Schweinestall

Erneut zeigen verdeckte Videoaufnahmen die Realität in Schweizer Zucht- und Mastbetrieben © TIF

Schon wieder Missstände in Schweizer Schweineindustrie

Tobias Tscherrig /  Verdeckte Aufnahmen zeigen erneut, wie schlecht Schweine in der Schweiz gehalten werden. Nun wurden neun Betriebe angezeigt.

Bereits 2014 sorgte die Tierrechtsorganisation «Tier im Fokus» (TIF) mit dem sogenannten Schweine-Report für Aufsehen: Verdeckte Aufnahmen aus Zucht- und Mastbetrieben in den Kantonen Luzern, Bern, Freiburg und Waadt zeigten grobe Missstände und schockierten die Öffentlichkeit.

Die Bilder führten zu einigen Medienerzeugnissen und gingen auch an der Politik nicht spurlos vorbei: Bastien Girod, Nationalrat der Grünen Partei, wollte in einer Interpellation wissen, welche Konsequenzen aus dem Schweine-Rapport zu ziehen seien. Die Antwort des Bundesrats liess keinen Handlungsbedarf erkennen: Die Schweiz verfüge generell «über ein hohes Tierschutz- und Tiergesundheitsniveau.» Tierhaltungen würden von den zuständigen kantonalen Vollzugsbehörden regelmässig kontrolliert, wobei in Einzelfällen Gesetzesumgehungen und Missstände festgestellt worden seien.

«Migros, Coop, Aldi und Denner betroffen»
So weit so gut? Mitnichten. TIF wurden erneut verdeckte Aufnahmen zugespielt, die im Zeitraum zwischen April und Dezember 2019 entstanden sind. Dieses Mal stammen sie aus insgesamt 13 Betrieben in den Kantonen St. Gallen, Solothurn, Bern, Luzern, Zürich, Schaffhausen und Aargau. Die Bilder werden von der Tierrechtsorganisation in Worte gefasst: «In einer Schweinemast schläft ein Schwein auf nacktem Beton, immer wieder wird es von einem heftigen Keuchhusten geschüttelt. Anderswo türmen sich tote Ferkel in einem Abfallkübel. In einem dritten Betrieb kauen verhaltensgestörte Schweine den Ringelschwanz eines Artgenossen blutig. In vielen weiteren Ställen leben die Schweine inmitten ihrer Exkremente.»


Die Aufnahmen, die TIF zugespielt wurden, zeigen die traurige Realität in Schweizer Zucht- und Mastbetrieben

Die Aufnahmen stammen gemäss TIF aus 13 Betrieben der Labels Naturafarm, IP Suisse und QM. Zu den betroffenen Grossverteilern sollen Migros, Coop, Aldi und Denner gehören. Konkret bemängelt die Tierrechtsorganisation fehlendes Beschäftigungsmaterial; Verhaltensstörungen; Kannibalismus; verdreckte, hinkende und hustende Tiere; geschwollene Beine; Nabelbruch; fehlendes Einstreu; Schläge und Vorausstallung.

«In der Massentierhaltung führen die Schweine ein jämmerliches Leben», sagt Tobias Sennhauser, Präsident von Tier im Fokus (TIF). Selbst grundlegende Bedürfnisse würden in der Schweiz systematisch missachtet. Schweine dürften immer noch auf dem nackten Beton oder in Kastenständen gehalten werden und kaum eines habe Zugang zur Weide. «Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass Schweizer Schweine glücklich sind.»

Neun Anzeigen wegen mehrfacher Tierquälerei
Die Stiftung «Tier im Recht» sichtete die Aufnahmen, die TIF zugespielt wurden – und reichte neun Anzeigen wegen Verstoss gegen das Tierschutzgesetz ein. Welche Betriebe angezeigt wurden, dürfe nicht mitgeteilt werden, sagt Vanessa Gerritsen, stellvertretende Geschäftsleiterin von «Tier im Recht». Die angezeigten Betriebe befänden sich allesamt in den Kantonen Solothurn, Bern, Luzern, Zürich und St. Gallen.

Der Vorwurf: mehrfache Tierquälerei sowie mehrfache Missachtung der Vorschriften über die Tierhaltung. Denn gemäss Tierschutzgesetz müssen kranke und verletzte Tiere von der Herde isoliert und behandelt werden. «Ein Schwein mit abgebissenem Schwanz, das von seinen Artgenossen weiter malträtiert wird, erfährt offensichtlich nicht die nötige Pflege», sagt Gerritsen.

Das Tierschutzgesetz schreibt zudem vor, dass sich Schweine permanent mit Stroh oder Raufutter beschäftigen können. Trotzdem würden viele Bauern diese Vorschrift ignorieren und damit das Wohl der Tiere gefährden, schreibt TIF in einer Medienmitteilung. «In mehreren Betrieben zeigen die Schweine deutliche Verhaltensstörungen in Form von Stangenkauen, was ein klares Indiz für Langeweile und Stress darstellt», so Gerritsen.

Die vorgefundenen Missstände würden mindestens im Bereich der Beschäftigung auf einen systematischen Mangel hindeuten: «Es scheint sich gerade nicht um einzelne schwarze Schafe zu handeln, sodass davon auszugehen ist, dass die konventionelle Schweinehaltung in grösserem Ausmass hiervon betroffen ist.»

Anzeigen trotz Schwerpunktprogramm
Die veröffentlichten Aufnahmen stammen gemäss TIF exakt aus demselben Zeitraum, während dem in der Schweiz ein «Schwerpunktprogramm zu Tierschutzkontrollen in der Schweinehaltung» lief. Das Programm wurde vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) in Auftrag gegeben und zusammen mit Kantonstierärztinnen und -ärzten erstellt. Die Zielsetzung des Programms ist klar umrissen: «Das Programm soll sicherstellen, dass die Haltungsbedingungen der Schweine auf allen Betrieben den Mindestanforderungen der Tierschutzgesetzgebung entsprechen.»

In unangemeldeten Kontrollen wurden in jedem Kanton 33 Prozent der Zucht- und Mastbetriebe auf die Aspekte «Anzahl und Funktionieren der Tränken», «Einsperren von einzelnen Sauen während der Geburtsphase», «Anbieten von Nestbaumaterial in den Abferkelbuchten», «Anbieten von Beschäftigungsmaterial» und «Haltung und Betreuung von kranken oder verletzten Tieren» überprüft.

«Warnung des BLV wirkungslos verpufft»
Allerdings kündigte das BLV sein Schwerpunktprogramm frühzeitig an: «In den nächsten Monaten werden Mitarbeitende des BLV die einzelnen Kontrollpunkte in der Suisseporcs (Verband der Schweizerischen Schweinezucht und Schweineproduzenten) im Detail vorstellen. Zusammen mit der Suisseporcs wollen wir mit dem Schwerpunktprogramm eine präventive Wirkung erzielen. Alle Schweinehalter sollen die geltenden Vorgaben der Tierschutzgesetzgebung kennen und auf ihrem Betrieb umsetzen. So sind sie auch bei unangemeldeten Kontrollen gut vorbereitet.»

Felix Grob, Geschäftsführer von Suisseporcs, wies in der «Tierwelt» bereits 2017 jegliche Kritik an der Schweinehaltung zurück: In der Schweiz laufe bezüglich der Schweinehaltung nichts falsch. «Es gibt einige neue Vorschriften. Da kann es schon einmal passieren, dass ein Produzent sich nicht mehr ganz sicher ist, ob er in seinem Stall alle Kriterien erfüllt.» Grob wies darauf hin, dass es Kritik an der Schweinehaltung schon immer gab und wohl immer geben werde. Tatsache sei aber, dass zwei Drittel der Schweizer Schweine in besonders tierfreundlicher Stallhaltung leben würden und 50 Prozent regelmässig freien Auslauf hätten.

Nach dem Schweine-Report aus dem Jahr 2014 zeigen nun allerdings auch die neusten von TIF veröffentlichten Videoaufnahmen, wie schlecht viele Schweine in der Schweiz gehalten werden. Ausserdem belegen sie, wie wenig sich in fünf Jahren geändert hat. Die Tierrechtsorganisation bilanziert: Die TIF-Recherche zeige, dass die Warnung des BLV wirkungslos verpufft sei. «Viele Landwirte missachten systematisch die Regeln, selbst wenn Kontrollen angekündigt wurden».

Gerritsen wundert sich nicht über die bestehenden Mängel: «Ein Blick in unsere Straffall-Datenbank und in unsere Straffall-Analyse aus dem Jahr 2018 mit Fokus auf die Schweinehaltung zeigt, dass auch die Rechtsprechung im Bereich der Schweinehaltung stark zu wünschen übrig lässt.»

Ständerat will keine obligatorische Videoüberwachung in Schlachthöfen

Obwohl Kontrollen im Auftrag des Bundes gezeigt haben, dass die Vorschriften zum Tierwohl auch in Schlachthöfen regelmässig ignoriert werden, hat sich der Ständerat am 3. Juni gegen die obligatorische Videoüberwachung in Schlachthöfen ausgesprochen.

Die kleine Kammer hat eine entsprechende Motion von SP-Ständerat Daniel Jositsch mit 32 zu 5 Stimmen und 6 Enthaltungen abgelehnt. Aus Sicht des Ständerats sei die obligatorische Videoüberwachung unverhältnismässig.

Die Stiftung «Tier im Recht» kommentiert den Entscheid: «Der offensichtliche und auch vom Bundesrat eingeräumte Handlungsbedarf bleibt damit bestehen. Die vorgeschlagenen Massnahmen – namentlich die verbesserte Schulung des Schlachtpersonals, die Anpassung einzelner Betäubungsmethoden und die Überarbeitung der Dokumentation für die Selbstkontrolle von Schlachtbetrieben – setzen weiterhin auf Vertrauen in eine eigenverantwortliche Einhaltung der Tierschutzvorschriften, und dies ausgerechnet in einem hochsensiblen und heiklen Tierschutzbereich.»


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3 Meinungen

  • am 5.06.2020 um 13:29 Uhr
    Permalink

    "Welche Betriebe angezeigt wurden, dürfe nicht mitgeteilt werden, sagt Vanessa Gerritsen, stellvertretende Geschäftsleiterin von «Tier im Recht»"
    Natürlich darf das mitgeteilt werden. Eine Anzeige ist ein Verwaltungsprozess und das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/staat/gesetzgebung/archiv/oeffentlichkeitsprinzip.htmls) sieht für den vorliegenden Fall keine Ausnahme vor. Es handelt sich hier aus Sicht der Halter zwar schon um ein Betriebsgeheimnis, aber nicht aus Sicht des Gesetzgebers, also wir dem Souverän. Das Betriebsgeheimnis kann nicht angeführt werden, um Schweinereien unter dem Deckel zu halten, sondern nur, wenn die Informationen der Konkurrenz nützen könnte. Das ist hier klar nicht der Fall, schaden solche Information gerade auch der Konkurrenz.
    Als Stimmbürger in der Eidgenossenschaft staune ich immer wieder, wie der Juristenzirkus unsere Gesetze anwendet. Welchen juristischen Winkelzüge auch immer hier angewendet werden, es sind und bleiben Winkelzüge. Und alle Juristen spielen dieses Spiel mit, weil die Winkelzüge ihr Metier sind. Die Juristen spielen also ihr abgehobenes Spiel, während das System vorsähe, dass die Judikative die Gesetze so anwendet, wie es der Souverän vorgesehen hat. Und der Souverän ist in erdrückender Mehrheit nicht Jurist, noch Akademiker. Er versteht die Gesetze so, wie sieht da stehen und nicht bis zur unkenntlichkeit verdreht.

  • am 5.06.2020 um 14:50 Uhr
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    Vielleicht versucht Daniel Jositsch einmal, in der kleinen Kammer die Videoüberwachung vorzuschlagen um herauszufinden, welche Ständeräte welche Schweinereien in unserer Demokratie noch als «verhältnismässig» betrachten.

  • am 6.06.2020 um 08:56 Uhr
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    Der Titel «Schon wieder …"ist falsch. Schon immer gab es Missstände in der Schweinehaltung. Gedeckt durch die Politik, Beamte und Kantonstierärzte die sich in permanenten Wegschauen üben. Aber auch Schweinemäster, Grossverteiler und Konsumenten sind schuldig an der Tierhaltung. Wenn es pro Kilo Schwein wegen Überangebot für den Produzenten nur 50 Rappen gibt ist das krank!

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