Roundup1

40 französische Beamte stellen sich gegen den Staat und verbieten Glyphosat – aus Protest. © -

Glyphosat: Französische Bürgermeister trotzen dem Staat

Tobias Tscherrig /  Ein französischer Bürgermeister verbietet Glyphosat. Ein Gericht pfeift ihn zurück – 40 Bürgermeister solidarisieren sich.

In der französischen Gemeinde Langouët leben 600 Einwohnerinnen und Einwohner – und rund 700 Kühe. Nichts an dem ruhigen Dorf, das 18 Kilometer nordwestlich von Rennes inmitten von Mais- und Weizenfeldern am Fluss Flume liegt, war bisher von nationalem Interesse. Am ehesten noch die historisch bedeutungsvolle Kirche Saint-Armel. Und trotzdem ist Langouët in ganz Frankreich berühmt geworden. Berühmt für den Widerstand gegen das Herbizid Glyphosat, der sich inzwischen über die gesamte Republik ausbreitet.

Bürgermeister erliess regionales Glyphosat-Verbot

Am Ursprung der Vorreiterrolle, die die Gemeinde Langouët aktuell im Kampf gegen Glyphosat einnimmt, steht ihr Bürgermeister Daniel Cueff. Der 64-jährige parteilose Cueff setzt sich seit Jahrzehnten für die Umwelt ein, er sprach sich in der Vergangenheit zum Beispiel wiederholt gegen Atomreaktoren aus. Ausserdem war er 2003 der erste Bürgermeister der Bretagne, der Solarmodule an öffentlichen Gebäuden installieren liess. Nur wurden Umweltaktivisten von der Mehrheit damals nicht für voll genommen, sie galten als Aussenseiter und Träumer. Aber die Zeiten sind andere. Der menschengemachte Klimawandel schreitet voran – Frankreich spürte die massiven Auswirkungen etwa in Form von Hitzewellen, die langanhaltende Rekordtemperaturen brachten.

Am 18. Mai erliess Cueff eine Verordnung, die den Einsatz von Glyphosat in einem Umkreis von 150 Metern zu Schulen, Kindergärten und Wohnhäusern verbietet. Sein Verbot begründete er mit dem Verfassungsrecht, dass es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, Massnahmen zu ergreifen um «vorbeugend Schaden abwenden zu können». Weiter verwies Cueff auf eine EU-Richtlinie von 2009, derzufolge die Bevölkerung am Rande von Agrarflächen vor Chemikalien zu schützen seien. Französische Medien berichteten, ebenso die «New York Times

Für sein Verbot hatte Cueff Gründe: Bei Urinproben der Einwohnerinnen und Einwohner von Langouët wurden Rückstände des Herbizids gefunden. Die empfohlenen Grenzwerte wurden bis zu 30-mal überschritten. Speziell bei Kindern waren die gefundenen Rückstände deutlich zu hoch.

Eigentlich dürfen die ansässigen Bauern ihre Pestizide nur bei mässigem Wind versprühen – eine Regelung, die nicht funktioniert. Immerhin ist die Bretagne eine Halbinsel, wo der Wind vom Meer kommt und stark ins Land weht. Cueff reagierte und sagte gegenüber französischen Medien, dass er nicht für unterlassene Hilfestellung verantwortlich sein wolle.

Die Justiz schaltet sich ein
Für sein kompromissloses Verbot erhielt Cueff viel Zuspruch von der Bevölkerung. Aber es gab auch kritische Stimmen. Einige der betroffenen Bauern reagierten wütend und der in Frankreich mächtige Bauernverband sprach sich heftig gegen das Verbot aus. Die Regierung intervenierte, Cueffs Verordnung wurde zum Fall für die Justiz. Schliesslich musste der Bürgermeister vor dem Verwaltungsgericht Rennes antraben, das seine Verordnung Ende August wieder aufhob. Gemäss dem Urteil sind Bürgermeister nicht befugt, den Einsatz von Pestiziden zu regulieren.

Bei seinem Gang vor Gericht wurde Daniel Cueff von rund 1000 Menschen unterstützt, in Langouët hingen Unterstützungsschilder, auf denen die Regierung aufgefordert wurde, den Bürgermeister Menschen schützen und seine Arbeit machen zu lassen. Zudem erhält Cueff Fanpost aus ganz Frankreich. Selbst der französische Präsident Emmanuel Macron meldete sich – wenn auch vorsichtig – zu Wort: «Ich unterstütze seine Absichten, aber ich kann nicht zustimmen, wenn das Gesetz nicht eingehalten wird.» Obwohl die Beweggründe des Bürgermeisters gut seien.

Bürgermeister solidarisieren sich
Obwohl die Verordnung von Cueff gekippt wurde, ist der Bürgermeister in ganz Frankreich berühmt geworden. Nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch bei anderen Beamten, die in ihm ein Vorbild sehen. Diese Beamten beliessen es aber nicht bei aufmunternden Briefen oder handgemalten Plakaten, sie wurden im Rahmen ihrer Möglichkeiten selber tätig. Aus Protest vor dem Gerichtsentscheid und wohl auch um Frankreichs Zickzack-Kurs in Sachen Glyphosat zu torpedieren, verboten zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus der gesamten Republik das Herbizid Glyphosat. Von der Protestaktion sind rund 40 französische Kleinstädte betroffen, darunter zum Beispiel Nanterre, Murles, Parempuyre oder Boussières, das in der Nähe zur Schweizer Grenze liegt.

«Wie bei Asbest»
Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister scheinen sich nicht darum zu kümmern, dass sich der französische Staat gegen die Verordnung von Cueff ausgesprochen hatte und dieser vor Gericht erscheinen musste. Sie wollen den Schutz von Mensch und Umwelt – und zwar jetzt. In den französischen Medien sprechen sie von einem Rückgang der Umwelt, von sterbenden Bäumen und dem Rückgang der Insektenpopulation. Sie erwähnen die Dürren, denen Frankreich ausgesetzt war und sprechen von den riesigen braunen Flecken, die sie immer wieder an Hängen oder anderswo in der Landschaft entdecken. Damit wollen sie aufzeigen, dass der Klimawandel nicht irgendwo geschieht, sondern in Frankreich, vor der eigenen Haustüre.

Clothilde Ollier, die Bürgermeisterin von Murles sagte in französischen Medien: «Vor der Justiz werden wir nicht gewinnen, das wissen wir.» Aber es sei wie bei Asbest: man müsse ein kollektives Bewusstsein für die Probleme mit Glyphosat schaffen um etwas zu bewegen.

Frankreichs Zickzack-Kurs in Sachen Glyphosat
Daniel Cueff, der Bürgermeister der alles ausgelöst hatte, spricht in verschiedenen Medien davon, dass es frustrierend sei, weil die Regierung nichts unternehme und sogar noch Bürgermeister daran hindere, Massnahmen zum Schutz der Anwohner zu ergreifen. Der Umgang von Frankreichs Regierung mit Glyphosat sei widersprüchlich, so Cueff. So habe der Staat den Stadtverwaltungen bereits 2017 den Einsatz von Glyphosat untersagt. Andererseits dürfe das Herbizid auf Bauernhöfen immer noch angewendet werden.

Es ist nicht die einzige widersprüchliche Botschaft betreffend Glyphosat, die die Republik aussandte. So sprach sich Frankreich 2017 gegen einen – schlussendlich erfolgreichen – Vorschlag der EU-Kommission aus, mit dem die Zulassung von Glyphosat um weitere fünf Jahre verlängert wurde. Ausserdem stimmte Frankreich für die europäische Richtlinie zum Schutz der Bevölkerung vor Pestiziden. Dann widerrief das Verwaltungsgericht von Lyon im Januar 2019 die Zulassung für das Produkt «Roundup Pro 360», ein hochdosiertes glyphosathaltiges Unkrautvernichtungsmittel, das gemäss wissenschaftlichen Studien noch giftiger als die Standardprodukte ist. Das Gericht stützte sich dabei ebenfalls auf das in der französischen Verfassung verankerte Vorsorgeprinzip, mit dem auch Daniel Cueff sein Verbot begründete.

Und Präsident Emmanuel Macron wollte Glyphosat bis 2021 sogar ganz vom Markt nehmen. Mit dem Vorstoß für ein Verbot scheiterte er aber im Parlament.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Glyphosat

Der Unkraut-Killer Glyphosat

Das in Landwirtschaft (mit «Roundup-Ready»-Saatgut) und Hobbygärten versprühte Herbizid ist in der Kritik.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

4 Meinungen

  • am 5.10.2019 um 12:00 Uhr
    Permalink

    Unsere wirklichen Feinde sind – hier wie dort – die Politiker, die ihre Mandate nicht offen legen wollen.
    "Grosse Teile des Parlaments sind gekauft, … am besten verdienen Politiker der FDP und der SVP» (blick vom 10.09.2019)

  • am 5.10.2019 um 14:16 Uhr
    Permalink

    Ja, die Zeit ist reif. Die Zeit ist reif dafür, dass die Bevölkerungen und ihre Vertreter nicht einfach mehr hinnehmen, was in den Chef-Etagen der grossen Konzerne als «absolut notwendig» (dabei geht es um Gewinnmaximierung) zuerst mal beschlossen und dann politisch (Lobbys-sei-dank !) und wenn nötig juristisch (Die Gesetzgebungen werden oft von den Juristen der Konzern ausgedüftelt …) durchgepaukt wird. Glyophosat auch bei uns ein Thema mit diesen vom Bundesrat (wenn ich mich nicht irre) beschlossenen Moratorium vor dessen Verbot . Aber noch viel akuter ist was jetzt bei uns mit G5 passiert – einzelne Gemeinden – wie sich dieser Maire in Frankreich gegen Glyphosat entschieden hat – verweigern die Zulassung oder versuchen, sie zu verzögern. Aber no way: die Juristen der Swisscom, Salt usw und der schwer bearbeitete Bundesrat lassen diesen Widerstand nicht gelten. Bis jetzt. Denn die Grundwelle gegen die Übermacht der Konzern beginnt erst …

  • am 5.10.2019 um 17:11 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für diesen Artikel.
    Ich würde ihn inhaltlich gerne ergänzen, da der letzte Satz durchaus weiteren Informationsbedarf aufwirft.

    Das Scheitern im Parlament ist nämlich auf eine für eine Demokratie bemerkenswerte Weise zustande gekommen. Am 28.05.2019 unter Nr 1570 (M.Orphelin) wurde der Verbotsantrag wie folgt im Parlament abgelehnt:

    Für ein Verbot von Glyphosat:
    JA 20 – NEIN 63 – Ungültig 2 – Enthaltung 1 – >>> ABWESEND! 491! <<<

    Ich finde das eine wertvolle Ergänzung zum Thema, wenn nicht sogar einen eigenen Bericht wert.

    Viele Grüsse, NDV

  • am 7.10.2019 um 16:20 Uhr
    Permalink

    Nicht die Politiker sind unsere wahren Feinde. Sie sind «bloss» die Handlanger unserer wahren Feinde. Das internationale Finanzkapital ist unser wahrer Feind.
    Viele Junge von Fryday for Future haben das erkannt mit dem Slogan «System change – not Climate change"

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...