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SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor gilt als Hardliner mit «notorisch islamfeindlichen Meinungen» © parlament.ch

«Notorisch islamfeindliche Meinungen» eines SVP-Nationalrats

Tobias Tscherrig /  Jean-Luc Addor wurde auch in zweiter Instanz wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen. Einsicht zeigt er noch immer nicht.

Es war ein starkes Stück, dass sich der Walliser SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor im Sommer 2014 (vor seiner Wahl in den Nationalrat 2015) geleistet hatte: Wenige Minuten nach einer Schiesserei in einer St. Galler Moschee, bei der ein 51-jähriger Mann getötet wurde, verlinkte er auf Twitter und Facebook entsprechende Meldungen und versah diese mit der Überschrift «On en redemande!» (Wir wollen mehr davon!). Der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) reichte eine Anzeige ein, das Bezirksgericht Sitten befand den SVP-Nationalrat im Mai 2017 der Rassendiskriminierung für schuldig.

Addor zog das Urteil an die nächsthöhere Instanz weiter und verlor vor einigen Tagen erneut: Das Kantonsgericht bestätigte das Urteil des Bezirksgerichts mit äusserst klaren Worten und befand den SVP-Nationalrat, der sich als Präsident von «Pro Tell» auch für ein «freiheitliches Waffenrecht» einsetzt und sich als Mitglied der rechtskonservativen «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (AUNS) gegen jegliche Annäherung an die Europäische Union ausspricht, wegen Rassendiskriminierung für schuldig.

Trotz der vernichtenden Urteilsbegründung akzeptiert Addor auch dieses Urteil nicht und kündigte an, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen.

Addor stilisiert sich zum Verteidiger der Meinungsfreiheit
Der Rechtsstreit um Addors Aussage ist ein Lehrstück, das zeigt, wie die äusserste Rechte eigentlich unumstrittene Justizfälle für ihre Zwecke nutzt, sich selbst die Opferrolle zuspielt und den Gerichtssaal als Bühne missbraucht, um Propaganda abzusetzen. Dazu eignet sich der vorliegende Fall besonders gut: Die Anzeige kommt ursprünglich vom umstrittenen Islamischen Zentralrats der Schweiz IZRS – auch wenn ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm als Offizialdelikt gilt und von den Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen verfolgt werden muss. Der Angeklagte gilt als Hardliner, der sich als Verteidiger des Vaterlands und des Christentums aufspielt und bereits in der Vergangenheit mit Aussagen unter der Gürtellinie aufgefallen ist. Dass sich Addor im Nationalrat vor allem mit Themen der Einwanderung beschäftigt, liegt auf der Hand.

Dazu kommt der Beruf des SVP-Nationalrats: Addor ist Rechtsanwalt und arbeitete ab 1992 als Untersuchungsrichter für das Zentralwallis, bevor er 2001 vom Walliser Kantonsgericht wegen verschiedener Fälle von «Interessenkonflikten» entlassen wurde. Damit sollte der SVP-Hardliner, der in seiner Funktion als Nationalrat die Öffentlichkeit von einem Grossteil der Gerichtsverfahren ausschliessen wollte und dafür einen Schmähpreis erhielt, zumindest die gesetzlichen Bestimmungen der Schweiz kennen. Trotzdem ist er sich nicht zu schade, den relativ klaren Begriff der Meinungsfreiheit zu verbiegen und sich als Ritter in glänzender Rüstung darzustellen.

Akt 1: «Rassismus-Strafnorm ist ein Schurkengesetz»
Bereits die Verhandlung vom Mai 2017 vor dem Bezirksgericht Sitten wurde von Addor und seinem Verteidiger Marc Bonnant zu einem Theaterstück gemacht. Vor zahlreich erschienenen Sympathisanten, darunter auch Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung «Résistance Hélvetique» («Infosperber» berichtete mehrmals, siehe Links am Ende des Textes), zogen Addor und sein Verteidiger eine regelrechte Show ab. Sie stellten sich auf den Standpunkt, dass es sich bei Addors Aussage «On en redemande!» um Ironie gehandelt haben soll. «Ich war sehr überrascht, dass meine Worte wörtlich verstanden wurden. Im Gegensatz zu dem, was ich sagen wollte», so Addor. Dabei hatte der SVP-Nationalrat schlichtweg dazu aufgerufen, einen Mord in einer Moschee zu wiederholen.

Addors Anwalt schien mehr zu den anwesenden Journalisten und den erschienenen Sympathisanten als zum Richter zu sprechen. Die Schiesserei in St. Gallen blieb für ihn eine «mafiöse Abrechnung». Dass sie in einer Moschee stattgefunden hat, sei «ein Detail». Der Fall dokumentiere den Zusammenhang zwischen Einwanderung und Kriminalität. Islamophobie sei nicht nur legitim, sondern die Pflicht jeder strukturierten Intelligenz in «unserer jüdisch-christlichen Zivilisation».

Verteidiger Bonnant sprach von einem «triumphierenden Islam» und malte ein düsteres Bild von «unserer Zivilisation», die an den Tugenden der «Gastfreundschaft und Toleranz sterben wird». «Wenn Ihre Töchter den Niqab tragen und Ihre Söhne nach Mekka beten, werden Sie sich fragen, was der ‹Artikel 261 bis‹ (Rassismusstrafnorm) des Strafgesetzbuches und seine Auslegung durch deutsch-schweizerische Juristen wert war». Besagter Artikel sei ein «Schurkengesetz», das aufgehoben werden solle. Und: wenn Muslime nicht wüssten, was Ironie sei, sollten sie es lernen.

Das Publikum fand derartige Aussagen amüsant, lachte und applaudierte. Der Richter musste verärgert zur Ordnung rufen: «Wir sind nicht beim Zirkus». Dass Bonnant und Addor die Verhandlung vor allem zu Propagandazwecken nutzen wollten, zeigte folgende Aussage von Bonnant, der zu seinem Mandanten sagte: «Lasst mich verlieren! Sie verdienen es, ein Märtyrer und Widerstandskämpfer zu werden, und Sie könnten Ihre Wahlbasis festigen».

Das Bezirksgericht liess sich von solchen plumpen Aussagen nicht übertölpeln und verurteilte Addor wegen Verstosses gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 300 Franken. Hinzu kam eine Busse von 3000 Franken. Auch die Gerichts- und Verfahrenskosten gingen zu Lasten des Verurteilten. Aber Addor akzeptierte das Urteil nicht, legte Berufung ein und zog den Fall ans Walliser Kantonsgericht weiter.

Akt 2: Es dürfen nicht «die Falschen» gewinnen
Deshalb kam es Anfang März 2020 zur Verhandlung vor der zweithöchsten Instanz. Das Theater, das Addor und sein Verteidiger Bonnant abzogen, glich stark dem Auftritt vor der ersten Instanz – nur dass der Kreis der anwesenden Sympathisanten deutlich geschrumpft war. Bonnant hielt erneut ein theatralisches Votum und behauptete etwa, dass der «Islam» «erobernd und siegreich» sei. Das Christentum gehe unter, Demokratien würden zerfallen, das Abendland sterbe. Er aber, wolle seine christliche Zivilisation «nicht sterben lassen». Nach dem erstinstanzlichen Urteil hätten «die Muslime» gejubelt und es als «Sieg des Islams» angesehen. Weil sonst die Falschen gewinnen würden, wollte Bonnant für seinen Mandanten einen Freispruch erwirken.

Aber auch das Kantonsgericht folgte den kruden Argumentationen von Addor und seinem Verteidiger nicht. Addors Berufung wurde abgewiesen.

Urteilsbegründung in klaren Worten
Das Walliser Kantonsgericht wählt in seiner Urteilsbegründung deutliche Worte. Jean-Luc Addor sei nicht nur eine Person des öffentlichen Lebens, sondern «bekannt für seine islamfeindlichen Ansichten». Im Übrigen habe er in seinen Postings eine Ausdrucksweise verwendet deren «Brutalität und Prägnanz durch einen weniger erfahrenen Durchschnittsleser wortwörtlich und undifferenziert verstanden werden konnte».

Addor habe eindeutig einen Ansporn zum Hass gegen eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit formuliert. «Darüber hinaus wählte er eine Formulierung, die wörtlich genommen in besonders brutaler Weise einen Aufruf darstellte, einen Mord in einer Moschee zu wiederholen, während er – obwohl erfahrener Anwalt und Politiker – darauf verzichtete, auch nur die geringste sprachliche Vorsicht walten zu lassen, damit auch ein uninformierter Leser dies als zweideutige Botschaft hätte auffassen können».

Akt 3: Internetvideo, Opferrolle und Bundesgericht
Trotz dieses klaren Urteils, will sich SVP-Nationalrat Addor nicht belehren lassen. Bereits kurz nach der Verhandlung hatte er angekündigt, das Urteil vor Bundesgericht zu ziehen. Eine Absicht, die er später in einem Internetvideo bekräftigte. Wie bei der ersten und auch bei der zweiten Verhandlung, stellt sich Addor dabei erneut auf den Standpunkt, den Wunsch nach einem erneuten Mord in einer Moschee ironisch gemeint zu haben. In diesem Land gebe es nicht mehr viel Platz für Ironie, sagt Addor. Er werde aber nicht schweigen und sich mit aller Kraft dafür engagieren «unser Land und unsere Zivilisation zu verteidigen.» Vor was oder wem auch immer, Addors Kampf scheint ohne einen öffentlichen Aufruf zu einem weiteren Mord in einer Moschee nicht zu funktionieren.

Und natürlich beruft sich Addor erneut auf die Meinungsfreiheit «oder was davon noch übriggeblieben» sei. So wie das alle machen, die gerne andere Menschen diskriminieren. Wer aber noch immer nicht begreifen will, dass die Meinungsfreiheit Einschränkungen kennt, sich dabei in seiner Meinung beschnitten sieht und ohne die öffentliche Diskriminierung von Menschen aufgrund von Rasse, Ethnie, Religion oder Sexualität nicht auskommen kann, hat in der Politik nichts verloren.

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8 Meinungen

  • am 5.05.2020 um 14:13 Uhr
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    Selber schuld, wer einen solchen «Rüppel» wählt. Tragisch für eine politische Schweiz solche Spezies im Parlament vorzufinden.

  • am 5.05.2020 um 14:41 Uhr
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    Die Äusserungen des SVP-Nationalrates waren deplatziert und ungeschickt. Aber man kann natürlich alles schönreden, damit tun wir uns und unserem Land keinen Gefallen. Auch Infosperber spielt da ein schlechtes, undurchsichtigtes Spiel: «Wer unschuldig ist, werfe den ersten Stein!» Da ist selbst Infosperber nicht in der Lage, Steine zu werfen! Vergesst einfach dieses Thema, damit kann Infosperber keine Punkte gewinnen!

  • am 5.05.2020 um 18:20 Uhr
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    Addor und Anwalt äussern sich grenzwertig, beziehungsweise überschreiten eindeutig die Grenze von Anstand und Recht. Von Menschen wie Addor möchte nur ein kleiner Teil der Schweizer Bevölkerung verteidigt werden. Nicht einmal alle Walliser und Walliserinnen, die ihn als NR gewählt haben, werden seine Haltung und seine rassistischen Aussagen gut heissen.

  • am 5.05.2020 um 20:37 Uhr
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    Hallo
    Mich hätte etwas mehr Hintergrund über den Menschen Jean-Luc Addor interessiert, Menschen die Ihn wählen. Was denken seine Partei Kollegen im Nationalrat?

  • am 6.05.2020 um 07:38 Uhr
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    Keine Regierung eines Landes, kein Politiker und kein Medienerzeugnis klärt auf und macht darauf aufmerksam, dass wir ab unschuldigem Baby-Alter, wie im Spielcasino, willkürlich und unfreiwillig auf eine Religion gesetzt und dementsprechend indoktriniert werden.
    Basis und Grundlage dafür bildet primär der zufällige Geburtsort. Genauso zufällig, wie die Namensgebung. Von den wohlmeinenden und lieben Eltern getauft (und beschnitten): auf: Türkei=Islam, Indien=Hindu, Birma=Buddhismus, usw. (zusätzlich noch Staatsreligion).

    Auf der ganzen Welt werden – ohne jeden Widerspruch – die unterschiedlichsten und unglaublichsten «Religionsgeschichten» von ihren Göttern erzählt, die man angeblich
    zu ehren, zu respektieren und zu tolerieren hat, man nennt es: «Unheilige Allianzen».
    Jede Religion reklamiert, dass sie die göttliche Wahrheit habe (seien auserwähltes Volk).
    Alles willkürliche Vorgaben, für die überhaupt keine nachvollziehbaren Fakten vorliegen;

  • am 6.05.2020 um 08:18 Uhr
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    Es liegt in der Natur dieser Rassismus-Strafnorm, dass sie für Propaganda missbraucht werden kann. Die Schöpfer dieses Gesetzes waren sowieso kurzsichtige, verblendete Ideologen. Schränkten sie ja nicht nur die Meinungsfreiheit ein, sondern verankerten sie auch zum ersten Mal den Begriff Rasse in unseren Gesetzen. Bis dahin gab es in der Schweiz rechtlich gesehen nur Menschen. Jetzt haben wir Rassen. Eine wirklich tolle Leistung!

  • am 6.05.2020 um 11:55 Uhr
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    Was hier passiert ist typische Sündenbockpolitik um von den eigenen finsteren Machenschaften abzulenken. Das ausgebeutete Volk das vor lauter Prekarisierung nicht mehr weiss wo der Kopf steht nimmt einfache Lösungen dankbar an. Nichts davon ist irgendwie etwas neues noch nie dagewesenes sondern über die Jahrhunderte erprobte Strategie um den Menschen noch das letzte Hemd vom Leib zu reissen und hören zu können das es dafür noch dankbar ist.

  • am 7.05.2020 um 12:02 Uhr
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    Führte der „Blick“ gegen Hr. Addor ebenso eine Schlammschlacht wie er es damals gegenüber Jonas Fricker tat? Höchstwahrscheinlich nicht, weil Herr Addor bei der SVP ist und Herr Fricker bei den Grünen.

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