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Warum gratuliert er mir? Anne Mahrer und Andy Tschümperlin. © SRF

Der sonderbare Händedruck des Andy Tschümperlin

Jürg Lehmann /  Der SP-Fraktionschef begrüsst Anne Mahrer als neue Nationalrätin. Nur: Wenn es nach ihm ginge, dürfte sie gar nicht im Rat sein.

Die Grüne Anne Mahrer rückt in der laufenden Wintersession für Antonio Hodgers nach, der in die Genfer Regierung gewählt wurde. Mahrer sass seit 2001 im Genfer Kantonsparlament, das sie 2007 als erste Grüne präsidierte. Das Mandat in Bern ist die Krönung einer langen politischen Karriere. Nach ihrer Vereidigung am Donnerstag eilte Andy Tschümperlin zur 65-Jährigen Neo-Nationalrätin, um ihr zu gratulieren, wie die Aufnahme aus «10vor10» zeigt.

Am gleichen Abend tönte der 51-jährige SP-Fraktionschef in die Kamera der gleichen Sendung: «Für mich ist klar, dass 65 die Alterslimite für eine parlamentarische Tätigkeit ist.» Zwar will Tschümperlin die ältere Generation nicht aus der aktiven Politik verbannen. Sie soll Ämter auf Gemeindeebene übernehmen, aber bitte nicht mehr im Kreis der National- und Ständerate mitmachen, denn: «Hier ist eine andere Liga.»

Tschümperlins Worte sind offenbar auch eine Spitze gegen die Susanne Leutenegger-Oberholzer, die als 65-Jährige das Präsidium der Wirtschaftskommission im Nationalrat anstrebt. Anscheinend zum Missfallen des Fraktionschefs. Leutenegger-Oberholzer kommentierte die Ansicht Tschümperlins als «Affront gegenüber der älteren Bevölkerung in der Schweiz» und «Unsinn».

Von Hubacher über Bringolf zu Grimm

Nicht viel anders empfinden wird Tschümperlins Votum wohl der grosse alte Mann der schweizerischen Sozialdemokratie, Helmut Hubacher. Er gab das SP-Präsidium zwar 1990 als 64-jähriger ab, blieb aber noch sieben weitere Jahre im Nationalrat. Hubacher mag dabei auch Walther Bringolf durch den Kopf gehen. Die SP-Legende scheiterte zwar 1959 mit 64 Jahren als Bunderatskandidat der Fraktion in der Bundversammlung. Zwei Jahre später wurde Bringolf aber noch Nationalratspräsident; 1968 trat er nach 35 Jahren als Schaffhauser Stadtpräsident ab, und 1971 gab er 76-jährig seinen Sitz in Bern als Nationalrat ab. Er war 46 Jahre lang Mitglied der grossen Kammer gewesen. Oder nehmen wir Robert Grimm, die treibende Kraft hinter dem Landesstreik von 1918 und ein SP-Schwergewicht; jahrzehntelang war auch er bis zu seinem Rücktritt mit 74 Nationalrat.

Diese prägenden SP-Figuren und andere hätten unter der Altersguillotine des Andy Tschümperlin ihr politisches Wirken in der Berner Liga längst vor ihrem Rückzug verwirkt gehabt. Und dabei reden wir noch nicht einmal vom Ausland, zum Beispiel von Herbert Wehner, der noch als 77-jähriger als SPD-Fraktionschef im deutschen Bundestag wetterte, bevor er bei den Wahlen 1983 nicht mehr antrat.

Was machen die Genossen von «SP60+»?

Dringend ändern muss in der Leseart Tschümperlins auch die parteiinterne Senioren-Organisation «SP60+» ihr Reglement. Sie hat sich unter anderem die Beteiligung von «älteren Genossinnen und Genossen am gesellschaftlichen und politischen Geschehen» auf die Fahne geschrieben. Das damit auch ein Mandats-Verbot im National- und Ständerat ab 65 Jahren gemeint sein könnte, ist nicht bekannt.

Schliesslich wird sich auch der aktuelle Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Paul Rechsteiner, bald Gedanken zu seinem Rücktritt machen müssen. Er hat zwar 2011 für die St. Galler SP einen historischen Sitz im Ständerat erobert und sitzt nunmehr seit 27 Jahren im Bundesparlament; 2017 wird er 65. Wird er dann abtreten?

Schon einmal ein Rückzug

Tschümperlin hat Erklärungsbedarf. Nur: Im Moment will er sich öffentlich zur Altersguillotine nicht mehr äussern, wie die «Schweiz am Sonntag» meldet. Am Dienstag wird er in der Fraktionssitzung der SP aber kaum darum herumkommen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Rückzieher machen müsste. Im Sommer 2012 hatte Tschümperlin verkündet, er wolle dafür sorgen, dass Ueli Maurer nicht Bundespräsident werde. Doch er lief damit im Parlament auf.

Und Anne Mahrer? Tschümperlins Altersguillotine wird sie nicht kratzen. Sie ist nicht in der SP. Sie ist grün, 65 und die jüngste Nationalrätin. Willkommen in der Berner Liga!


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5 Meinungen

  • am 2.12.2013 um 12:40 Uhr
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    Was haben Sie gegen Tschümperlin? Was bringt es Ihnen, auf den Mann zu spielen, so als ob er «Abfall» wäre? Klar, mit seiner Idee bin ich auch nicht einverstanden, aber er tönt etwas sehr Wichtiges an: Wir benötigen für unsere Magistraten und Parlamentarier eine Amtszeitbeschränkung. Es geht nicht an, das diese ewigen Sesselkleber, die meinen, sie seien unersetzbar, die vorwiegend von ihrem Geltungsbedürfnis gesteuert werden, weiterhin mitmischeln. Denn mit jedem Jahr werden sie anfälliger, dem unseligen Behördenmainstream zu verfallen, um dem Ganzen nicht den Namen «Korruption» zu geben. Aber in diese Richtung läuft es. Wer lange im Amt bleibt, neigt zu politscher Korruption weil er vor lauter guten Kollegen keine konsequente Linie mehr fahren kann. Ein lebhaftes Beispiel ist die Jacqueline Fehr aus Winterthur. Vor lauter Amtsfreude und dem sich Bewahren eines sehr guten Einkommens, verbeugt sie sich nach allen Seiten, hat zwar den Rücktritt vom Nationalrat versprochen und will nun weiterwursteln, der Zuwanderung Tür und Tor öffnend, die Situation verkennend und der Partei schadend. Darüber würde ich gerne einmal ein paar kritische Worte lesen, liebe Sperberleute. Wer ein parlamentarisches Genie darstellt und in seiner Partei an der Delegiertenversammlung für die Nomination über 12 Jahre hinaus 75% der Stimmen holt, sollte nochmals kandidieren dürfen, so mein Vorschlag.

  • am 2.12.2013 um 12:53 Uhr
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    Erstaunlich ist es wirklich, dass der Aufruf an «ältere Parlamentarier» ausgerechnet von der SP erfolgt, Andy Gross, Paul Rechsteiner, Jacqueline Fehr und Anita Fetz lassen grüssen, gefolgt von den Grünen Urgsteinen Leuenberger und Vischer. Tatsächlich, die Linke muss hinter die Bücher. Parlamentarische Genies sehen anders aus!

  • am 4.12.2013 um 23:56 Uhr
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    Vielleicht verhelfen die Äusserungen von Andy der SPS zu einer entspannteren Haltung bezüglich Altersgrenze bei der AHV.

  • am 5.12.2013 um 11:32 Uhr
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    Wäre schön, wenn diese Frage den Kreis der Mitdenkenden und Verfechtern der Amtszeitbeschränkung vergrössern würde. Einstweilen wäre ich schon dankbar, wenn diese Frage auch in anderen Partien behandelt würde. Sesselkleber schaden mehr, als sie nützen. Zwar bin ich Langzeit-Nationalrat und jetzigem Ständerat Rechsteiner dankbar. Aber eben, er ist schon sehr lange dabei..Andererseits könnte man mit der Zählung der Amtsdauer mit jeder neuen Funktion beginnen. So gesehen ist er ein Beginner und weiterhin berechtigt, dabei zu sein. Aber es stimmt schon, die SP hat einige Fossile, die nun flüssig bis überflüssig geworden sind. Auch in unserer Partei greift der Mainstream um sich, die schulterklopfenden Kollegen, die sich gegenseitig jahrzehntelang auf dem Stängeli halten. Die sind nun wegzuscheuchen, wenn sie es anständigerweise nicht endlich selber merken.

  • NikRamseyer011
    am 9.12.2013 um 15:05 Uhr
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    Darauf hingewiesen, dass im Nationalrat 40- oder 50-Jährige oft schon wie Datter-Greise argumentieren, wohingegen Leute wie Neirynck (CVP) und Blocher (SVP) mit weit über 70 noch voll daran und dabei seien, krebste der politische Hüftschütze Tschümperlin mir gegenüber sofort zurück: Er habe nur von sich selber gesprochen, meinte er nun plötzlich. Und einen Vorstoss für eine Altersguillotine werde er sicher nicht einreichen. So geht das unter dem Motto: Was interessiert mich der Unfug, den ich gestern erzählt habe? N.R.

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