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Mit einem solchen Geigerzähler lässt sich die Radioaktivität messen © Christian Schrott ZRA

Betroffene messen die Radioaktivität selber

Red. /  KKW-Besitzerin Tepco und Japans Regierung haben die Fukushima-Reaktoren noch immer nicht unter Kontrolle und fürchten die Folgen.

Immer mehr japanische Bürger und Umweltgruppen kaufen für 400 Franken Geigerzähler, um die radioaktive Strahlung selber zu messen. Anfänglich galt dies als Panikreaktion, aber inzwischen ist die Glaubwürdigkeit der KKW-Betreibergesellschaft Tepco und der Regierung so stark geschmolzen, dass immer weniger Menschen ihren Beruhigungs-Parolen glauben.
Kernschmelzen sind nicht unter Kontrolle
Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat die japanische Atomaufsichtsbehörde Nisa (entspricht der ebenfalls wegen Befangenheit umstrittenen Schweizerischen Ensi) letzte Woche offiziell zugegeben, dass «die Lage noch nicht unter Kontrolle» ist.
Wider besseres Wissen hatte die Aufsichtsbehörde lange abgestritten, dass es in drei der sechs Reaktoren zu Kernschmelzen gekommen war (siehe Dossier unten «Katastrophe Fukushima: Zuerst verharmlost, jetzt vergessen»). Jetzt berichtete eine japanische Zeitung, dass es zusätzlich im Reaktor 3 zu zwei Kernschmelzen gekommen sei. «Ich kann dies nicht rundweg abstreiten», meinte Nisa-Sprecher Moriyama dazu. Es sei noch nicht klar, was passiert sei.
Die japanische Aufsichtsbehörde Nisa arbeitet nicht unabhängig, sondern ist dem atomfreundlichen Industrieministerium unterstellt. Für ihre Informationen über die Fukushima-Katastrophe hat sich die Nisa ganz auf Angaben der KKW-Gesellschaft Tepco verlassen. Das jedenfalls berichten japanische Zeitungen. Für öffentliche Diskussionen zur Aufklärung der Bevölkerung habe die Nisa lauter Atomkraftwerk-Befürworter einladen lassen.
Angst vor verseuchten Lebensmitteln
Kurz nach der KKW-Katastrophe hat die EU die Radioaktivitätsgrenzwerte für Lebensmittel erhöht, «um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten». Grenzwerte sind stets Kompromisse zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlichen Interessen.
In Tokyo hatte die Radioaktivität des Trinkwassers den Grenzwert für Säuglinge überschritten.
Milch und Spinat aus den KKW-nahen Regionen darf nicht mehr verkauft werden. Im Boden wachsende Pilze, Spargeln oder Kartoffeln nehmen am meisten Radioaktivität auf.
Im Meer werden radioaktive Teilchen zuerst vom Plankton und Kleinstlebewesen aufgenommen. Dann gelangen sie in die Nahrungskette über die Fische bis zum Menschen. Das kann jedoch eine Weile dauern und die Aufnahme ist von Art zu Art verschieden. In einem bestimmten Umkreis der kaputten Kernreaktoren ist jegliches Fischen verboten. Greenpeace hat im August in Fischen und Meeresfrüchten aus der japanischen Küstenregion Strahlenwerte gemessen, die den in Japan geltenden Grenzwert von 500 Becquerel weit überschritten.
Japans Behörden haben nicht verhindert, dass Rinder in 17 Präfekturen verseuchtes Stroh bekamen.
Der Börsenpreis von Reis ist in die Höhe geschnellt, nachdem durchsickerte, dass auch Reisfelder verseucht sind, die relativ weit von Fukushima entfernt sind.
Lange hatte die Regierung allen Zweiflern an der Sicherheit der Produkte vorgeworfen, ihre «schädlichen Gerüchte» würden der Landwirtschaft schaden. Doch private Radioaktivitätsmessungen haben unterdessen dazu geführt, dass die Regierung jetzt nicht mehr behaupet, alle japanische Lebensmittel ausserhalb einer Sperrzone seien sicher. Jetzt beruhigt die Regierung das Ausland, Japan würde alle Lebensmitte vor dem Export ins Ausland gründlich kontrollieren.
Über 80’000 Menschen mussten Häuser und Wohnungen verlassen
Zwangevakuiert wurden bisher über 80’000 Personen. Hätten die Winde die radioaktive Wolke mehrere Tage Richtung Tokyo bewegt, wäre die Hauptstadt mit ihren 30 Millionen Einwohnern völlig unvorbereitet gewesen. Nicht einmal Jod wäre in einigermassen genügenden Mengen vorhanden gewesen, geschweige denn rechtzeitig verteilt worden, wie dies um Umkreis der Schweizer Kernkraftwerke der Fall ist. Einen Evakuationsplan für die Hauptstadt gibt es nicht. Deshalb hält sich die Regierung in einem Katastrophenfall an die Devise, ja keine Angst und Panik zu verbreiten. Deshalb überrascht es nicht, dass – wie heute feststeht – die Radiokativität in Tokyo in den ersten Tagen nach der Fukushima-Katastrophe viel höher war als offiziell angegeben.
Wenigstens die Regierung plant, bei einer nächsten Katastrophe teilweise in eine andere Stadt umzuziehen. Das berichten japanische Zeitungen.
In der Schweiz könnten sich die Bundesräte im fixfertigen, atomsicheren Bundesratsbunker bei Kandersteg einquartieren und die Bevölkerung von dort aus beruhigen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

1103_Fukushima

Fukushima: Verharmlost und vergessen

Die Atomkatastrophe von Fukushima und deren Folgen für Hunderttausende.

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