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Die Stadt Bern – sie besteht zu über 50 Prozent aus Landwirtschaftsland, Wald, Gewässern und Brachland. Das verfälscht die Statistiken. © Bildschirmfoto map.bern.ch

Genf hat das beste ÖV-Netz. Oder ist es Lugano?

Marco Diener /  Statistiker vergleichen mit grossem Aufwand die Lebensbedingungen in 900 europäischen Städten. Daraus resultiert allerlei Unfug.

Das Bundesamt für Statistik (BfS) hat die Anzahl Haltestellen des öffentlichen Verkehrs in den zehn bevölkerungsreichsten Schweizer Städten erhoben. Alle haben über 50’000 Einwohner. Wenig überraschend: In der grössten Schweizer Stadt, in Zürich, hat es am meisten Haltestellen – deren 454. Und in der kleinsten untersuchten Stadt, in Biel, hat es am wenigsten – deren 122.

Das BfS verfügt auch über Zahlen zur Fläche dieser Städte. Am grössten ist mit gut 87 Quadratkilometern wiederum Zürich. Am kleinsten – und das überrascht ein bisschen – ist mit bloss 16 Quadratkilometern die Stadt Genf.

Fatalerweise sind die Verantwortlichen im BfS auf die Idee gekommen, die Zahlen zu kombinieren. Sie haben errechnet, wie viele Haltestellen es in den zehn Schweizer Städten pro Quadratkilometer gibt.

Denn sie finden: «Die Anzahl Haltestellen pro Quadratkilometer gibt Aufschluss über die Dichte des öffentlichen Verkehrs. Eine gute Anbindung der Wohngebiete und Arbeitsstätten an den öffentlichen Verkehr erhöht die Auswahlmöglichkeiten und kann die Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs in der Stadt reduzieren.»

Das Ergebnis der Statistiker: Genf hat das bei weitem dichteste Haltestellennetz der zehn grössten Schweizer Städte. Dahinter folgen Basel und Biel. Am Ende der Rangliste finden sich Bern, Lugano und das Schlusslicht Winterthur. Angeblich haben Berner, Luganesi und Winterthurer wenig «Auswahlmöglichkeiten».

Pro Quadratkilometer
Genf hat angeblich die grösste Haltestellendichte: Die Grafik zeigt die Haltestellen pro Quadratkilometer.

Nur: Lassen sich die Städte auf diese Weise vergleichen? Nehmen wir die Hauptstadt: Zu Bern gehören nicht nur Altstadt, Bundeshaus und Bärengraben. Bern besteht aus 17 Quadratkilometern Wald – vor allem im Norden der Stadt. Und Bern besteht aus beinahe 10 Quadratkilometern Landwirtschaftsgebiet – fast ausschliesslich im Westen der Stadt. Die Siedlungs- und Verkehrsfläche der Stadt Bern macht nur 46 Prozent des Gemeindegebiets aus. Oder umgekehrt ausgedrückt: 54 Prozent des Gemeindegebiets sind unbesiedelt. Dass es da kaum Haltestellen gibt, ist naheliegend. Und sinnvoll.

Dabei ist Bern nicht einmal ein Extrembeispiel. In Lugano sind 81 Prozent der Fläche Wald, Landwirtschafts- und Brachland. Denn Lugano besteht nach 18 Eingemeindungen in den letzten 20 Jahren nicht mehr nur aus dem vollgepackten Zentrum. Die Gemeinde ist riesig. Sie reicht im Osten und im Südwesten bis an die italienische Grenze. In Winterthur sind immerhin auch 65 Prozent der Gemeindefläche unbesiedelt. Kein Wunder, dass die Anzahl Haltestellen pro Quadratkilometer gering ist.

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Das Gemeindegebiet der neun bevölkerungsreichsten Städte. Zürich ist flächenmässig die grösste Stadt, dahinter folgen Lugano und Winterthur. Die Farben zeigen von violett bis hellgelb, wo die Gemeinden dicht besiedelt sind und wo weniger. Weite Teile der Gemeinde Lugano sind nahezu unbesiedelt.

Stellt man die Anzahl Haltestellen nicht ins Verhältnis zur Gemeindefläche, sondern zur Anzahl Einwohner, dann ergibt sich ein komplett anderes Bild. Lugano rückt von Platz 9 auf Platz 1 vor. Genf hingegen fällt von Platz 1 auf Platz 10 zurück. Die Rangliste wird beinahe auf den Kopf gestellt.

Pro 1000 Einwohner
In dieser Statistik hat plötzlich Lugano die grösste Haltestellendichte: Die Grafik zeigt die Haltestellen pro 1000 Einwohner.

Das BfS hat die Zahlen zur Haltestellendichte im Rahmen des Projekts «City Statistics» erhoben und kombiniert. 900 europäische Städte liefern Daten an die Statistikämter, damit diese die Lebensbedingungen vergleichen können. Das BfS stellt auf seiner Website ein Werkzeug zur Verfügung, mit dem auch Laien die zehn bevölkerungsreichsten Schweizer Städte anhand von 446 Kriterien vergleichen können.

Einige Vergleiche sind ebenso unsinnig wie die Haltestellendichte pro Quadratkilometer. Etwa die Anzahl «Studierender an Hochschuleinrichtungen pro 1000 Einwohner». Leader ist Bern. Aber nicht etwa, weil die Berner und Bernerinnen die klügsten wären, sondern weil Bern ein grosses universitäres Angebot hat. Schlusslicht ist Biel. Aber auch nicht, weil die Bieler und Bielerinnen nicht fürs Studium taugen würden, sondern weil sie fürs Studium offenbar in die Universitätsstädte ziehen. Wie auch die Luganesi, die in der Deutsch- und in der Westschweiz das grössere Fächerangebot vorfinden als an der Università della Svizzera italiana.

Das BfS hält übrigens nicht nur unsinnige, sondern auch skurrile Daten bereit. Zum Beispiel den «Anteil der überbelegten Wohnungen (mehr als eine Person in einem Raum), in Prozent». Oder die Anzahl «Kinositzplätze pro 1000 Einwohner».

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Zum Infosperber-Dossier:

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Fragwürdige Statistiken aus Medien

Mit Statistiken und Grafiken sollten Medien besonders sorgfältig umgehen. Beispiele von Unstatistiken.

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Eine Meinung zu

  • am 3.03.2024 um 11:12 Uhr
    Permalink

    Die Statistik ist aus einem anderen Grund falsch: auf dem Gebiet der Gemeinde Genf mit den 16 Quadratkilometern befinden sich nur 52 Haltestellen (https://www.fahrplan.guru/). Mit dieser Zahl rückt Genf richtigerweise ins untere Feld des Städtevergleichs.

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