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Das Credo von Ensi-Direktor Hans Wanner: «Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich sicher.» © upg

Die Atomaufsicht braucht dringend eine Radikalkur

Kurt Marti /  Die Atomaufsicht Ensi funktioniert wie das Sprachrohr der AKW-Betreiber. Die Rolle des Ensi muss neu definiert werden.

Am letzten Montag liess das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) verlauten, dass die Schweizer Atomkraftwerke «ausreichend gegen die Hochwasser-Gefahr geschützt sind». Damit verbreitete das Ensi einmal mehr ungefiltert die Schlussfolgerungen von mehreren Gutachten, die von den AKW-Betreibern bei Beratungsbüros ihrer Gunst selber in Auftrag gegeben wurden. Das ist auch so bei allen anderen Gutachten zum Erdbeben-Risiko, zur Reaktor-Technik und zu Flugzeugabstürzen: Das Ensi bittet die AKW-Betreiber jeweils höflich, das Risiko abzuklären und verbreitet anschliessend die frohe Botschaft der eingegangenen Gefälligkeitsgutachten.

Der orientalische Bazar geht munter weiter

Infosperber hat mehrmals am Beispiel der Hochwasser-Gefahr für das AKW Beznau gezeigt, wie dilettantisch hier vorgegangen wurde: Nach Fukushima durfte der Axpo-Konzern als Betreiber des AKW Beznau die Hochwasser-Gefahr durch ein Beratungsbüro kleinrechnen lassen, indem bloss reines Hahnenwasser in Betracht gezogen wurde, ohne jegliches Schwemmgut (Holz, Autos) und Geschiebe (Geröll, Sand). Mit dieser extrem unrealistischen Rahmenbedingung kam die Axpo und natürlich auch das Ensi zum Schluss, dass das AKW-Gelände nur bis maximal 37 cm überschwemmt würde, was weit unter der Sicherheitshöhe von 1,65 Meter liege.

Jetzt kommt das Ensi aufgrund eines weiteren Gefälligkeitsgutachtens der Axpo zum Schluss, dass «eine Erhöhung des Wasserspiegels auf dem KKB-Gelände» von 36 cm bis 66 cm ausgewiesen sei, ohne explizit zu erwähnen, dass diese Erhöhungen nicht ab dem Erdboden, sondern zusätzlich zu den 37 cm aus dem Gutachten aus dem Jahr 2011 zu interpretieren sind. Erst auf Anfrage bestätigt Ensi-Mediensprecher Sebastian Hueber, dass es sich dabei «um eine zusätzliche Erhöhung» handelt. Die Addition muss jeder selber durchführen. Sie ergibt eine Überflutungshöhe von 73 cm bis 103 cm. Der orientalische Bazar im Feilschen um Zentimeter geht also munter weiter und es ist eine Frage der Zeit und der gewählten Rahmenbedingungen bis die Sicherheitshöhe überschritten wird.

Bereits das Metall-Geländer der Strasse über das Stauwehr beim AKW Beznau und die hochgefahrenen Wehrklappen (siehe Foto) sind über einen Meter hoch und haben bei Hochwasser die Wirkung einer Staumauer.

Strasse über das Stauwehr beim AKW Beznau

Stauwehr mit geöffneten Klappen

Hier kommt nota bene das Wasser von rund 43 Prozent der Schweizer Landesoberfläche zusammen und man braucht keine grosse Phantasie zu haben, um sich vorzustellen, dass sich das Schwemmgut eines Extremhochwassers auftürmen würde. An die dilettantischen Zentimeter-Berechnungen der Axpo wird sich ein Rekordhochwasser wohl kaum halten. Hier geht es um Meter und nicht um Zentimeter.

Die Gutachten bleiben unter dem Deckel

Das Ensi hat das Axpo-Gutachten nach eigenen Angaben bloss «stichprobenartig überprüft» und hält es wie die anderen Gutachten zu den Atomkraftwerken Mühleberg und Gösgen im Interesse der AKW-Betreiber unter Verschluss. Das Ensi sieht laut Mediensprecher Hueber «keinen Anlass, die Analysen der Werke zu veröffentlichen». Nicht einmal den Namen des Axpo-Expertenbüros will Ensi-Sprecher Hueber bekanntgeben: «Diese Frage müssen Sie der Axpo stellen.» Folglich lassen sich die Resultate des Axpo-Gutachtens nicht in einem wissenschaftlichen Diskurs überprüfen. Das Risiko eines grossen Unfalls trägt die Bevölkerung, doch Einsicht in die Risiko-Unterlagen wird ihr verwehrt.

Das Axpo-Gutachten basiert ausserdem auf veralteten Grundlagen über die Gefahr eines Extremhochwassers im Mittelland. Zurzeit wird nämlich unter der Federführung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) das Risiko eines Extremhochwassers an der Aare und am Rhein neu überprüft. Die Resultate werden erst im Jahr 2016 vorliegen. Umso erstaunlicher ist es, dass das Ensi schon jetzt in PR-Manier verbreitet, dass extreme Hochwasser kein Problem für die Schweizer AKW seien.

Das hängt mit dem Arbeitsprinzip zusammen, das Ensi-Direktor Hans Wanner so formuliert: «Die Schweizer Kernkraftwerke sind grundsätzlich sicher.» Und weil die Schweizer AKW grundsätzlich sicher sind, dienen allfällige Nachrüstungen laut Wanner nur der «Schaffung von zusätzlicher Sicherheit», also von Supplement-Sicherheit. Zusammen mit der Forderung Wanners, dass die Atomkraftwerke weiterlaufen können «solange sie sicher sind», folgt daraus, dass sie im Prinzip unbeschränkt weiterlaufen dürfen. Umso mehr als sich die AKW-Betreiber mit bestellten Gefälligkeitsgutachten selber kontrollieren. Logischerweise stellte sich das Ensi vor Monatsfrist klar hinter die Forderung der AKW-Betreiber, die Laufzeit auf 60 Jahre zu erhöhen.

Forderungen für eine Radikalkur

Doch die Atomaufsicht Ensi funktioniert nicht nur als PR-Stelle der AKW-Betreiber, sondern neustens auch als deren Anwältin in juristischen Fragen: Am vergangenen Dienstag reichte das Ensi bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige gegen die Umwelt-Aktivisten von Greenpeace wegen der Beschädigung des Containments der Atomkraftwerke Beznau und Leibstadt ein.

Es ist also höchste Zeit, dass das Eidgenössische Parlament die Atomaufsicht einer Radikalkur unterwirft:

  • Die Atomaufsicht Ensi muss unabhängig von der Atomwirtschaft agieren. Sie hat einzig der Sicherheit der Bevölkerung zu dienen und nicht dem Image der Atombranche. Das Verhältnis der Atomaufsicht Ensi zu den Vertretern der Atombranche muss ein investigatives sein und nicht ein kameradschaftliches.
  • Die Atomaufsicht Ensi muss die Gutachten und Prüfberichte bei unabhängigen Experten selber in Auftrag geben und deren Resultate durch internationale Experten überprüfen lassen.
  • Die Expertenberichte und die Ensi-Stellungnahmen müssen veröffentlicht werden.
  • Das Amt des Ensi-Direktors muss neu besetzt werden.
  • Der Ensi-Rat (Aufsichtsrat des Ensi) muss neu besetzt werden, und zwar mindestens zur Hälfte mit Expertinnen und Experten, die der Atomtechnologie kritisch gegenüber stehen.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

Ensi

Atomaufsichtsbehörde Ensi

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi entscheidet darüber, ob AKWs noch sicher genug sind.

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6 Meinungen

  • am 8.11.2014 um 17:10 Uhr
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    Weshalb gibt es keine Reaktionen auf diesen kritischen Artikel von Kurt Marti?
    Ich interpretiere das Schweigen der AKW-Fanclubs als zustimmendes Eingeständnis zu Marti’s Darlegung. Widerspruch würde nur zu «unnötigen» Diskussionen animieren und würde die Fanclubs wie ENSI etc. in anstrengendes Argumentieren verwickeln und ungeliebte Aufmerksamkeit auf heikle Themen erzeugen.
    Für wen arbeitet eigentlich diese ENSI? – wer beruft ihre Mitglieder?
    Im Schattenboxen sind die Leute spitze, 6mm-Bohrlöcher im Sicherheitsbehälter wegen Feuerlöscher… und Dübellöcher(?) aussen von Greenpeace(?) das ist ihr Thema, und wie Marti darlegt als Anwalt derjenigen, die sie beaufsichtigen sollte.
    Damit können sie von ihren gravierenden Unterlassungssünden ablenken. Der Bock ist Gärtner, die unterqualifizierten Monteure sind die bösen Buben, Geenpeace sowieso….
    Diese ENSI-Leute müssen wirklich zum grossen Teil ausgetauscht werden, es fehlt das Verantwortungsbewusstsein!
    Danke Kurt Marti!

  • am 8.11.2014 um 22:54 Uhr
    Permalink

    Gefragt wäre die Politik, welche ja das Konstrukt ENSI und dessen Besetzung definiert. Aber mir erscheint es sei durchaus gewollt, dass weder das UVEK ("wir sind nicht zuständig") noch das ENSI ("wir können die Anlagen nur abstellen, wenn sie nicht mehr sicher sind") überhaupt irgendeine Verantwortung bezüglich der Nuklearanlagen hat. Denn wer Verantwortung trägt, wäre auch haftbar. Fazit: Egal was passiert, es wird niemand verantwortlich sein und schon gar niemand haftbar gemacht werden können. Auf allfälligen Schäden bleiben die Betroffenen, also wir Bürger, ganz alleine sitzen, und das auch noch wortwörtlich: Es gibt ja nicht mal einen ernst zu nehmenden Plan zur Evakuierung.

  • am 10.11.2014 um 20:49 Uhr
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    Danke für diesen erhellenden Artikel zu der Hochrisiko-Akrobatik des ENSI im Dienste der AKW-Betreiber!
    Ich wünsche ihm eine grosse Beachtung bei den verantwortlichen Politikerinnen und Politiker.

    Gertrud Bernoulli

  • am 13.11.2014 um 11:19 Uhr
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    Kurt Marti bringt es auf den Punkt. Nach einigen Kontakten und Erfahrungen mit den involvierten Ämtern, dem ENSI und den Betreibern komme ich zum Schluss, dass Schweizer AKWs Selbstläufer sind. Niemand fühlt sich zuständig, geschweige denn verantwortlich, ENSI, Bundesämter und Politik verweisen jeweils auf die Zuständigkeit des anderen. Fragen werden vom ENSI nichtssagend beantwortet, konkrete Antworten sind fast nicht zu bekommen, Kritik wird als nicht relevant abgetan oder mit «Daran arbeite man» auf die lange Bank geschoben. Die Atomkraftwerke sollen laufen, solange sie sicher sind. Mindestens achtet das ENSI darauf, dass sie von der Bevölkerung als sicher wahrgenommen werden. Erst auf hartnäckiges Nachfragen wird eingeräumt, dass diese technische Sicherheit auch das Restrisiko beinhaltet. Und so laufen sie denn bis…

  • am 13.11.2014 um 18:51 Uhr
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    Das wahre Problem ist doch nicht primär die zentrale Frage der Beherrschbarkeit der Kernenergie; nein, das Problem liegt in der personellen Ausstattung der unseriös arbeitenden Kontrollbehörde Ensi; die fachlichen und charakterlichen Qualifikationen sind unzureichend und erhöhen das Risiko weil immer offensichtlicher wird dass die Vertuschung, Mauschelei und Kommunikation falscher Infos in Absprache mit Politik und Lobby System hat und geduldet und kultiviert wird.

  • am 13.11.2014 um 19:47 Uhr
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    Beherrschbarkeit der Kerntechnik kein Problem??????
    Weshalb haben wir denn eine Haftungsbegrenzung auf lächerliche 1,8 Milliarden?
    Die Vertuschungen und Mauscheleien kommen eben zum unbestrittenen(!) Restrisiko dazu und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von «Zwischen-Fällen».

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