Richard Moore

Sir Richard Moore, Chef des britischen Geheimdiensts M16 © GOV.UK

MI6 vermarktet seine Spionageaktivitäten in Istanbul

Amalia van Gent /  Der britische Geheimdienst MI6 wirbt in Istanbul offen um russische Spione, die über das DarkNet gegen Putin kooperieren sollen.

Das Geschehen könnte aus einem Roman des Krimiautors John le Carré stammen: Mitte September reist Sir Richard Moore, der Chef des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6, in die türkische Metropole Istanbul. Vom britischen Konsulat Istanbuls aus will er der ganzen Welt ein neues Online-Messaging-System verkünden, das sein Dienst im Darknet eingerichtet hat, um Agenten aus aller Welt – namentlich aus Russland, dem Iran und China – anzuwerben. Wobei sein Augenmerk zweifelsohne auf Russland gerichtet ist. 

«Putin ist nicht Russland. Und nicht alle Russen glauben an den Putinismus», sagte Sir Richard Moore vor den geladenen türkischen Journalisten. Er setzte seinen Redefluss fort: «Einige halten den Kopf unten und versuchen, ihr Leben so gut wie möglich zu leben. Andere, wie Alexei Nawalny, leisten offen Widerstand und sterben für ihre Überzeugungen. Und wieder andere leisten heimlich Widerstand und arbeiten mit dem MI6 zusammen». 

Suche nach potenziellen Spionen

Einige der im Saal anwesenden Journalisten waren verblüfft. Schliesslich sind mächtige Geheimdienste dafür bekannt, in der Grauzone des Halblegalen und möglichst fern der Öffentlichkeit zu operieren. Diesmal bat Sir Richard Moore die Presse jedoch in aller Offenheit faktisch um Hilfe, um «Männer und Frauen in Russland, die es wagen, die Wahrheit zu verbreiten» anzuwerben. «Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Sie zu schützen. Ab heute können Sie uns über unser neues Dark-Web-Portal «Silent Courier» sicher online erreichen». Richard Moore sprach viel und gerne über die Evolution der Geheimdienste. «Wenn wir auch im 21. Jahrhundert ein effektiver Nachrichtendienst bleiben wollen, […] müssen wir uns weiter modernisieren und anpassen, dazu müssen wir offener sein.»

Ende dieses Monates wird Moore sein Amt an seine Nachfolgerin Blaze Metrewelli übergeben. Metrewelli, die mit Moore nach Istanbul gereist war, ist die erste Frau in diesem Amt. Laut der Londoner Zeitung «The Times» war ihr Grossvater, ein ukrainischer Spion in Nazi-Deutschland, mit der Berufsgattung «Spion» bereits betraut.  

Warum der MI6 diese Präsentation nicht in London, sondern in Istanbuls sagenumwobenem Pera-Viertel abgehalten hat, ist weiterhin unklar. Moore beteuerte, dass die geopolitische Lage der Türkei «heute, wie schon seit Jahrhunderten, von entscheidender Bedeutung für das internationale System» sei. Dabei lobte er beinah überschwänglich Hakan Fidan und Ibrahim Kalin als seine «vorbildlichen und aufrichtigen Freunde». 

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Als ehemaliger Chef des türkischen Gemeindienstes (MIT) hatte Hakan Fidan diese eher unbedeutende Institution zu einem der heute einflussreichsten Machtapparate der Türkei ausgebaut. Als Aussenminister zögert er heute nicht, bei der Ausübung seiner Politik im Nahen Osten, im Südkaukasus oder in Afrika Erkenntnisse des MIT einzusetzen. 

Sein Nachfolger, der muslimische Intellektuelle Ibrahim Kalin, tritt getreu in Hakan Fidans Fussstapfen. Kalin ist heute das erste Gesicht, das die Öffentlichkeit bei Brennpunkten wie Syrien sieht, lange bevor Politiker wie Fidan vor Ort eintreffen. 

Wie wurde das syrische Regime tatsächlich gestürzt?

Apropos Syrien: Die Weltpresse berichtete bereits, dass Hakan Fidans MIT massgeblich zum Sturz des alten syrischen Machthabers Baschar al-Assad und zur Machtübernahme des neuen beigetragen habe. Dies liess den US-Präsidenten Donald Trump beinahe neidisch von einer «unfreundlichen Übernahme» Syriens durch die Türkei sprechen. Sir Richard Moore belehrte seine Zuhörer in Istanbul jedoch eines Besseren. Der Machtwechsel in Damaskus sei nur dank der engen Zusammenarbeit der britischen MI6 und Hakan Fidans MIT gelungen, kommentierte er selbstbewusst. 

Die Journalistin Cansu Çamlıbel von der regierungsunabhängigen Internetplattform «T24» nannte die Konferenz im britischen Konsulat die «absurdeste meiner 27-jährigen Laufbahn». Ungeachtet aller Erklärungen von Sir Richard Moore, wunderte sie sich bis zuletzt, warum der MI6 ausgerechnet die Türkei ausgewählt habe, «um alle Russen, Chinesen und Iraner weltweit herauszufordern» und warum Ankara sich dennoch in Schweigen gehüllt habe. Schliesslich rätselte Cansu Çamlıbel darüber, ob es zur «Normalität dieser seltsamen Zeit» gehöre, dass führende Geheimdienste der Welt ihre Spionageaktivitäten fortan wie jedes andere «Meta»-Produkt in den sozialen Medien vermarkten.

Das Pera-Viertel war früher ein Tummelplatz für Spione

Schon einmal in der Geschichte wurde das zentrale Pera-Viertel Istanbuls zum Schauplatz intensiver Spionageaktivitäten: Rund um das Jahr 1920 bot dieses mondäne Viertel, damals das mondänste der Reichsstadt überhaupt, einen seltsamen Anblick. Russische Prinzessinnen, die dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat knapp entkommen waren, fielen in Peras gleichnamiger Hauptstrasse wegen ihrer grossen Hüte und eleganten Kleider auf. In den engen Gassen bekämpften sich Offiziere der Roten und Weissen Armeen bis aufs Blut. Spione und Angestellte der meist entlang der Pera-Strasse liegenden Botschaften trieben ihr Unwesen. Dieses Treiben hatte offenbar die britische Krimiautorin Agatha Christie im Sinn, als sie wenige Jahre später das berühmt-berüchtigte Hotel «Pera-Palas» besuchte und ihren «Mord im Orient-Express» schrieb.


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Eine Meinung zu

  • am 26.09.2025 um 19:15 Uhr
    Permalink

    SWR 2 Wissen Gregor Papsch 18.1.2021, 8:12: «Der britische Leutnant T… Lawrence führte im Ersten Weltkrieg im Auftrag des britischen Geheimdienstes arabische Stämme in einen Wüstenkrieg gegen das Osmanische Reich,..Lawrence versprach den Kämpfern eine freie arabische Nation, doch nach dem Krieg teilten Briten und Franzosen den Nahen Osten unter sich auf, die Araber gingen leer aus.»

    Zur Aussage im Artikel: «Die Journalistin Cansu Çamlıbel von der…Internetplattform «T24» nannte die Konferenz im britischen Konsulat die «absurdeste meiner 27-jährigen Laufbahn». Ungeachtet aller Erklärungen von Sir Richard Moore, wunderte sie sich bis zuletzt, warum der MI6 ausgerechnet die Türkei ausgewählt habe,..»
    Könnte eine Antwort sein: Die Briten konnten mit Hilfe des Geheimdienstes das Osmanische Reich besiegen. Und versuchen mit der Teile und Herrsche Strategie die Welt neu zu ordnen. Der MI6 ist auf Talentsuche in Istanbul: Intelligenz benutzen ist Erfolg.
    Gunther Kropp, Basel

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