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Das Olympische Feuer in Londnon 2012 vor dem Verlöschen © n

Schweizer Fernsehen und Olympia: Geld und Geist

Robert Ruoff /  Der vorzeitige Ausstieg von SRF aus Abschlussfeier der Olympischen Spiele wirft weiter reichende Fragen auf. Eine TV-Kritik.

Eigentlich wollte ich mir die Schlussfeier von «London 2012» nicht antun. 16 Tage Olympische Spiele waren genug, auch bei sehr selektiver Fernsehaktivität. Aber dann blieben wir nach den deutschen «Tagesthemen» doch hängen. Und schalteten zum Schweizer Fernsehen, obwohl mein Fernsehumfeld meinte, die Deutschen seien doch vielleicht angenehmer.

Dieser «angenehmere Eindruck» lag vielleicht auch daran, dass Gerhard Delling in einer präzisen Studiomoderation zum Kommentatorenteam in London übergab, das ebenso präzise übernahm, während Matthias Hüppi und Steffi Buchli uns nur mitteilen durften, dass wir uns auf ein schönes Ereignis freuen dürften. Dann wurden wir wieder einmal mit den üblichen Programmtrailern und einem Werbeblock bedient, bevor aus London das Olympiastadion aufleuchtete. Das übliche Geschäftsgebaren: das Schweizer Fernsehen mutet uns Programmhinweise und Werbung ja auch mitten in der Live-Übertragung des Olympischen Marathons zu, nach dem Motto: was soll denn grade in diesen 60 oder 120 Sekunden Entscheidendes passieren.

Programm und Sport und Geld

Warum mir das missfällt? – Zunächst aus sportlichen Gründen: Weil der Marathon eine dieser Disziplinen ist, in der über lange Zeit scheinbar nichts geschieht, ausser dass sie laufen und lauern und laufen und lauern und laufen. Bis dann, in ein paar Sekunden, eine Krise, ein Ausfall oder ein Vorstoss dem Rennen ein ganz anderes Gesicht, eine ganz andere Struktur gibt. In der sie wieder laufen und lauern und laufen, bis wieder eine Krise, ein Ausfall, ein Vorstoss… Unter anderem darin liegt die ungeheure Spannung dieses Rennens, in dem nichts geschieht bis plötzlich Entscheidendes geschieht. Und wieder. Und noch einmal. Während mehr als zwei Stunden.

Und es missfällt mir aus programmpolitischen Gründen. Weil wieder, in diesen 60 oder 90 oder 120 Sekunden der Unterbrecherwerbung, das Geld die Herrschaft übernimmt über das Programm. Und über den Sport. In einer Disziplin, die vielleicht die stärkste Symbolkraft hat für die Herkunft der Olympischen Spiele aus der griechischen Geschichte. Der Marathonläufer verkörpert die antike Legende von der grenzenlosen Leistungsbereitschaft und dem grenzenlosen Siegeswillen.

Er verkörpert nicht die Herrschaft des Geldes, die unsere Sportkommentatoren schon fast selbstverständlich hinnehmen. Wie der Fussballkommentator, der es für «nachvollziehbar» hält, wenn Xhaka und Shakiri ihren neuen Clubs vor der Olympiamannschaft den Vorzug geben, weil die Clubs doch «so viel Geld für sie bezahlt haben». Obwohl die Spieler die gesamte Qualifikation und die Europameisterschaft bestritten haben, auf Kosten des Schweizer Fussballverbands.

Sportjournalismus und Business

Oder wie der Leichtathletikkommentator, der es «verstehen» würde, wenn Usain Bolt einen neuen 100-Meter-Weltrekord auf ein Meeting der Diamond League verschieben würde, zum Beispiel in Zürich, weil ihm der Rekord bei Olympia nichts einbringt aber beim Meeting zusätzlich zu den 300’000 Schweizer Franken Startgeld noch ein Kilo Gold.

Es ist nur die Vermutung des Kommentators, keine Gewissheit, dass Bolt seinen Zieleinlauf in London fast unmerklich verzögert haben könnte, um später ein bisschen mehr zu verdienen. Aber Vermutung und Verständnis bedeuten wieder eine Anerkennung der Herrschaft des Geldes, auch im Sport.

Naiver Idealismus? Kampf gegen Windmühlen? – Nein, nur die Forderung, dass Sportkommentatoren und –kommentatorinnen für den Sport und seine Werte stehen sollen und nicht für seine Kommerzialisierung. Weil das ihre Aufgabe ist. Für das Business sind die Agenten und Funktionäre zuständig.

Geld und Sportsgeist

«Es gibt die olympischen Sportarten und es gibt den Fussball», sagt Nök Ledergerber, stellvertretender Abteilungsleiter der Abteilung Sport von SRF. Er sagt es nicht als Zustimmung sondern als Tatsachenfeststellung. Der Auftritt der Schweizer Fussballmannschaft hat erneut gezeigt, wohin die Verbeugung des Schweizer Fussballverbands vor den Geldinteressen führt. Nach all den grossen Konzessionen und kleinen Zückerchen für Spieler und Vereine hätte die Mannschaft auch zuhause bleiben können; es war ja offenkundig keine ernsthafte sportliche Mission mehr.

Wohin andererseits die sportliche Leidenschaft im besten Sinne führt, haben die olympischen Dramen auf dem Tenniscourt von Wimbledon gezeigt. Djokovic, del Potro, Federer, Murray sind alle vier auch höchst erfolgreiche Geschäftsleute. Aber es war der Ehrgeiz und die Leidenschaft für ihren Sport, der sie angetrieben und ihre Haltung geprägt hat, im Sieg und in der Niederlage. «Das war mein olympischer Moment», wird Roger Federer bei seinem Rückblick auf den epischen Halbfinal mit Juan Martin del Potro zitiert, und er wird so trotz Silber statt Gold auch in den olympischen Annalen unvergessen bleiben. Die sportliche Haltung macht ihn gross.

Aber zurück zur Abschlussfeier und der Olympischen Panne des Schweizer Fernsehens. Die Olympische Show mit ihrer grandiosen Licht- und Farbgestaltung und ihrer reichen Choreographie war im berückend choreographierten ersten Teil packend und im zweiten Teil eine grosse Show der britischen Rock und Popgeschichte. Und spätestens nach John Lennons «Imagine» und Beni Thurnheers verletzlicher Bemerkung: «Kommentatoren greifen nicht an, sie werden angegriffen», war der Verzicht auf das scharfe Messer der Kritik definitiv angesagt.

Product Placement und politischer Profit

Beni gab in seinem Kommentar den Stars aus Sport und Showbusiness den Vorrang und dem Kollegen Peter Balzli Raum, seine intimen Kenntnisse Hackneys, Londons und Britanniens einzubringen. Die beiden scherzten und talkten sich locker durch den Abend, und so wissen wir jetzt, dass Londons Bürgermeister Johnson vor jedem Interview seine Haare verstrubelt, dass Balzli eine Vespa fährt und dass etliche der Olympischen Showstars schon in Benis «Benissimo» aufgetreten sind. Das war alles nicht zwingend notwendig aber über eine ganze Strecke durchaus vergnüglich. Umso mehr, als die Redaktion in Zürich gegen Schluss der Übertragung mit ihrem Einblender den angemessenen Kommentar setzte: «Sendung mit Produktplatzierungen». Womit sie wohl weniger die Vespas als das Product Placement für die Rolls Royce Limousinen meinte.

Wer neben den Medaillengewinnern aus dem 15 Milliarden-Projekt der Londoner Spiele noch Gewinn ziehen wird, ist im übrigen Gegenstand von Spekulationen. Mit Ausnahme der zwei offenkundigen Profiteure aus den Reihen der britischen Konservativen: Lord Sebastian Coe, der als OK Präsident ganz ohne Understatement verkünden konnte: «Britain did it right», was seinen Ambitionen im internationalen Leichtathletikverband kaum schaden dürfte: «Coe for IAAF President!» Der andere ist Londons Bürgermeister Boris Johnson, der «erstmals ordentlich gekämmt» (Balzli) zum öffentlichen Auftritt erschien, um die olympische Fahne dem Bürgermeister von Rio zu übergeben. «Boris for Prime Minister!» Vielleicht reizt ihn das Amt des Premierministers ganz heimlich doch.

Politisch Lied, ein garstig Lied

Garstige politische Anmerkungen waren aber auch bei der olympischen Schlussfeier nicht das Ding von Thurnheer/Balzli. Und vielleicht hatte Beni ja recht mit seinem Motto für die grosse Show der britischen Rock- und Popgeschichte: «Wir lassen die Zuschauer geniessen und geniessen selber». Gesellschafts-politische Wahrnehmungen sind ohnehin nicht das Ding des Schweizer Fernsehens und schon gar nicht seiner Sportabteilung.

Solches kann man eher bei der ARD aufschnappen, wo der Experte für Royals und gesellschaftliche Schichtungen, Rolf Seelmann-Eggebert, den Auftritt der drei afrikanischen Medaillengewinner im Marathon als Hinweis für die Zukunft deutete. Bei diesen Spielen der «Jugend der Welt», meinte er, würden in Zukunft mehr noch als heute die Ausgebeuteten und Beleidigten dieser Welt mit den Privilegierten zusammentreffen und ihnen den Rang ablaufen.

Der vorzeitige Ausstieg

Gehört habe ich das zufällig – weil nämlich das Leutschenbach-Fernsehen sich vorzeitig abgemeldet hatte aus London, 20 Minuten früher als die Schweizer Kollegen von Radiotélévision Suisse RTS und Radiotelevisione Svizzera RSI und eben auch die Deutschen von der ARD. Also habe ich mich für den Schluss der Feier bei der ARD und der Suisse Romande umgesehen.

«Et ça n’est pas fini!», riefen Pierre Bouillet und Dominique von Burg (TSR), als die letzte Fackel des Olympischen Feuers erloschen war und der Phönix aus der Asche leuchtete. RTS und RSI wollten wie die ARD ihrem Publikum «Take that» nicht vorenthalten, und das weltumspannende Ballet, und das Verlöschen der olympischen Fackeln, und das musikalische Schlusswort von «The Who», und den gemeinsamen Schlussauftritt all der Rock- und Popstars, und das Schlussfeuerwerk, und die Begeisterung der 80’000 im Publikum und der Sportler im Olympiastadion.

Nur das Leutschenbach-Fernsehen hatte sich mit knappen Worten von Beni und Peter eiligst noch vor dem Löschen des Feuers verabschiedet, mit einem knallharten Umschnitt auf was? – Auf einen beliebigen Programmhinweis selbstverständlich und ein Stück Werbung. Ein brutaler Abschied von einem Ereignis, das zuvor mit allen Mitteln ins Bewusstsein des Publikums getrieben worden war und sich dann in der Tat als grandioses Sportfest erwies, trotz der bescheidenen Erfolge der Schweizerinnen und Schweizer.

Die Panne: Licht aus am Leutschenbach

Im Studio in Zürich-Oerlikon waren eine Stunde nach Mitternacht offenbar schon längst die Lichter gelöscht. Anders als bei der ARD, wo Gerhard Delling ausgeharrt hatte und auf die Wiederholung der Sendung am Tag danach hinwies, und auf die Paralympics, die Spiele der körperlich Behinderten, die in wenigen Wochen am gleichen Schauplatz beginnen werden. Von all dem war nichts zu hören im Deutschschweizer Fernsehen – während die TSR-Kollegen zum Schluss ihre Begeisterung leben und die Zukunft beschwören konnten: Rio de Janeiro 2016, Sotschi im Winter 2014, und eben die Paralympics, die ein so wichtiges Element des Olympischen Gedankens sind.

Es war, wie wir heute wissen, bei SRF eine Panne. Der Kundendienst des Schweizer Farbfernsehen hat getwittert, «Grund für den unplanmässigen Ausstieg aus der #closingceremony war ein kommunikatives Missverständnis zwischen Kommentator und Sendezentrale #SRF.» Was immer das heissen mochte.

Auf Nachfrage bestätigt der stellvertretende Sportchef von SRF, Nök Ledergerber, dass das Team in der Zürcher Sendezentrale Beni Thurnheers erste Zusammenfassung vor dem Löschen des Olympischen Feuers und seine anschliessende Sprechpause von rund 20 Sekunden – nach dem Motto «Geniessen und geniessen lassen» – gründlich missverstanden und mit einer Kurzschlussreaktion quittiert hat. Der schöne Satz des Kommentators, «Ich gebe zurück nach Zürich» war zwar noch längst nicht gesprochen, aber es herrschte in der Sendeleitung offenkundig Panik in der ersten Morgenstunde. Und so haben sie ohne Rücksprache mit Thurnheer und Balzli das grandiose Schlussbouquet mit seinen emotionalen Bildern abgeschnitten und ohne irgend ein Schlusssignet wieder einen Programmtrailer und ein Stück Werbung auf den Bildschirm geknallt. Den über 100’000 Zuschauern am Schweizer Bildschirm mitten ins Gesicht.

«Shit happens», sagen die Amerikaner; es ist kein Weltuntergang. Und es hat bei dieser peinlichen Panne niemand nachhaltigen Schaden genommen.

Kommunikationsfehler – oder vielleicht Planungsfehler?

Aber: Hätten sie rechtzeitig und klar miteinander gesprochen, wäre der Fehler nicht passiert. Und sie hätten mit der Fehlleistung nicht Fragen aufgeworfen und Erinnerungen geweckt, die sonst vielleicht gar nicht zum Thema geworden wären. So haben sie schlicht die Reizschwelle überschritten.

Aufgeworfen wurde zum Beispiel die Frage, ob es dem olympischen Ereignis und seiner medialen Bedeutung angemessen war, dass das Studio zum Schluss der Live-Sendung nicht mehr besetzt war. Bei den anderen SRG-Regionen, RTS und RSI, war das nicht anders. «Eine Ermessensfrage», sagt Nök Ledergerber. Stimmt. Aber die ARD war mit Gerhard Delling noch präsent. Das Schweizer Fernsehen hätte mit Matthias Hüppi und/oder Steffi Buchli im SRF-Studio das Missverständnis mit London wohl rasch auffangen können. Ohne Auffangnetz explodierte der Knaller mit Programmtrailer und Werbung dann definitiv nach Murphys Gesetz: Es tritt bei einer Panne immer die schlimmere Variante ein.

Und: Die enge Verzahnung zwischen Programm, Programmtrailern und Werbeblock bleibt beim Service Public ein Thema – und immer mal wieder ein Ärgernis.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor hat bis Ende 2004 in verschiedenen Funktionen bei SRG und Schweizer Fernsehen gearbeitet.

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Eine Meinung zu

  • am 14.08.2012 um 17:13 Uhr
    Permalink

    So zahm – handzahm – lau – brav undsoweiterundsofort war der sehr geschätzte Robert Ruoff noch nie! Dieser Sonntagabend war ein ausgewachsener Skandal des sogenannten «Service public. Und das ganze Gesimse und Gesäusele war auf allen Kanälen noch ständig-penetrant «untermauert» mit Eigenwerbung für die ach so tolle Trägerschaft. Nur peinlich für SRG, Medienpäpste (oder -bundesrätin) und die 400 Bakom-Medienbeamten, deren Arbeit unter Bundesrat Leon Schlumpf noch von drei Leuten besser gemacht wurde.
    Mit der Bitte um mehr (und den alten) Biss und ebenso kollegialen wie liebem Grüssen
    Franz C. Widmer

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