Kommentar

Teherans Stellvertreter regieren nun in Bagdad

Gudrun Harrer © zvg

Gudrun Harrer /  Mit dem Iran verbundene schiitische Parteien dominieren die neue irakische Regierung Sudani.

Wenn mehr als ein Jahr nach Parlamentswahlen doch noch eine Regierung gebildet wird, ist das Anlass für Erleichterung, im Fall des Irak aber gleichzeitig Grund zur Sorge. Dem entsprach der neue Premier Mohammed Shia al-Sudani (52), indem er nach der Angelobung von 18 Ministern und drei Ministerinnen (Finanzen – eine Premiere –, Handel und Kommunikation) in Bagdad gleich einmal vorzeitige Neuwahlen in Aussicht stellte.

Die Regierungsmitglieder darauf aufmerksam zu machen, dass sie dem Staat dienen sollten – «alle, die hier anwesend sind, sind Angestellte des irakischen Staats» –, passt ja auch in anderen Ländern. Aber Sudani warnte auch vor zu hastigen «Veränderungen» und vor «Exklusion». Jeder weiss, was damit gemeint ist: Bei manchen Ministern beziehungsweise bei den Gruppen, aus denen sie stammen, ist zu befürchten, dass sie rasch mit der Umfärbung ihrer Ressorts – und der Verdrängung von Experten zugunsten von Günstlingen – beginnen.

Khazali-Terrornetzwerk

Da sind Parteien dabei, die sind durchaus zum Fürchten: Die «Asaib Ahl al-Haq» (AAH, Liga der Rechtschaffenen) etwa ist eine von den iranischen Revolutionsgarden gegründete schiitische Extremistenmiliz, ausserhalb des Irak auch als «Khazali-Terrornetzwerk» bekannt, nach ihrem Chef Qais al-Khazali. Sie steht auf der US-Terrorliste. In der neuen Regierung in Bagdad stellt sie dennoch den Minister für höhere Bildung. Die AAH ist jedoch bei weitem nicht die einzige unter den schiitischen Gruppierungen in der Regierung, die Unterstützung und Befehle aus Teheran empfangen.

Die Regierung Sudani, eines früheren Provinzgouverneurs und Menschenrechtsministers von der schiitischen Dawa-Partei, sieht auf den ersten Blick sehr inklusiv aus. Es gibt 23 Ministerien, zwei sind noch unbesetzt. Mit zwölf halten die Schiiten die meisten: Am besten ausgestattet wurde die Rechtsstaatspartei des umstrittenen Ex-Premier Nuri al-Maliki (2006–2014) mit drei Ressorts, darunter das wichtige Öl. Sudanis Liste hat die Finanzen und das Innere. Danach kommen schiitische Kleinparteien mit je einem Amt.

Sunnitische Parteien haben sechs, kurdische vier Ministerien, und zwar sind konkurrierende Gruppen dabei (etwa bei den Kurden sowohl KDP/Barzani und PUK/Talabani). Aussenminister bleibt der Kurde Fuad Hussein. Im Gegenzug zu früheren Regierungsbildungen ist es dem Premier gelungen, Inneres (Schiit) und Verteidigung (Sunnit) gleich zu besetzen.

Demonstrationen möglich

Dieses konfessionell-ethnische Konstrukt sieht bunt aus – zu bunt, wenn man an das Khazali-Terrornetzwerk denkt –, aber nicht bunt genug. Denn es fehlt der Sieger der Parlamentswahlen vom 10. Oktober 2021, die Sadristen des einst jungen wilden Klerikers Muqtada al-Sadr, der sich als irakischer Nationalist – also nicht Teheran-affiliiert – stilisiert. Dass am Wahlgewinner vorbei eine Regierung gebildet wird, kommt vor: Aber Sadr pflegt, wenn ihm etwas nicht passt, die Politik auf die Strasse zu verlegen.

Als sich im Sommer abzeichnete, dass er an der Regierungsbildung scheitern würde – wobei er selbst nie Ämter übernimmt –, zog er seine Abgeordneten aus dem Parlament zurück. Stattdessen liess er seinen Mob das Parlament, das Höchstgericht und den Regierungspalast stürmen. Zwar hat er sich nun zum x-ten Mal aus der Politik zurückgezogen, das kann sich jedoch schnell ändern.

Es gibt aber noch eine (nicht homogene) Gruppe von Verlierern, sie verweigerten der Regierung Sudani im Parlament das Vertrauen. Bei den Wahlen 2021 waren Unabhängige unterschiedlicher Couleur ins Parlament gekommen, aber auch der «Imtidad»-Block, der aus der im Oktober 2019 geborenen überparteilichen Protestbewegung gegen konfessionelle Politik und Korruption entstand. Bei diesen Protesten wurden 2019 und 2020 – von der Weltöffentlichkeit ignoriert – hunderte Demonstranten und Demonstrantinnen getötet oder verschleppt. Am Wochenende wurde bei Aufmärschen ihrer gedacht, von der Regierung Sudani erwarten die Familien keine Gerechtigkeit und Aufklärung. Gegen jene schiitischen Gruppen und Milizen, die das neue Kabinett dominieren, richteten sich die damaligen Proteste.

US-Gratulation

Angesichts ständiger Destabilisierungsgefahr im Irak signalisiert aber auch das westliche Ausland Bereitschaft, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Das US-Aussenministerium «gratulierte» in einer Erklärung sogar, allerdings nicht Minister Antony Blinken, sondern Sprecher Ned Price. Die USA, die mit Einwilligung der irakischen Regierung nach dem Siegeszug des «Islamischen Staats» 2014 Truppen zurück in den Irak geschickt hatten, unterhalten in Bagdad die grösste Botschaft in der Region. Ihre militärische Präsenz wird immer wieder zum Angriffsziel von Teheran-treuen Milizen, wenn nicht aus dem Iran selbst.

Nicht verifizierte Berichte sprechen davon, dass schiitische Milizen aus dem Irak bereits als Verstärkung zum Niederschlagen der Protestbewegung im Iran verlegt wurden. Irans Stellvertretermilizen waren von jenem General Ghassem Soleimani organisiert worden, den die USA gemeinsam mit einem irakischen Milizenführer Anfang Januar 2020 am Flughafen Bagdad töteten.

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Dieser Beitrag ist am 31. Oktober im «Standard» erschienen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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