking-Dialekt als allgemeinen Standard fest. Der «Grosse Steuermann» Mao Dsedong übernahm die Regeln, reformierte aber die Schrift – getreu seinem grossen Vorbild Kaiser Qin Shi Huangdi. In Schulen, Universitäten, Zeitungen, Zeitschriften und im nationalen Radio und Fernsehen wird Mandarin verwendet.
Seit die Kommunisten 1949 an die Macht kamen, sind mit grossem Erfolg Alphabetisierungs-Kampagnen lanciert worden. Waren vor über sechzig Jahren noch fast 90 Prozent der chinesischen Bevölkerung Analphabeten, sind es heute nur noch etwas über 10 Prozent. Die regionalen Unterschiede sind jedoch geblieben. Auch Chinesinnen und Chinesen reden eben am liebsten so, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Vor drei Jahren kam es im südlichen Kanton (Guangdong) zu Demonstrationen, als bekannt wurde, dass die Radio- und Fernsehstationen der Provinz vom Kantonesischen auf Mandarin wechseln wollten. Exil-Tibeter wiederum missverstehen den Mandarin-Unterricht in Tibet (neben Tibetisch, notabene) als Angriff auf die tibetische Kultur.

Jeder dritte Chinese versteht kein Mandarin
Die Nachricht, verbreitet von der amtlichen Nachrichten-Agentur Xinhua, dass 400 Millionen Menschen in China des Mandarin nicht mächtig seien, hat die roten Mandarine, aber auch Linguisten und Sprachschützer aufgeschreckt. Wenn gut 30 Prozent der Bevölkerung die Standardsprache Mandarin nicht verstehen, geht es wie einst unter dem ersten Kaiser Qin Shi Huangdi um die nationale Einheit – und ganz praktisch um die Fähigkeit, das Riesenreich der Mitte zu regieren. Mit «massiven Investitionen» will nun die Regierung das Sprachdefizit beseitigen und – getreu dem Wahlspruch von Staats- und Parteichef Xi Jinping – «den gemeinsamen chinesischen Traum bauen». Renmin Ribao (Volkszeitung), das Sprachrohr der Partei, weiss auch schon, wo man ansetzen muss: bei der Landbevölkerung und bei den Minoritäten.

Frühenglisch als Bedrohung
Sprachschützer sehen aber auch noch andere Gefahren. Wie Kollegen in andern Ländern haben sie das Englisch als schwere Bedrohung ausgemacht. Schon vor Jahren wollten die eifrigen Sprachhüter englische Ausdrücke in den Medien oder auf Reklametafeln verbieten. Mit wenig Erfolg. Wang Xueming, einst Sprecher des Erziehungsministeriums, fordert in einem Blog auf Sina Weibo, dass Frühenglisch in den Schulen endlich abgeschafft werden soll und dafür die Zahl der Chinesisch-Lektionen erhöht werde. Ähnlich wie in der Schweiz sind sich in China Erziehungswissenschafter in der Frühenglisch-Frage uneinig. Einig sind sie sich dagegen darin, dass dem Chinesisch-Unterricht mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Von den Chinesen lernen! Endlich mehr Deutsch-Lektionen!!

Chinesisch ist eine der sechs offiziellen Sprachen der UNO. Chinesische Schüler pauken auch eifrig Englisch. Doch nach der obligatorischen Schulzeit können sie in etwa so gut Englisch wie deutschschweizer Schüler Französisch. Dennoch, der Pekinger Professor Shi Zhongying wird in der parteiamtlichen Zeitung «Global Times» mit folgenden Worten zitiert: «Was immer man denkt über die Debatte, in unserer globalisierten Welt ist es nötig eine Fremdsprache zu lernen – zum Beispiel Englisch.»


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Eine Meinung zu

  • am 14.10.2013 um 12:31 Uhr
    Permalink

    Für die Chinesen sowie auch für uns sollte gelten: Eine Sprache für den Kopf – für das Verstehen der Welt – und viele Sprachen für den Bauch – für das Verstehen der (eigenen) Kultur.
    Wenn wir damit eines Tages den Turmbau von Babel überwinden können haben wir für das Verstehen von Anderen etwas getan. Wenn wir unsere Sprache bewahren, tun wir etwas für unsere Kultur und die Vielfalt auf der Welt.

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