Krieg_Libyen

Die militärische Intervention des Westens in Libyen mündete in einen Bürgerkrieg © SupplyChain

Bilanz einer Katastrophe

Josef Lang /  Der Militärinterventionismus hat die Welt chaotischer gemacht. Die Konflikte der letzten Jahre zeugen davon.

Red. Der Historiker Jo Lang war von 2003 bis 2011 Mitglied des Nationalrats und gehörte der Grünen Fraktion an. Er ist im Vorstand der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).

Das Chaos hat seine historischen Wurzeln
70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs scheint die Welt aus den Fugen geraten. In Europa sind es vor allem die Ukraine-Krise und der Aufstieg des sogenannten «Islamischen Staates» (IS), der den Eindruck eines globalen Chaos schafft. Für beide Gewalt-Eskalationen tragen der militärische Interventionismus und Expansionismus des Westens in den vorletzten beiden Jahrzehnten eine grosse Verantwortung.

Beginnen wir im Nahen Osten. Der barbarische Terror der sunnitischen Extremisten im Irak, in Syrien, aber auch in anderen Ländern wie Libyen und Tunesien ist eine direkte Folge des US-amerikanischen und britischen Überfalls auf den Irak 2003. Die völlige Entmachtung, Marginalisierung und Diskriminierung der sunnitischen Minderheit musste sich rächen. Organisiert und finanziert wurden die sunnitische Fundis durch den neben Israel wichtigsten Bündnispartner der USA: Saudiarabien. Dieses wird auch unterstützt durch Grossbritannien, Frankreich und die Schweizer Rüstungsexporteure.

Libyen und Syrien

Zum Aufstieg des «Islamischen Staates» trugen die Militarisierung und Konfessionalisierung des Widerstandes gegen die Asad-Tyrannei bei. Diese konnte sich auch deshalb halten, weil Russland und China Uno-Resolutionen und ein allfälliges militärisches Eingreifen mit ihren Vetos verhinderten. Warum taten sie das 2012, nachdem sie ein Jahr zuvor das Vorgehen gegen Ghadafi geduldet hatten? Die drei Nato-Staaten Frankreich, USA und Grossbritannien hatten die Libyen-Resolution, die bloss eine Flugverbotszone beinhaltete, missbraucht für ein aktives Eingreifen in den Bürgerkrieg. Diese Verletzung eines Beschlusses des Uno-Sicherheitsrates, den Russland und China indirekt mittrugen, machte diese misstrauisch.

Das Eingreifen der Nato in den libyschen Bürgerkrieg hatte noch eine andere negative Folge: Weil sich die Libyer nicht selber befreiten, verpassten sie die Chance, gemeinsam eine Nation zu begründen, deren Zusammenhalt ohnehin prekär war. Immanuel Kant, der Autor des «Ewigen Friedens», hatte den militärischen Interventionismus abgelehnt, weil er um den Zusammenhang von kollektiver Selbstbefreiung und nationaler Mündigkeit wusste.

Die Vermittlungsbemühungen des ehemaligen Uno-Generalsekretärs Kofi Annan scheiterten auch, weil die USA den Iran ausgeschlossen haben. Das hat es dessen Bündnispartner Russland und China zusätzlich erschwert, eine konstruktive Rolle zu spielen. Die einzige Kraft, die fähig war, die Gewalt-Eskalation in Syrien vor dem Auftreten des IS zu verhindern, war die Uno. Aber diese konnte und wollte nur handeln, wenn der Iran einbezogen wurde. Es ist ein Tragödie für den ganzen Nahen Osten kommt die Annäherung zwischen USA und Iran erst jetzt zustande. Was die Bekämpfung des IS betrifft, sagte Ban Ki-Moon: «Die stärksten Waffen gegen Terroristen sind nicht Raketen, sondern politische Lösungen, sind Jobs und Sozialprogramme.»

Kosovo und Krim

Kehren wir nach Europa zurück. Vor gut einem Jahr verteidigte der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vorgehen Putins gegenüber der Krim mit den Aussagen, er selber habe 1999 mit der Beteiligung am Kosovokrieg «auch das Völkerrecht gebrochen». Und: «Der Kosovokrieg war die Blaupause für die Annexion der Krim.» Das Mitmachen der rotgrünen Regierung am Kosovokrieg hatte auch zu tun mit dem deutschen Traditionswort: «Serbien muss sterben». Bereits 1991 hatte die BRD Kroatien und Slowenien verfrüht und bedingungslos anerkannt, obwohl die Uno gewarnt hatte, dass ein solches Vorgehen «zu einem Blutbad in Bosnien-Herzegowina führen» könne. Die grösste europäische Macht, die BRD, war gegenüber der Uno nicht viel respektvoller als die USA und Grossbritannien.

Hier liegt der Ausgangspunkt der ganzen Fehlentwicklung: Das Ende des Kalten Krieges und erst recht die Auflösung des Warschauer Paktes 1991 stürzten die Nato in eine Existenzkrise. In dieser Situation bot sich der grossserbische Tyrann Milosevic als «Diabolus ex machina» an. Am Anfang des Balkankrieges standen eine Uno und eine OSZE, die dank ihrer Rolle bei der friedlichen Auflösung des Ostblocks ein hohes Ansehen genossen, was sie für die Nato umso gefährlicher machte. Am Schluss standen im Frühjahr 1999 der völkerrechtswidrige Kosovokrieg, die Verwandlung der Nato in ein globales Offensivbündnis und die Marginalisierung der Uno. Robert Kagan schrieb im neokonservativen Kultbuch «Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung», dass die «Existenzfähigkeit des Bündnisses» zu den «Hauptzielen der amerikanischen Intervention» im Kosovo gehört hat, «so wie die Erhaltung der Allianz ein Hauptmotiv der früheren Intervention der USA in Bosnien» gewesen ist. Der völkerrechtswidrige Irak-Krieg war eine Folge dieser Entwicklung.

Nato gegen OSZE

Gleichzeitig weitete sich die Nato in den Osten, also ins Territorium des ehemaligen Warschauer Paktes aus. Dabei hatten Bundeskanzler Helmut Kohl und die beiden Aussenminister Hans-Dietrich Genscher und James Baker ihren russischen Amtskollegen Michael Gorbatschow und Eduard Schewardnadse wiederholt versprochen, genau dies zu unterlassen. Der Nato-Expansionismus schwächte die OSZE, die europäische Regionalorganisation der Uno, und stärkte den russischen Nationalismus. Die Schweiz hat neutralitätswidrig dabei mitgemacht, indem sie 1996 der «Nato-Partnership für Peace» beitrat. Mit dem Rückenwind der Antikriegsbewegung, der ab Ende 2002 bis etwa 2009 wehte, gelang es der friedenspolitischen Linken in einer arithmetischen Allianz mit der SVP ein militärisches Mitmachen der Schweiz bei der Nato, das über die Swisscoy hinaus ging, zu verhindern. Nicht zuletzt dank der GSoA gibt es heute keine Schweizer Soldaten in Afghanistan oder Afrika.

Wie die Diskussion um die Transportflugzeuge zeigt, ist diese friedenspolitische Errungenschaft wieder in Frage gestellt. Dies ist umso bedenklicher, als die Bilanz des militärischen Interventionismus, insbesondere des «Kriegs gegen den Terror» eine Katastrophe ist.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Jo Lang war als Nationalrat Mitglied der Grünen Fraktion. Er ist im Vorstand der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA).

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2 Meinungen

  • am 25.08.2015 um 14:08 Uhr
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    „WER KRIEG WILL, WÄHLT GRÜN“
    Dies die Aussage des angesehenen deutschen Politikers und herausragenden und gefragten politischen Analytikers Willy Wimmer. Ich wollte wissen, ob dies auch auf die Schweiz zutrifft.

    Bei meinen Nachforschungen stiess ich auf Cécile Bühlmann, Grüne Partei, ehem. Geschäftsführerin des „Christlichen Friedensdienstes, cfd“ und weiterhin Stiftungsratspräsidentin von „Greenpeace Schweiz“. Der cfd ist Mitglied beim Dachverband „Schweizerischer Friedensrat“. Der ist wohl seinerseits wieder verbunden mit der Grünen Partei und der SP. Wie ich feststelle informieren diese Organisationen betr. Ukraine und Russland sehr einseitig und undifferenziert d. h. so wie die Grüne „Heinrich-Böll-Stiftung“. Es fiel mir auch auf, dass sich diese Organisationen sehr mässig über die Kriegsverbrechen der USA und Israels äussern.

    Weiter führten mich meine Recherchen zum CLUB HELVÉTIQUE, denn Frau Bühlmann ist Mitglied dieses Clubs. Deren Mitglieder Dani Gross, Daniel Woker und Roger de Weck (Mitgliedschaft ruht) fallen auf durch Befürwortung der neoliberalen, kolonialistischen Weltmachtpolitik der USA und deren Politik gegenüber Russland. Offensichtlich wird auch die totale Missachtung der Autonomie und Souveränität anderer Staaten durch die USA hingenommen “Wir müssen Ländern den Arm umdrehen, wenn sie nicht das machen, was wir wollen” (Barack Obama) und nimmt selbst die Zerstörung Europas in Kauf.
    – Frieden ist anders !

  • am 27.08.2015 um 13:26 Uhr
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    Heute in der NZZ: „Seit fünf Monaten bewilligt der Bund wegen der unsicheren Lage [gemeint ist der Jemen-Konflikt und weitere Konflikte in Nahost] grundsätzlich keine Kriegsmaterialexporte in mehrere involvierte Länder mehr. Damit ist die Schweizer Rüstungsindustrie faktisch abgeschnitten von einem der weltweit wichtigsten Wachstumsmärkte.“ (NZZ, 27. August 2015, S. 13).
    Das ist nicht etwa sarkastisch gemeint sondern nüchtern ökonomisch konstatiert. Im weiteren Verlauf des Artikels wird vor dem Verlust von hunderten hochqualifizierten Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie gewarnt. Die Schweiz soll also am Geschäft mit dem Krieg in Nahost mitverdienen. Ein Krieg, der die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen zerstört und sie in die Flucht treibt. Und wie die Schweiz haben auch die anderen europäischen Staaten, die USA, die Türkei und viele weitere Länder ihre Interessen und befeuern den Krieg mit der Lieferung von Waffen, Know-How und Geld. Genau wie es Jo Lang beschreibt. Es ist eine unerträgliche Schande.

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