Kommentar

Die EU-treue SP hat ausgespielt

Niklaus Ramseyer ©

Niklaus Ramseyer /  «Kein Verrat an Lohnabhängigen!» So warnt der SGB in der EU-Debatte. Die SP stimmt zu. Dabei hat sie den Verrat längst begangen.

Plötzlich neue Töne vom SP-Chef und Freiburger Ständerat Christian Levrat. Er warnt vor fremden Richtern: Der Bundesrat dürfe mit der EU nur ein Rahmenabkommen abschliessen, das die bestehenden Lohnschutzmassnahmen (Flankierende) garantiere und «diese dem Zugriff des Europäischen Gerichtshofes oder eines Schiedsgerichts entzieht». Das sagt er in einem Interview mit der SonntagsZeitung. Levrat gibt gar den Nationalisten, der wörtlich fordert, «dass die flankierenden Massnahmen nationales Recht bleiben sollen, und nicht unter EU-Druck geraten dürfen». Er kritisiert den freisinnigen Bundesrat Johann Schneider-Ammann, weil der plane, «unser Recht so anzupassen, dass es auch vom Europäischen Gerichtshof akzeptiert wird». Und droht der EU mit unserer direkten Demokratie: «Für eine Schwächung der flankierenden Massnahmen gibt es in der Schweiz keine Mehrheit.»

SP hat «Interessen einer breiten Arbeitnehmerschaft
schlicht ignoriert» (Rudolf Strahm)

In Brüssel wird man Levrats Drohung mit Volksmehrheiten in der direkten Schweizer Demokratie kaum allzu ernst nehmen. Der SP-Präsident und seine parlamentarischen bis gouvernamentalen SP-Genossen haben nämlich längst vorgeführt, wie sich die (teils stark globalisierten) politischen Eliten in Bern über solche nationalen Mehrheiten rücksichtslos hinwegsetzen können. Erst bei der laschen Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative, dann ganz besonders bei der vom Volk knapp beschlossenen Masseneinwanderungsinitiative (MEI) im Herbst und Winter 2016.

Der Ständerat diskutiert Ende 2016 den «EU-kompatiblen Inländervorrang» der FDP für Schweizer Werktätige auf dem Arbeitsmarkt. Die SP glänzt teilweise durch Abwesenheit. (Bild: SRF)

Rudolf H. Strahm, ehemaliger Preisüberwacher und schweizweit geachteter Ökonom, hatte seine parlamentarischen SP-Genossen damals aufgefordert, die Gelegenheit zu erfassen und einen «griffigen Inländervorrang» im Gesetz zu verankern. Umsonst. Unter genau jenem massiven «EU-Druck», wie ihn Levrat nun bitterlich beklagt, knickten die SP-ParlamentarierInnen im Dezember 2016 reihenweise noch stärker ein als jetzt Johann Schneider-Ammann: Sie halfen dem Freisinn, bei dessen MEI-Umsetzung, «unser Recht so anzupassen» (Levrat), dass es in Brüssel als «EU-kompatibel» akzeptiert wurde. Strahm bilanzierte messerscharf: «Die Themenführerschaft für einen griffigen Inländervorrang am Arbeitsmarkt, der notabene von der gesamten Arbeiterschaft gewünscht wird» habe die SP-Vertretung in Bern «dem freisinnigen Gipsermeister Philipp Müller überlassen». Und dabei «die pragmatische Intelligenz und die existenziellen Interessen einer breiten Arbeitnehmerschaft schlicht ignoriert».

Fatale SP-Signale in Richtung Brüssel

Der Grund für diesen «Verrat an den Lohnabhängigen» damals: Die führenden Genossen wollten unbedingt die Teilnahme der Schweiz an den EU-Programmen Horizon 2020 (ein EU-Forschungsprogramm, in das der Bund von 2014 bis 2020 satte 3,9 Milliarden Franken einschiesst – worauf sich Schweizer ForscherInnen dann dort wieder um Beiträge bewerben müssen) und Erasmus (ein EU-Programm für den Studentenaustausch) retten. Beides sind Veranstaltungen der transnational ausgerichteten, akademischen Elite.

Heraus kam darum bei der Umsetzung der MEI Ende 2016 der von den SP-Leuten unterstützte, freisinnige «Inländervorrang light». Der ist alles andere als «griffig», sondern harmlos «EU-kompatibel». Und das Signal, das die SP der FDP damit nach Brüssel senden half, ist fatal. Es heisst: Die SchweizerInnen können direktdemokratisch an der Urne beschliessen, was sie wollen – wenn nur genügend EU-Druck gemacht wird, biegen die EU-Anhänger in Bern das schon im Sinne Brüssels wieder zurück.

Rahmenabkommen richtet sich zentral gegen Arbeitsrecht

Der Fluch der bösen Tat folgt nun sogleich. Durch ihr faktisches «Mitspracherecht» bei der Gesetzgebung zum Inländervorrang auf den Geschmack gekommen, droht die EU auch in den Debatten über das vorab von ihr gewünschte Rahmenabkommen mit der Schweiz nun erst recht und sachfremd: Die Schweizer Börse dürfe schon bald keine Papiere von EU-Firmen mehr handeln, wenn aus dem Rahmenabkommen nicht subito etwas werde. Da aber ist nun die weltläufige Macht- und Geldelite noch krasser unter sich als bei Horizon und Erasmus: 99 Prozent der hier arbeitenden Werktätigen haben mit Börsenspekulationen um EU-Firmen nichts am Hut. Die entsprechende EU-Drohung geht diesen «Hard Working People» (Stones) genau an der Mitte zwischen Hemdkragen und Schuhabsätzen vorbei.

Das EU-Rahmenabkommen hingegen bedroht sie alle: Dieses habe nicht nur nebenbei, sondern zentral den Zweck, Schweizer Arbeitsgesetze, wie die Flankierenden (die hiesige Lohnabhängige vor unlauterer, transnationaler Konkurrenz durch EU-weit ausgebeutete Wanderarbeiter und Billig-Handwerker aus dem grenznahen Raum schützen sollen) abzubauen und langfristig zu beseitigen. Dies betonte ein Brüsseler Korrespondent letzte Woche im Fernsehen SRF erneut. Dem einseitig auf Markt und Konkurrenz ausgerichteten Europäischen Gerichtshof EUGH sei auch der erst eingeführte «freisinnige» Inländervorrang (wie «light» der auch immer sein möge) jetzt schon ein Dorn im Auge.

Sozialistische Illusionen in neoliberaler EU

Die EU-kompatiblen SP-Leute ignorierten diese längst bekannten Fakten. Bevor die Gewerkschaften das üble Zusammenspiel der erpresserischen EU-Funktionäre mit neoliberal durchwirkten Schweizer FDP-Bundesräten entlarvten und klar sagten «Nicht mit uns!», stand auch da die SP-Führung uneinsichtig auf der falschen Seite: In ihrer «Roadmap Europa» forderte sie unverdrossen «nicht weniger, sondern mehr Europa und Internationalismus». Und wollte den Europäischen Gerichtshof (EUGH) «akzeptieren». Einzelne ganz besonders EU-freundliche Sozialdemokraten, wie der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer zeigten sich sofort bereit, die Flankierenden (wie von Brüssel gewünscht) zur Debatte zu stellen. In ihrer neusten Verlautbarung zum Rahmenabkommen ruft die Parteiführung nun zwar laut: «Hände weg vom Lohnschutz!» Nur um dann gleich wieder ihren Chef Christian Levrat grundsätzlich zu zitieren: «Wir begrüssen das Rahmenabkommen.»

Auch da waren die Gewerkschaften schon Anfang Jahr viel weiter und gescheiter: «Aus unserer Sicht ist das Rahmenabkommen nichts, was die Schweiz haben müsste», stellte der Chefökonom des Gewerkschaftsbundes Daniel Lampart im vergangenen Januar nüchtern fest. Doch die SP-Chefs hörten nicht auf ihn. Und während die gut informierten Gewerkschafter längst erkannt haben, dass das Problem für die Schweizer Werktätigen vor allem bei den neoliberalen Ideologen in Brüssel liegt, drischt Levrat immer noch einseitig auf die freisinnigen Schweizer Bundesräte ein. Zum arroganten bis erpresserischen Auftreten der Brüsseler EU-Bosse sagt er kaum etwas. Sein Fraktionschef Roger Nordmann behauptet gar weiterhin tapfer: «Unser Gegner ist sicher nicht die EU.» So kommt die SP-Führung immer tiefer in die EU-Sackgasse. Die SonntagsZeitung bringt diese treffend auf den Punkt: «Sozialistische Utopie in einem neoliberalen Europa.»

Ostmilliarde als nächster Prüfstein

Konkreter wäre: Sozialdemokratische Illusionen in einer neoliberalen EU. Einer EU zudem, die in ihrer östlichen Hälfte teils gefährlich neofaschistische Tendenzen und Korruption zeigt. Was ernsthafte Linke nicht weiter verdrängen wollen. So fragte etwa Jean Ziegler (einer der gescheitesten und sicher der prominenteste Schweizer Linke) schon im Juni in der Gewerkschaftszeitung «work» erbost: «Warum will der Bundesrat 1,3 Milliarden Franken an Willkürregime im Osten zahlen?» Ziegler stellt fest, die «Ostmilliarde» sei nur «eine Freundlichkeit, die die laufenden Verhandlungen über einen Rahmenvertrag zwischen der EU und der Schweiz erleichtern könnte». Eine Milliarde für einen Rahmenvertrag zudem, der gemäss führenden Gewerkschaftern «nichts ist, was die Schweiz haben müsste».

Eine Milliarde als Entwicklungshilfe getarnt – von Brüssel der Schweizer Regierung abgepresst. Ginge es nämlich wirklich um Entwicklung, müssten die Milliarde den Ärmsten zugutekommen – den Opfern des freien EU-Marktes in Bulgarien oder Rumänien etwa (denen transnationale Investoren und Billigwaren-Importeure die Lebensgrundlage in ihrer Heimat zerstört haben und die dann als Vertriebene hierzulande für Lohndumping missbraucht werden) oder den verfolgten Fahrenden (Sinti und Roma) direkt. Doch nein: Der Löwenanteil der ominösen Ostmilliarden geht nach Polen. Für Ziegler ist darum klar: «Ich werde mich mit aller Kraft für die Versenkung dieser ‹Solidaritätsmilliarde› einsetzen.» Wenn es sein müsse «auch im Rahmen eines von der SVP lancierten Referendums».

Und man wird gespannt verfolgen können, ob der (dank gewerkschaftlicher Nachhilfe) EU-kritisch geläuterte SP-Chef Levrat auch da gegenüber Brüssel auf Schweizer Volksmehrheiten pocht – und die Milliardenzahlung (aus Steuergeldern notabene) wenigstens dem Referendum unterstellen hilft. Oder ob er den Schweizer Milliardenobolus für die EU zusammen mit dem Freisinn «EU-kompatibel» am Volk vorbei durchwinkt.

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2 Meinungen

  • am 24.08.2018 um 14:31 Uhr
    Permalink

    Zu Ihren Thesen oben, Herr Ramseyer, liesse sich so einiges sagen: Sie schiessen an der Sachlage vorbei.
    – Ich bin ein gesellschaftlich Liberaler, kein Sozialist, aber der Kampf der Arbeitnehmer-Seite gegen das Unterwandern des Arbeitnehmer-Schutzes von 2008 ist mehr als berechtigt. Sogar der Staat unterlief sie immer wieder bei seinen Bau-Projekten.
    – Einverstanden bin ich, dass Levrat mit dem Thema ‹Fremde Richter› Sau-dumm umgeht + der Blocher-Bewegung in die Hände spielt. Er hätte das leicht vermeiden können. Denn es braucht die fremden Richter selbstverständlich, wenn es um Menschenrechtsfragen geht.

    Der (immense) Schaden ist angerichtet. Nicht ganz überraschend mögen sich die Schulterschluss-Parteien FDP + CVP Blocher nicht stellen + verschieben den Show-Down mit der Blocher-Bewegung auf ’nach den Wahlen 2019′.
    – Damit spekulieren sie darauf, Blocher nach seinem Rücktritt von der eidgenössischen Bühne per Ende 2019 beerben zu können. Doch wer will die ideologisch zerrütteten FDP + die rechte CVP noch als Regierungspartei?
    – Sie denken beide zu kurz + opfern ihrer prekären politischen Situation die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz. Wie können sie nur …

  • am 24.08.2018 um 14:48 Uhr
    Permalink

    Guter Infosperber Artikel und am Schluss doch noch falsch. Jean Ziegler wird als einer der gescheitesten und sicher prominenteste Schweizer Linke aufgeführt, der gegen die EU-Zahlungen an Osteuropa von 1.3 Milliarden CH-Franken ankämpft. Schön und gut, aber was ist mit all den Polemiken Zieglers in seiner Work Kolumne gegen Milosevic (Verbrecher), Gaddafi (Verrükter (vorher sein Freund)) oder Assad (Henker). Als ehemaliger Funktionär der UNO, in gewisser Weide dem globalpolitischen Pendant zur EU, steht Ziegler, wenn es brenzlig wird, fest an der Seite der NATO Humanitär-Interventionisten. Gegen CH-Sekundärimperialisten oder EU-Oststaaten zieht er wacker zu Felde, bei heissen globalpolitischen Themen steht dieser SP-Mann aber immer zu den neoliberalen Machtpolitikern und ist somit auch nicht zu gebrauchen.

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