Krummenacher_Lustenberger

Konrad Krummenacher (links) und Fredi Lustenberger im neuen Stall ihrer Betriebsgemeinschaft © swissinfo.ch, Peter Salvisberg

Ein Mittel gegen das Bauernsterben

Peter Siegenthaler, swissinfo.ch /  Tiefere Strukturkosten, höhere Rendite, mehr Freizeit: Drei Vorteile, die für Betriebsgemeinschaften von Landwirten sprechen.

In der Schweiz verschwinden pro Tag drei Bauernbetriebe, weil sie nicht mehr rentieren oder weil Nachfolger fehlen. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma sind Betriebsgemeinschaften, wie das Beispiel Lustenberger-Krummenacher zeigt.

Die beiden Bauernhöfe im luzernischen Hasle liegen nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Der Kontakt der Familien war nachbarschaftlich, aber nicht besonders eng: Man winkte sich manchmal zu, die Kinder machten sich gemeinsam auf den Schulweg, und wenn Not am Mann war, half man sich gegenseitig.
Beide Landwirtschaftsbetriebe produzierten vor allem Milch. Auf «Ennetemmen», dem Hof der Familie Krummenacher, standen zuletzt 14 Kühe im Stall, auf Lustenbergers «Höchhus» deren 18. Die Höfe befinden sich in der Bergzone 1, wo die Produktionsbedingungen im Vergleich zu den Talregionen erschwert sind. Die Wiesen sind teilweise so steil, dass sie sich nicht mit Maschinen bewirtschaften lassen. Ein solcher Betrieb erfordert viel harte Arbeit.

In beiden Familien legten alle Generationen Hand an, auch die Kinder – sieben bei Krummenachers, drei bei Lustenbergers. «Man war 365 Tage im Jahr auf dem Hof, oft 14 oder 15 Stunden täglich. Manchmal konnte man am Sonntag ein paar Stunden frei nehmen. Aber damit hatte es sich», sagt Fredi Lustenberger. Der gelernte Landwirt wird im nächsten Jahr 50. Keines seiner Kinder hat den Wunsch, in Vaters Fussstapfen zu treten. «Wie lange kann ich das noch alleine machen? Und wer will einen Betrieb übernehmen, der endlose Arbeitstage abverlangt und weder Freizeit noch Ferien zulässt?» Gedanken über die Zukunft tauchten immer häufiger auf.
Aus zwei Höfen wird ein Betrieb
Auch bei Krummenachers stellte sich vor einigen Jahren die Frage, wie es mit dem Hof weitergehen sollte. Als der älteste Sohn kein Interesse an der Übernahme des elterlichen Betriebs zeigte, war der jüngere Bruder Konrad bereit, in die Bresche zu springen. Konrad hatte zwar zuerst Metzger gelernt, aber nach einer Zweitausbildung an der landwirtschaftlichen Berufsschule fühlte sich der damals 24-Jährige gerüstet, im Januar 2010 die Verantwortung zu übernehmen. 
Doch Konrad Krummenacher konnte sich nicht ins gemachte Nest setzen. Weil die Stallungen nicht mehr den neuen Tierschutz-Vorschriften entsprachen, standen grosse Investitionen bevor. «Zudem ist es mit nur 14 Kühen heute fast nicht mehr möglich, kostendeckend zu produzieren», sagt Konrad Krummenacher rückblickend. «Als mich Fredi eines Tages fragte, wie es auf unserem Hof nun weitergehen sollte, entstand die Idee, die beiden benachbarten Betriebe zusammenzulegen.» Es folgten Gespräche mit Experten, mit dem Treuhänder, mit Kreditgebern und vor allem untereinander. «Wir haben Strategien diskutiert, unsere Zahlen angeschaut und gerechnet, noch und noch.»
Seit dem 1. Mai 2010 sind Fredi Lustenberger und Konrad Krummenacher Partner. Den Wert des Landes, der Gebäude, Maschinen und Tiere, die sie in den gemeinsamen Betrieb mitbrachten, liessen sie schätzen. Alles wurde so weit wie möglich vertraglich geregelt, auch die Frage, wie es weitergeht, falls die Betriebsgemeinschaft nicht funktioniert.

Milchkühe oder Obstbäume?

«Natürlich gibt es auch Meinungsverschiedenheiten», sagt Konrad Krummenacher unumwunden, «zum Beispiel was die Viehzucht betrifft». Fredi wollte die Milchleistung eher reduzieren. Konrad hingegen wollte grössere, «milchbetonte» Tiere züchten. In den alten, kleinen Ställen wäre dies nicht möglich gewesen. Aber das neue, tierschutzkonforme Wirtschaftsgebäude, für das 800’000 Franken investiert wurden, lässt grössere Tiere zu. «Die Arbeit bleibt die gleiche, ob die Kühe 5000 oder 7000 Liter Milch geben», argumentiert der junge Bauer.
Sein Partner lässt ihn gewähren. «Konrad hat ein Flair für das Vieh», sagt Fredi Lustenberger, der sich selber als eher ökologisch orientierten Landwirt bezeichnet. «Ich habe dafür meine Freude an den Obstbäumen, auf die Konrad eher verzichten könnte, weil sie ihm beim Mähen hinderlich sind.»
Das Gespräch sei das A und O, betonen beide. Wenn einer mit einer Sache unzufrieden sei, würde er das Thema zur Sprache bringen. In betrieblichen Angelegenheiten dürfe es keine Tabus geben. Nach vierzig Monaten Erfahrung mit der Betriebsgemeinschaft geben sich die beiden optimistisch. «Die ersten Abschlüsse zeigen, dass es aufgehen könnte», sagt Fredi Lustenberger, der für die Buchhaltung zuständig ist.

Zeit für Hobbys und Reisen
Um die 36 Kühe, 11 Rinder und 6 Kälber kümmern sich die Betriebspartner gemeinsam. Wenn Lustenberger nach fünf Uhr morgens in den Stall kommt, ist Krummenacher auch schon dort, ohne dass der Arbeitsbeginn explizit abgesprochen wäre. Wenn es sein muss, kann aber auch einer allein die Hauptarbeit bewältigen – zumindest für kurze Zeit.
So können sich die beiden Landwirte gelegentlich auch betriebsfremden Aufgaben oder gar einem Hobby widmen. Die Gewissheit zu haben, dass die Sache in guten Händen liege, sei wohltuend für ihn – auch mit Blick auf die Zukunft, sagt Lustenberger: «Eines Tages werde ich alles übergeben müssen oder wollen. Umso wichtiger ist es, hin und wieder ein bisschen Abstand zu nehmen.» Dies tut auch der Jüngere. Ende September machte er zum ersten Mal in seinem 27-jährigen Leben «richtig» Ferien: vier Wochen Kanada. Welcher allein wirtschaftende Bauer kann sich eine solche Auszeit leisten?

BETRIEBSGEMEINSCHAFTEN (BG)
In der Schweizer Landwirtschaft gibt es 909 Betriebs- und 648 Betriebszweig-Gemeinschaften. Ob eine BG sinnvoll ist, hänge von der Betriebsstruktur und von der geografischen Distanz zwischen den Betrieben ab. Entscheidend sei aber auch die Kooperationsfähigkeit der Betriebsleiter, sagt Anton Moser, Lehrer und Berater am Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung im luzernischen Schüpfheim. 
Bei Milchwirtschaftsbetrieben sollten die Tiere an einem Ort untergebracht sein, um Synergien und Rationalisierungen zu ermöglichen. So braucht es gewisse Einrichtungen (Melchstand, Kran, Heubelüftung) nur einmal. 
Anton Moser empfiehlt die Zusammenlegung so zu regeln, dass die BG die beiden früheren Betriebe pachtet. Für die Parzellen, Gebäude, Maschinen, Tiere erhalten die Partner entsprechende Zinsen sowie einen Lohn für die Arbeit, die sie auf ihrer BG leisten. 
Wenn die BG gut eingerichtet sei, liege die Rendite tendenziell etwas höher. «Mit grösseren Einheiten verringern sich die Strukturkosten», sagt der Landwirtschaftsexperte. Zu Beginn nimmt die Planung viel Zeit in Anspruch. Aber wenn das ganze ins Laufen gekommen ist, gibt es auch administrative Entlastungen (nur noch eine Buchhaltung).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Peter Siegenthaler arbeitet als Journalist bei swissinfo.ch, wo sein Text zuerst erschien.

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

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