Kampf-Jet F-35: Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende
Es war der 28. Juni 2021, zwei Tage vor der Sitzung, an welcher der Bundesrat über den Flieger F-35 zu entscheiden hatte. Doch der Entscheid war bereits gefallen. Gefällt hatte ihn ein Rechtsgutachten des Bundesamtes für Justiz. Sein Befund: Der Bundesrat habe keine Wahl, er dürfe den F-35 Kampfflieger nur noch abnicken. Der Grund war die angeblich fehlende «Gleichwertigkeit» zwischen den vier Fliegern, die theoretisch noch zur Wahl standen. VBS und Armasuisse behaupteten, der F-35 sei viel günstiger und schneide auch in der Kosten-Nutzen-Analyse viel besser ab.
Das Gutachten lag nicht nur äusserst kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrates vor, sondern erschien wenige Tage nach zwei früheren Sitzungen, an denen der Bundesrat bereits über die Beschaffung des neuen Kampffliegers diskutiert hatte und vermutlich sich dabei noch nicht klar darüber wurde, wie er entscheiden wolle.
Das kurzfristig angeforderte Gutachten weckte die Neugier von Nationalrat und Sicherheitspolitiker Pierre-Alain Fridez: «Warum schien es dem VBS nach den ersten Diskussionen vom 18. und 25. Juni erforderlich, sich beim Bundesamt für Justiz so gründlich gegen einen ‹Fehlentscheid› des Bundesrates abzusichern?». Das schreibt Fridez auf Seite 23 des soeben von ihm erschienen Buches «F-35, Absturz mit Ansage. Ein staatspolitischer Skandal».
Aussenpolitische Erwägungen «nicht zulässig»
Herrschte Panik, wollte der Bundesrat allenfalls einen anderen als den von Armasuisse propagierten Flieger kaufen? Immerhin hatten alle vier zur Auswahl stehenden Kampfflieger die Anforderungen erfüllt. Wollte der Bundesrat ausser den Beurteilungen der Armasuisse auch aussenpolitische Erwägungen gewichten und möglicherweise einen europäischen Flieger dem US-Jet vorziehen?
Immerhin schien sich Bundesrat Maurer in Frankreich für den Rafale zu interessieren. Aussenminister Cassis wollte sich womöglich kurz nach dem Scheitern der bilateralen Verhandlungen mit der EU um europäischen Goodwill bemühen. Das durfte nicht sein. Das Rechtsgutachten aus dem Justizdepartement hielt fest: «Aussenpolitische Aspekte dürfen erst berücksichtigt werden, wenn zwei Angebote im Lichte der Zuschlagskriterien gleichwertig sind.» Da keine Gleichwertigkeit vorliege, sei die «Berücksichtigung aussenpolitischer Gesichtspunkte nicht zulässig».
«Licht ins Dunkel»
Nationalrat Pierre-Alain Fridez blickt in seinem neuen Buch hinter die Kulissen des Entscheids für den F-35. Er zeichnet die Geschichte der Beschaffung nach, wirft ein «Licht ins Dunkel eines undurchsichtigen Verfahrens», legt – so weit möglich – detailliert die von Armasuisse vorgenommene Gewichtung der Kriterien offen, kritisiert die Methode des VBS, wie es den Kampfflieger F-35 zum Gewinner kürte. Er warnt vor dem «unerträglichen Lärm» des Fliegers, und beschreibt die Tricks, dank denen der Flieger angeblich zu einem «Schnäppchenpreis» zu haben sei.
Fridez hält aber auch nichts davon, dass die Schweiz einen Flieger für «Angriff ist die beste Verteidigung» braucht, wie jüngst der abtretende Luftwaffenchef Peter Merz in der NZZ den Entscheid für den F-35 rechtfertigte. Der F-35 sei aber wenig geeignet für das Kerngeschäft der Luftwaffe, das den Schutz des eigenen Luftraums mittels Luftpolizei und Luftverteidigung bieten müsse, hält Fridez fest.
In den letzten Wochen und Monaten hat sich bestätigt, was der Autor und Nationalrat schon vor geraumer Zeit ahnte und befürchtete. Den Fixpreis, wie jahrelang behauptet, gibt es nicht. VBS-intern wusste man es schon längst. Einige Tricks machten den «Schnäppchenpreis» möglich. Dazu kommt die grosse Unbekannte von 316 «geheimen» Punktezuteilungen, die das VBS aber noch immer nicht aushändigen will.
Offener Ausgang
Die Geschichte über die Beschaffung des F-35 ist noch nicht fertig erzählt. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates untersucht die Frage, wie es zum sogenannten Fixpreis kam. Links-Grün könnte schon bald eine Volksinitiative zur Verhinderung des F-35 lancieren. Der neue Verteidigungsminister Martin Pfister bezeichnet eine erneute Abstimmung als grundsätzlich denkbar. Im VBS wird über das Wie weiter nachgedacht.
Im Streit um den Kampfflieger geht es nur noch um die Alternative «Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende». Ersteres hiesse: Die bereits geleisteten Zahlungen an den US-Hersteller von schon bald einer Milliarde Franken wären verloren. Letzteres hiesse entweder weniger Flugzeuge als die Schweiz für die Grunddienste Luftpolizei und Luftverteidigung eigentlich bräuchte oder viel höhere Kosten, als dem Volk vor der Abstimmung vor fünf Jahren versprochen wurde. Es ginge auf Kosten anderer Verteidigungsausgaben, oder wie es der Übersetzer des Buches von Fridez, Peter Hug, in einem Grundlagenpapier «Neue Sicherheitspolitik der Schweiz – aber wie?» formulierte: «Das Kampfflugzeug F-35A hungert die Armee in anderen Teilen aus.»
Hinzu kommen mit Donald Trump der geopolitische Umbruch und die damit verbundenen Ungewissheiten. Will sich die Schweiz über den Flieger von den Launen der USA abhängig machen? Sollte die Schweiz rüstungspolitisch stattdessen Europa privilegieren? Für den Autor Fridez ist es klar: Die Schweiz soll sich mit dem F-35 nicht für mindestens 30 Jahre an die USA binden «angesichts der arroganten und unberechenbaren Haltung, die die Trump-Regierung derzeit an den Tag legt».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Das im Rotpunktverlag erschienene Buch «F-35 Absturz mit Ansage. Ein staatspolitischer Skandal» von Pierre-Alain Fridez ist über buchhaus.ch zum Preis von Fr. 24.– erhältlich. Es umfasst 175 Seiten. Der Autor ist Nationalrat und gehört als Vertreter der Sozialdemokratischen Partei der Sicherheitspolitischen Kommission an.
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