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Wie weiter bei SRF? © srf

Schweizer Fernsehen: Zwischen Aufbruch und Abwehr

Robert Ruoff /  Bei SRF arbeitet die Abteilung Sport an publizistischen Leitlinien. Aber auch in der Chefredaktion herrscht Klärungsbedarf.

Die Ersten verweigern das Gespräch und blockieren die Information. Die Zweiten Gehen in Verteidigungshaltung und lassen erklären, die «Unabhängigkeit ist…in keiner Weise tangiert», und: «Der Auftritt war reglementskonform». Und die Dritten zeigen so etwas wie wachsendes Problembewusstsein und den Willen zum Handeln.

Die Dritten – das ist in diesem Fall die Geschäftsleitung von Schweizer Radio und Fernsehen SRF. Sie scheint sich klar zu werden, dass die journalistische Unabhängigkeit ein so kostbares Gut ist, dass es besser geschützt werden muss, und dass selbst der falsche Schein von Abhängigkeit schädlich sein kann. Sprich: gerade, wenn sich die einzelnen Journalistinnen und Journalisten täglich um ihre Unabhängigkeit bemühen, darf nicht einmal der Eindruck entstehen, sie könnten an der Leine aussen stehender Interessen hängen.

Ende der Medientrainings

An einem kaum sichtbaren aber nicht unwichtigen Ort hat die Geschäftsleitung SRF ein Zeichen gesetzt: Es gibt keine Medientrainings mehr. Das Unternehmen bietet keine Trainingskurse mehr an für Politiker, Manager, Verbandsfunktionäre, die sich auf Radio- oder Fernsehauftritte vorbereiten wollen. Aufgabe von Moderatorinnen und Redaktoren ist es, Machthaber und Funktionsträger kritisch zu befragen und nicht, sie darauf vorzubereiten, wie man kritischen Fragen ausweichen kann. – Dieser Beschluss datiert vom November 2012.

Neu ist, dass auch Umgehungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. In der «GL Info», einem internen Informationsblatt, das Infosperber vorliegt, heisst es: «Gemäss den allgemeinen Anstellungsbedingungen müssen externe Nebenbeschäftigungen sowie potentiell mit Interessenskonflikten verbundene ausserberufliche Tätigkeiten vorgängig abgesprochen werden. Grundsätzlich nicht mit der beruflichen Tätigkeit bei SRF zu vereinbaren sind Tätigkeiten als Medientrainer (Interview-Trainings, Vorbereitung auf Medienauftritte, Schulung für Medienarbeit u.ä.), weil sie unsere Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit in Frage stellen.»

Das heisst, dass SRF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch ausserhalb des Hauses, in Nebentätigkeiten, nicht mehr bei Medientrainings mitwirken dürfen. Der Informationsgewinn in Unternehmen, Verwaltungen, Parteien und Verbände, den solche Trainings gaben, wiegt auch nach Auffassung der SRF-Geschäftsleitung den möglichen Verlust an «Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit» nicht auf.

Das ist eine Entscheidung von strenger Konsequenz.

Medienpartnerschaft und kritischer Journalismus

Um so mehr fragt man sich, wo diese Konsequenz bei anderen journalistischen Geschäften des Unternehmens SRF bleibt. Bei «Medienpartnerschaften» wie beim Swiss Economic Forum, die Infosperber unter die Lupe genommen hat, verschwägert sich das Schweizer Fernsehen mit Veranstaltern ebenso sehr wie bei Medientrainings. Mehr noch: SRF gibt dem «Medienpartner» eine grosse Plattform und setzt seine Stars einem heiklen Beziehungsgefüge aus, in dem von «Distanz» – wie in den «Publizistischen Leitlinien» gefordert – kaum noch die Rede sein kann. Beim Swiss Economic Forum 2013, das kürzlich am Thunersee stattfand, waren das Franz Fischlin, Christine Maier, Sonja Hasler und der ECO-Moderator Reto Lipp, der eine strukturierende Rolle spielte.

Konversation als pseudokritisches Interview

Diego Yanez, Chefredaktor des SRF-Fernsehens, verweist darauf, dass ECO-Moderator und Wirtschaftsredaktor Lipp sehr wohl zum Beispiel Suzanne Thoma, die BKW-Chefin, nach der vielzitierten Stromlücke gefragt habe oder Larry Fink, den Gründer der weltgrössten Vermögensverwaltung Blackrock nach einem möglichen Interessenkonflikt zwischen seiner Anlagetätigkeit und der Beratung von Regierungen – sprich: es seien auch kritische Fragen gestellt worden.

In der Tat. Aber die Fragen wurden gestellt – und abgehakt. Wenn kritischer Journalismus bedeutet, dass Moderatorinnen und Interviewer nicht nur eine Frage stellen sondern auch die Antwort hinterfragen, und wenn kritischer Journalismus heisst, dass Journalistinnen für das Publikum nachvollziehbar Widersprüche aufzeigen und Moderatoren Worte an Taten und Tatsachen messen, dann hatten diese gesprächsweisen Auftritte von Reto Lipp und anderen mit «kritischer Distanz» nichts zu tun.

Es waren gepflegte kurze Konversationen über Wirtschaftsthemen mit einer Liste von Fragen, die in Medien und Öffentlichkeit gerade auf der Tagesordnung sind, und die jede Unternehmensleiterin und jeder CEO ohne auch nur einen Tropfen Schweiss auf der Stirn bewältigt. Locker. Aus dem Stand.

Kritischer Journalismus sieht anders aus.

Folgenlose Leitlinien

Vielleicht liegt auch da ein Problem: dass beim Schweizer Fernsehen nach der Ära Studer/Schellenberg publizistische Massstäbe verloren gegangen sind, die jetzt mühsam wieder erarbeitet werden müssen. Wenn ihre Gültigkeit denn nicht in Frage gestellt wird.

«Journalisten können Aufträge zur Leitung von Podiumsdiskussionen und ähnlichen Veranstaltungen annehmen, solange die Themen kontrovers debattiert werden», heisst es in den «Publizistischen Leitlinien» von SRF (Hervorhebung im Original).

«Kontrovers diskutiert» wird nach klassischem Verständnis sicher nicht bei einer Veranstaltung wie dem Swiss Economic Forum, das für sich in Anspruch nimmt, die «Wirtschaft» zu repräsentieren, unter Ausschluss von Arbeitnehmern Konsumentinnen und Konsumenten, Entwicklungs- und Umweltorganisationen – und für das SRF die Plattform bereit stellt. Allein die Frage der «Stromeffizienz» würde bei Beteiligung solcher Organisationen völlig anders gestellt und besprochen.

Und «kontrovers» wird ebenso zweifelsfrei nicht diskutiert an der «PS-Versammlung» der Basler Kantonalbank, also der jährlichen Versammlung der Eigentümer von Partizipationsscheinen an diesem Staatsinstitut. Die BKB informierte wie schon im vergangenen so auch in diesem Jahr am 30. Mai in Form eines Podiums über das Geschäftsjahr.

Und wie schon im vergangenen Jahr war auch diesmal ECO-Moderator und Wirtschaftsredaktor Reto Lipp Moderator und Fragesteller.

«Kontrovers» und «kritisch» – Fehlanzeige

Die Fragen waren abgesprochen, die Antworten (zum Teil schriftlich) vorbereitet – die «Tageswoche» hat darüber berichtet und das Schweizer Fernsehen hat den Tatbestand grundsätzlich bestätigt.

Diego Yanez, der Chefredaktor, verteidigt seinen Moderator: «Selbstverständlich gibt man das Thema eines Interviews vorher bekannt» und er vertraut darauf, dass Lipp auch kritisch nachgefragt hat, wie der Moderator beteuert. Als «kontrovers» will Chefredaktor Yanez auch kritische Nachfragen einer Journalistin oder eines Moderators werten, und nicht nur die kontroverse Zusammensetzung eines Podiums.

Das wäre eine tief gehende Umdeutung. Denn bislang heisst «kontrovers», dass die gegensätzlichen Interessen und Meinungen und ihre Vertreterinnen in einer Gesprächsrunde physisch präsent sein sollen. In der neuen Lesart hiesse das lediglich noch, dass ein Journalist diese Positionen quasi stellvertretend einbringt. – Das wäre kein überprüfbarer Massstab mehr sondern nur noch Gegenstand der subjektiven Beurteilung des Vorgesetzten.

Im Fall von Basel gilt: wer sich die Mühe macht und sich das 37-Minuten-Video auf der Website der Basler Kantonalbank ansieht, findet selbst unter solchen Voraussetzungen keine Diskussion, keine kritische Nachfrage und von Kontroverse schon gar keine Spur.

Gefahr für die Glaubwürdigkeit von SRF

Da wird Journalismus aus «kritischer Distanz», bei dem die Themen «kontrovers debattiert» werden, zur Mitwirkung an der PR-Veranstaltung eines Bankrats. Und die Glaubwürdigkeit einer Informationsabteilung und – auf die Dauer – eines ganzen «Service Public»-Senders ist zügig dahin.

Ich habe mir die zeitraubende Mühe gemacht, die «kritischen» Interviews beim Swiss Economic Forum SEF und den Auftritt von Reto Lipp bei der BKB nochmals anzusehen, um sicher zu gehen, ob die Kritik an diesen SRF-Aktivitäten berechtigt ist.

Ich stelle fest: die Kritik ist nicht nur berechtigt. Die zweite Wahrnehmung bestätigt den Eindruck, den ich bereits beim SEF 2012 hatte: die Kritik ist dringend notwendig. Es werden Gespräche geführt, die sich irgendwo im Feld zwischen gefälligen Konversationen und Small Talk bewegen. Es besteht offenkundig Klärungsbedarf.

Diego Yanez hält die «Publizistischen Leitlinien» zwar für gut. Er will sie aber doch in Teilen überarbeiten. Für aussenstehende Beobachter ist klar: Eine Lockerung ist nicht angesagt.
Vielleicht würde es schon ausreichen, die bestehenden Leitlinien anzuwenden.

Von der BKB in die «Arena»

Peter Studer, ehemals Chefredaktor des Schweizer Fernsehens und Präsident des Presserats, hat in der «Tageswoche» zur BKB-Veranstaltung erklärt: »Ich halte den Auftritt des von mir geschätzten Reto Lipp für heikel.»

Wenn man weiss, wie sanft Studer in Sachen Schweizer Fernsehen formuliert, auch wenn er in der Sache hart denkt, weiss, dass hier von Grenzüberschreitungen die Rede ist. Und vielleicht hat sogar Christoph Mörgeli recht, wenn er den Bundesrat für die nächste Fragestunde im Nationalrat fragt «ob solche Engagements sinnvoll seien bezüglich der Unabhängigkeit eines Journalisten, insbesondere wenn diese zeitlich und thematisch so nahe beieinander lägen.»
Der Bundesrat wird wie üblich und zu Recht ausweichend antworten. Die Antwort auf diese Frage ist Sache der Programmverantwortlichen, nicht der Landesregierung.

Aber der Anlass für die Frage ist gegeben. Reto Lipp ging nämlich ziemlich schnurstracks von der Basler Kantonalbank in die «Arena». Am Tag nach seinem Basler Auftritt vertrat er die Position der Kantonalbanken in der Polit-Diskussion des Schweizer Fernsehens.

Moderator, Experte, Partei

Nein, Lipp handelte nicht als Auftragstäter. Er hat vielmehr offenkundig ein Problem mit seinen zahlreichen, schnell wechselnden Rollen. In Basel hatte er noch den PR-Auftritt des BKB-Bankrats bei der PS-Versammlung moderiert. Tags darauf sollte er als «Experte» in der «Arena» seine Fachkenntnis als Wirtschaftsredaktor einbringen. Und dort gingen die Pferde mit ihm durch, als er die Politiker aufforderte, der Lex USA zuzustimmen und damit die Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass die Banken das Problem lösen könnten.

Die Empörung war gross, von der Linken mit Christian Levrat und Susanne Leutenegger bis zur Rechten mit Ruedi Noser und Christoph Blocher. Der SVP-Stratege nutzte die Chance und sprach wieder einmal von «Staatsfernsehen».

Damit ist auch für den SRF-Fernsehchefredaktor die Grenze überschritten. Hat er die Moderation bei der BKB noch verteidigt und zu Recht Lipps Rolle als immer wieder fachkundiger Experte, so rügt er unzweideutig die politische Parteinahme seines Wirtschaftsredaktors in der «Arena». Der Schritt vom Moderator zum Experten zur Partei ist ein Schritt zu weit.

Bisher hat Diego Yanez allerdings den Bezug zu einer weiteren Aussage der «Leitlinien» nicht hergestellt: « In den heissen Phasen vor eidgenössischen und wichtigen kantonalen Wahlen und Abstimmungen ist die Bewilligungspraxis sehr restriktiv.» Hätte er sie nach ihrem Sinn und Geist angewendet und Lipp die Moderation bei der BKB nicht genehmigt, so wäre zumindest nicht so leicht der Eindruck entstanden, der ECO-Moderator mache sich zum Sprecher der Bankeninteressen.

Sportlicher Umgang mit Kritik

Diego Yanez, der zweite Spieler im heutigen Text zur publizistischen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit des SRF-Fernsehens, stellt sich der Kritik und nimmt, nachvollziehbar, seine Mitarbeiter in Schutz.

Nicht gesprächsbereit ist der erste Spieler: Sportchef Urs Leutert. Seine Abteilung hat das ohnehin schon schlummernde öffentliche Interesse geweckt. Drei Tage nach der bekannten Tonmanipulation in seiner Abteilung hat er zu einer dringlichen Sitzung der ganzen Abteilung eingeladen um zu klären, wie mit politischen Ereignissen wie dem Fan-Protest gegen das Hooligan-Konkordat künftig «berichtet werden muss». Über die Ergebnisse gab und gibt es keine offizielle Information.

Vor einer Woche ist das Urteil des Ombudsmanns bekannt geworden (Infosperber hat darüber berichtet). Der Ombudsmann hat darin unter anderem gesagt: «Es wäre für das Publikum von SRF sicher interessant zu erfahren, welche Schlussfolgerungen aus dieser peinlichen Panne gezogen wurden und wie künftig über solche Ereignisse berichtet werden soll.»

Leitlinien für die Abteilung Sport

Nach einigen Tagen Wartezeit haben wir bei SRF nach eben diesen «Schlussfolgerungen» nachgefragt. Der Abteilungsleiter Sport hat das Gespräch verweigert und jede Information abgeblockt.

Aus verschiedenen Quellen wird jedoch bestätigt, dass die Abteilung Sport nun an eigenen Leitlinien für ihr Tätigkeitsfeld arbeitet, die sich, wenn es Sinn machen soll, auch an den bestehenden «Publizistischen Leitlinien» der Abteilung Information orientieren dürften. Wenn das gelingt, ist es ein erfreulicher und ein grosser Schritt. Es würde bedeuten, dass der Sportjournalismus beim SRF endgültig Abschied nimmt von der Vorstellung, dass Sport «mit Politik nichts zu tun» hat. Und es würde heissen, dass der Fernseh-Sport sich ausdrücklich definiert als journalistische Abteilung mit der gebotenen Distanz zu den Sportverbänden und zum Sportbusiness.

Das heisst nicht, dass die journalistische Haltung in der Abteilung Sport bisher nicht zu finden war. Aber der Klärungsbedarf war unübersehbar geworden. Und der Druck von aussen auf die Sportberichterstattung ist gewaltig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war bis 2004 in verschiedenen Funktionen für die SRG und das Schweizer Fernsehen tätig.

Zum Infosperber-Dossier:

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Fehler passieren überall. Beim nationalen Fernseh-Sender sind sie besonders ärgerlich. Lob und Tadel.

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