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Ein witziger Comics und die Hausfrau als fliegende Topmanagerin: Beilage zum Frauenstreik von 1991. © cc

Frauenstreik 1991: Mit einem Augenzwinkern auf die Barrikaden

Catherine Duttweiler /  „Das Magazin“ veröffentlichte vor 28 Jahren eine Sondernummer zum Frauenstreik: Viele Forderungen wirken topaktuell, andere schräg.

„Schluss mit dem Blablabla! – Ein Frauen-Dossier nicht nur für Frauen“, hiess es ultimativ auf der Titelseite des „Magazins“, das am 7. Juni 1991 – eine Woche vor dem ersten Schweizer Frauenstreik – erschien. Damals wusste keine, dass eine halbe Million Frauen dem Streikaufruf folgen würden, doch das „Magazin“ hatte einmal mehr die Nase im Wind. Auf dem Cover war die Karikatur eines gönnerhaften Managers abgebildet, der seine Frau zum Mitstreiten animieren wollte: „Natürlich machst Du mit! Du bist doch emanzipiert!“ Der Mann fürchtete, seine Frau könnte ihn am Firmenapero blamieren. Denn seine Firma unterstützte den Frauenstreik – die Mitarbeiterinnen erhielten sogar einen „Streikbatzen“ vom „Boss“!


Ganz schön frech: DAS MAGAZIN mobilisierte mit einem eigenen Comics.
So zumindest sahen es damals die Zeichnerin Brigitte Fries und die Journalistin Liz Sutter, die auf ihrer Doppelseite mit einem Augenzwinkern für den Streik mobilisierten. Ob frau frei nehmen dürfe, wurde schon damals kontrovers diskutiert. Ich selber musste als streikende Jungjournalistin und Verantwortliche fürs Streikdossier beim „Magazin“ zwar keine Konsequenzen befürchten, als wir im Innenhof des Tagi-Hauptgebäudes 500 lila Luftballone steigen liessen und uns später am Paradeplatz auf die Tramgeleise setzten; jene aber, die am 14. Juni 1991 dennoch zur Arbeit erschienen, wurden von einer Charmeoffensive der Tagi-Verlagschefs überrascht: Sie erhielten zum Dank für ihr Erscheinen eine Rose.

Vieles hat sich bewegt – in Wirtschaft, Politik, Kultur – seit dem ersten Frauenstreik, als die Demonstrantinnen skandierten: „Wenn Frau will, steht alles still!“ oder auch: „Wenn Frauen wollen, kommt alles ins Rollen!“

Feministinnen fordern 9350 Franken Monatslohn für die Hausfrau

Das beweist ein Blick ins Sonderheft des „TagiMagi“, wie man es damals noch liebevoll nannte. Dort publizierte Autorin Ursula Seiler-Spillmann eine Ehrenrettung für die Hausfrauen – in einer Zeit, zu der die Erwerbsquote von Frauen bei 54,5 Prozent lag und Kurse für Wiedereinsteigerinnen ebenso rar waren wie praktizierende Hausmänner. „Die Schweiz verfügt über ein ungeahntes Potential an erfahrenen Managerinnen“, schrieb sie in ihrem mit amerikanischem Wirtschaftsslang durchtränkten Text (vgl. Link unten). Diese Frauen praktizierten einen trendigen Führungsstil: „Management by Love“, für Gottes Lohn. Detailliert beschrieb sie, dass Hausfrauen oder eben „Home Chief Executive Officers“ (HCEOs) unersetzliche Multitalente seien: als Raumpflegerinnen, Diätberaterinnen, Food-Stylistinnen, Gesundheitsbeauftragte, Kindergärtnerinnen, Couturièren, Kosmetikerinnen, Innendekorateurinnen, Lehrerinnen, Account Executives, Sekretärinnen, Psychologinnen, Restauratorinnen, Krankenpflegerinnen, Floristinnen, Wäscherinnen, Büglerinnen, Tellerspülerinnen, Einkäuferinnen, Märchentanten und Reiseorganisatorinnen. Kaum ein CEO müsse derart viele Aufgaben bewältigen, argumentierte sie, weshalb ein Monatslohn von 9350 Franken für Hausfrauen durchaus angemessen sei: Das mache auf 60 Jahre Arbeitstätigkeit hochgerechnet pro HCEO „die stolze Summe von 6,73 Millionen Franken (die Teuerung nicht eingerechnet)“. Die Frauen seien ihren Preis wert, schrieb sie und zitierte Management-Guru Gerd Gerken: Je mehr sich eine Firma einer verschworenen Familie angleiche, umso erfolgreicher sei sie. Ihr Fazit lautete „Männer an den Herd – Frauen an die Front!“

Die Forderung hat bis heute nichts an Aktualität eingebüsst. Denn die Erwerbsquote der Frauen in der Schweiz ist seit 1991 zwar von 54,5 auf fast 80 Prozent gestiegen, wenn Teilzeitarbeitende voll mitgezählt werden. Ein erfreulicher Fortschritt. Laut Bundesamt für Statistik wird indes in zwei Dritteln der Paarhaushalte die Hausarbeit noch immer von der Frau erledigt, während in 5,1 Prozent der Haushalte hauptsächlich ein Hausmann zuständig ist. Die Nachteile für die betroffenen Frauen liegen auf der Hand: Sie unterbrechen ihre Karriere, verlieren fachlich den Anschluss, müssen sich später aufwendig weiterbilden, um Jahre später auf demselben Niveau wieder einzusteigen, haben tiefere Löhne – und sparen damit auch wesentlich tiefere AHV- und Pensionskassenrenten an.

Frauen streiken immer wieder seit 2400 Jahren
Das „Magazin“ porträtierte daher die ersten Frauen, die auf gleichen Lohn klagten, und gab konkrete Tipps, wie Frauen zu einem fairen Lohn kommen – ein Thema, zu welchem es heute Ratgeber-Bücher und Seminare gibt. Es vermittelte einen Überblick über 2400 Jahre Frauenstreiks: von dem von Lysistrata initiierten Liebesstreik um 411 v. Chr. über den Italienerinnenstreik von 1907 in Arbon und den Bieler Milchstreik von 1930 bis hin zum Prostituiertenstreik von 1975 in Lyon (s. Link unten).

Auch die zunehmende „Billigarbeit“ war – Jahrzehnte vor der Digitalisierung – ein Schwerpunktthema. Die bekannte Wirtschaftsjournalistin Rosmarie Gerber kritisierte die Flexibilisierung der Arbeit, insbesondere in weiblich dominierten Bereichen wie im Verkauf, im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen: „Immer mehr Frauen arbeiten neben dem Haushalt stundenweise und auf Abruf“, schrieb Gerber. Und weiter: „Damit verdienen sie sich ein Taschengeld“ und seien sie für ihre Chefs eine „billige Manövriermasse“. Auch ihre Kritik ist bis heute aktuell geblieben, denn Home Office und Telearbeit erlauben zwar mehr Flexibilität für die Arbeitnehmerinnen, haben indes den Druck verschärf: Verlangt wird auch für ausführende Tätigkeiten vermehrt ein überdurchschnittliches Engagement über die Bürozeiten hinaus. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zerfliessen.

Redaktorinnen schmücken sich mit einem Alibimann
Aufschlussreich, das Frauendossier Jahrzehnte später durchzublättern! Ich kam frisch von der Journalistenschule – und hatte eine Carte Blanche: Ich durfte ohne Spardruck zusammen mit einem Team von Freischaffenden 18 Seiten gestalten und berücksichtigte ausschliesslich Frauen. Mit einer Ausnahme. „Wir haben unser Dossier mit einem Alibimann geschmückt“, schrieb ich damals im Editorial, das hätten wir den Kollegen abgeschaut: „Schliesslich wollen wir uns nicht vorwerfen lassen, dass wir Männer diskriminieren.“ Ein halbes Kompliment an Chefredaktor René Bortolani, der mir zwar freie Hand liess, aber im selben Heft relativierte, dass ein nächstes Frauen-Dossier thematisieren werde, wie Wirtschaftsfrauen „ihre weiblichen Werte“ bewahren könnten. Eine Bemerkung, die bis heute aufblitzt, wenn es gilt, erfolgreiche Frauen in die Schranken zu weisen.

Der Alibimann selber, Fernsehjournalist Daniel Blickenstorfer, ein Kollege aus der Journalistenschule, war ein Volltreffer. Seinen Text betitelte er mit „Ein dickes Dankeschön an die Emanzen“. Nach zwanzig Jahren Frauenbewegung gehe es den Männern gut, schrieb er nicht ohne Ironie: „Wir haben das Beste daraus gemacht, das Beste für uns Männer.“ Dann folgte eine lange Liste: „Wir haben jetzt die Witwerrente. Wir können uns vorzeitig pensionieren lassen. Wir zahlen nicht nur tiefere Alimente an unsere Ex-Frauen, wir können jetzt den Spiess auch umdrehen und sie auf Alimentenbezahlung einklagen. Wir sind die Feuerwehrdienstpflicht los. Wir können einen Adoptionsurlaub beanspruchen. Bleibt nur das höhere Pensionsalter; für viele Geschlechtsgenossen ist auch das nur eine Frage der Zeit.“ Unter dem Strich bilanzierte Blickenstorfer: „Neue Männer hat das Land – und nur ein unverbesserlicher Altruist wird den alten eine einzige Träne nachweinen.“ Seine Aussagen untermauerte er mit Zahlen und schloss daraus etwas voreilig: Männer seien keine Patriarchen, keine Machos, keine Gentlemen, keine Beschützer, keine Gefühlsdussel, keine Paschas und auch keine Ignoranten mehr (vgl. Originaltext). Blickenstorfer ist seit 1995 selber Vater und findet die partnerschaftliche Aufgabenteilung beider Elternteile heute, wie er betont, „extrem wichtig“.

2019: Heutige Frauen bleiben dran
Ja, vieles hat sich bewegt seit den 90ern – quer durch alle Bereiche. Mit der „MeToo“-Bewegung wurde erst kürzlich eines der letzten Tabus der westlichen Welt, die sexuelle Belästigung von Frauen im Beruf und ihre fortgesetzte Reduktion auf ihr Äusseres, breit aufgegriffen und öffentlich stigmatisiert. In der Schweiz hat sich mit Verspätung die rechtliche Situation verbessert: Beispiele dafür sind das neue Eherecht, die überfällige Einführung des Mutterschaftsurlaubs, die Alimentenbevorschussung für Alleinerziehende sowie bei der AHV das Splitting und die Erziehungsgutschriften. Beim Lohn haben die Frauen aufgeholt, es bleibt aber je nach Berechnungsmethode eine Differenz von 12 bis 19 Prozent, wovon 42 Prozent durch Faktoren wie Karriereunterbruch nicht erklärbar sind. Speziell im Kader und auf Geschäftleitungsebene sind Frauen noch immer eine scharf beobachtete Minderheit, ihr Anteil ist in den letzten zehn Jahren kaum gestiegen. In der Politik hat sich der Anteil an Frauen auf Regierungsebene seit 1991 markant verbessert, in den Parlamenten hat sich der Trend abgeschwächt und ist gerade auch im Ständerat rückläufig.

Im Alltag haben Mittagstische und Tageschulen die Situation von berufstätigen Mütter mit Kindern etwas entspannt. Und doch zeigt sich in allen Lebensbereichen immer mehr, dass die Welt von Männern für Männer konzipiert wurde: Frauen haben ein markant grösseres Verletzungsrisiko bei Verkehrsunfällen, weil Kopfstützen, Airbags und Crash Test Dummies auf männliche Masse ausgerichtet sind, wie Studien zeigen. Sie schlucken zu viele Medikamente, weil die empfohlene Dosis vielfach für den Mustermann berechnet wird. Sie bezahlen höhere Versicherungsprämien, obwohl sie weniger Unfälle verursachen und erleiden. Der Mann gilt bis heute vielerorts als Massstab: Die erst kürzlich lancierte Digitalassistentin Alexa etwa versteht Männerstimmen besser als jene von Frauen.

Nun denn: Vielleicht wird der Frauenstreik vom Freitag ja einen ähnlichen Bewusstseinsprozess und Gleichstellungsschub auslösen wie jener von 1991 – womöglich in allen Lebensbereichen?

Der Comics in der Sondernummer des „TagiMagi“ zum Frauenstreik von 1991 jedenfalls endete noch nicht mit einem Happy End. Als der paternalistische Manager seiner Frau erklären wollte, dass sie die Vorbereitungen für sein Geburtstagsfest doch schon tagszuvor treffen könne, um am am Streik teilzunehmen, stieg der geduldigen Hausfrau die Zornesröte ins Gesicht.

Nein, so war das nicht gedacht. Da kann man damals wie heute nur sagen: „Schluss mit dem Blablabla!“


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Catherine Duttweiler war als junge Redaktorin beim "Magazin" des "Tages-Anzeigers" verantwortlich für die Sonderausgabe zum Frauenstreik. Das Heft wurde in zahlreichen Sitzungen konzipiert, u.a. mit Unterstützung von Rea Brändle, Simone Burgherr, Erika Eberhard, Rosmarie Gerber, Isabelle Meier, Ursula Seiler-Spielmann, Liz Sutter sowie der früh verstorbenen Fotografin Yvonne Griss.

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