Kommentar

Kosten sparen? Ja bitte! 1:12 macht’s möglich.

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Die Initiative 1:12 senkt die Lohnkosten von Konzernzentralen. Ein Standortnachteil? Nein, ein Vorteil.

Zwei Gewissheiten prägten bisher mein ökonomisches Verständnis. Die erste: Eine gleichmässige Einkommensverteilung fördert den Umsatz des Detailhandels. Denn tausend Leute, die in der Migros einkaufen, können ihre tausend Franken schneller in Konsumgüter umsetzen als – sagen wir – Herr Ospel, der mit einer Million Franken im Portemonnaie in die Migros posten geht. Und die zweite Erkenntnis: Unternehmen streben danach, ihre Kosten zu senken, um ihre Gewinne zu mehren. Darum lagern viele Konzerne ihre Produktion und Arbeitsplätze in Niedriglohn-Länder aus.

Doch diese meine Gewissheiten werden seit einigen Monaten erschüttert. Schuld sind bürgerliche Parteien, Wirtschaftsverbände und ihre Schalltrichter in den Medien. Sie haben die vornehme Aufgabe entdeckt, im Interesse des Minderheitenschutzes 4400 Spitzenverdiener in der Schweiz vor dem drohenden Einkommensverlust zu bewahren, den diese als Folge der 1:12-Initiative erleiden würden.

Zuerst rechneten uns die Parteigutachter des Gewerbeverbandes vor, Staat und AHV würden einen massiven Einkommensverlust und die Schweiz einen Wohlstandsverlust erleiden, falls die Spanne zwischen untersten und obersten Löhnen in einem Unternehmen auf 1:12 begrenzt wird. Somit, so schloss ich schon früher, lässt sich der Wohlstand erst maximieren, wenn das gesamte Volkseinkommen auf eine Person konzentriert und der Lohn aller übrigen Bezüger auf null reduziert wird (Vgl. Infosperber vom 12.9.2012: «Wie ungleiche Löhne Staat und AHV retten»).

Die zweite Gewissheit raubt mir unter andern Stefan Schnyder, Wirtschaftsredaktor der «Berner Zeitung» (BZ). In seinem BZ-Samstagskommentar unter dem Titel «Die 1:12-Initiative ist viel radikaler, als sie scheint», warnt er: «In einer ersten Phase besteht das Risiko, dass grosse international tätige Unternehmen ihr Spitzenmanagement ins Ausland verlegen werden.»

Besteht dieses Risiko tatsächlich? Trachten kostenbewusste Aktionäre und Verwaltungsräte wirklich danach, ihre Konzernzentralen von der Schweiz ins Ausland zu verlegen, damit sie ihren Managern weiterhin Löhne in zweistelliger Millionenhöhe zahlen dürfen? Logischer wäre das Gegenteil: Wenn die Schweiz sich dank Zustimmung zur 1:12-Initiative zum Tieflohn-Land für Spitzenmanager entwickelt, müsste sie zusätzliche Konzernzentralen von international tätigen Unternehmen anziehen, wie es – am andern Ende der Lohnskala – der Staat Bangladesh mit seinen Nähfabriken tut.

Zumindest die Sachwalter der reichen Schweiz sollten darum der 1:12-Initiative zustimmen. Denn, so schreibt ihr Kommentator in der BZ weiter: «Die Schweiz verdankt ihre hohe Wirtschaftskraft in erster Linie der hohen Dichte an international orientierten Grossunternehmen. So gesehen ist diese Abstimmung auch ein Plebiszit für oder gegen Grossunternehmen.» Eben.


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4 Meinungen

  • am 11.11.2013 um 12:31 Uhr
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    Ich bin einverstanden, die 1:12 Initiative ist viel radikaler als sie scheint, allerdings auf beide Seiten! Ich will keine Empfehlung abgeben, es gibt genügend Argumente dafür wie auch dagegen. – Da hilft nur der gesunde Menschenverstand, dem ich jedem Bürger zubillige! Ich frage mich allerdings, brauchen wir mehr «Abzocker", damit es uns allen besser geht? Dies wäre ein Argument für die 1:12 Initiative, es gibt aber auch viele Argumente gegen 1:12!

  • am 11.11.2013 um 22:33 Uhr
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    Neiaberau Herr Guggenbühl – sonst kenne ich sie als fundierten Kommentator und Schreiber, aber dieser Artikel war wohl zu sehr ein «Schuss aus der Hüfte» und darum schlecht gezielt: 1. Geht es bei 1:12 im Gegensatz zur Minder-Initiative nicht um den Schutz vor Abzockern, sondern um einen nur mangelhaft verschleierten Angriff auf marktwirtschaftliche Mechanismen, 2. besteht Konsum wohl nicht nur aus Einkäufen bei der Migros… Und leider gehen auch Ihre Überlegungen betreffend Konzernzentralen völlig an der Realität vorbei: solche Entscheide treffen in aller Regel exakt die Leute, die davon betroffen wären (dass die Aktionäre darüber entscheiden, ist in aller Regel – leider – immer noch Fiktion). Es gibt also sehr wohl, sehr gut fundierte Gründe gegen 1:12, kein einigermassen volkswirtschaftlich gebildeter Mensch würde aber einen guten Grund dafür finden… Dass etliche Verbände und Kommentatoren leider auch bei dieser Abstimmung eine denkbar schlechte Figur machen, sollte nicht dazu verführen, aus Trotz für 1:12 zu stimmen.

  • am 12.11.2013 um 12:02 Uhr
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    Zurzeit läuft im Zusammenhang mit der 1:12-Initiative eine Kampagne gegen die direkte Demokratie in diversen Medien. Tatsache ist: In „Global Risks 2013“ (World Economic Forum WEF) bewerten über 1000 Experten aus Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Wissenschaft zuoberst auf der Liste der Bedrohungen, die am ehesten auftreten und Schaden verursachen können, „Massive Einkommensunterschiede“. Weil die internationale kapitalistische Gier keine Grenzen bei überhöhten Einkommen in den Chefetagen und der damit verbundenen Entsolidarisierung kennt, braucht es politische Korrekturen. Denn der noch vorhandene soziale Frieden macht unser Land zum interessanten Standort für sichere Investitionen und faire Löhne. Diesen Standortvorteil für alle schützen wir mit unseren Volksrechten, welche auch in Zukunft ein selbstbestimmtes Korrektiv für den Erhalt einer solidarischen Gesellschaft in der Schweiz bleiben. Trotz aller Erpressungsversuche und Drohungen.
    Rudolf Brenner, Zürich

  • am 12.11.2013 um 16:49 Uhr
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    Trotzdem gibt es wohl wenige Länder in denen so wenige Steuern abgeliefert werden müssen, bei so zuverlässiger Infrastruktur und bei der vorteilhaften Geographischen Lage. Nicht zu vergessen die starke Lobby im Parlament. Nicht alle Standortvorteile beziehen sich auf die Lohndebatte.

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