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Mauerkreuze zum Gedenken an die Opfer der Berliner Mauer © cc Beck100

Die Berliner Mauerkreuze sind verschwunden

Heinz Moser /  Der Diebstahl von Gedenkkreuzen an die Maueropfer stört in Berlin die Feierstunden um den Mauerfall. Genau das war gewollt.

Weisse Kreuze erinnern in Berlin an jene Menschen, die bei der Flucht über die Mauer erschossen wurden. Doch kurz vor den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag des Mauerfalls sind diese Kreuze plötzlich verschwunden. Die Verantwortung dafür übernimmt das «Zentrum für politische Schönheit», eine Gruppe von Aktionskünstlern, welche mit dem spektakulären Diebstahl der Kreuze an das Flüchtlingselend an den Aussengrenzen der EU erinnern möchte.

Rotzfrech textet die Künstlergruppe, dass die «Weissen Kreuze» vor den Gedenkfeierlichkeiten zu «25 Jahren Mauerfall» aus dem deutschen Regierungswechsel «geflüchtet» seien. «Die Mauertoten sind in einem Akt der Solidarität zu ihren Brüdern und Schwestern über die Außengrenzen der Europäischen Union geflüchtet. Genauer: zu den zukünftigen Mauertoten. 30’000 Tote an den EU-Außengrenzen in den vergangenen 25 Jahren und die laufende militärische Abriegelung des Kontinents waren zu viel für ihre Totenruhe».

Eine medial inszenierte Kunstaktion

Unterstützt wird diese Aktion durch Spenden auf der Crowfunding Website «Indiegogo», auf der aktuell bis zu letztem Samstag bereits 33‘303 Euro zusammenkamen. Das ist rund das Fünffache der ursprünglich angestrebten 5’900 Euro. Bestimmt ist das Geld für eine Busfahrt an die Stacheldrahtmauern der europäischen Aussengrenze. Mit Bolzenschneidern sollen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Abriss der europäischen Außengrenzen beteiligen – ein Ziel, das eher mit einem Augenzwinkern gesetzt ist.

Begleitet wird das Spektakel multimedial von einer Facebook-Seite, auf welcher direkt über den Fortgang der Aktion und die Reise an die Grenze berichtet wird. Und natürlich war den Initianten klar, dass sie damit eine riesige mediale Welle lostraten.

Pietätlos und verletzend

Ganz unterschiedlich fallen die Reaktionen aus. So erzeugte diese Aktion Wut und Empörung bei Angehörigen der Opfer, aber auch bei vielen Politikern in den Reihen der CDU. Orchestriert wird die Abscheu medial von der Bild-Zeitung, welche diese Tat als kriminell und moralisch verwerflich bezeichnet. Unter dem Titel «Schändliches Spiel mit Mauer-Kreuzen» heisst es dazu wörtlich: «Diese Kreuze sind ein Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Schießbefehls. Wer diese Kreuze stiehlt, der verletzt die Totenwürde, denn viele dieser Opfer haben keine Gräber.»

Da hilft es wenig, wenn die Aktivisten des Zentrums deutlich machen, dass die Kreuze spätestens am 13. November wieder zurückgegeben werden sollen. Philipp Ruch, der die Aktion initiierte, ist zudem selbst ein Mauerflüchtling, der 1989 aus der DDR floh. Er war Assistent bei Christoph Schlingenschief – und die Spur zum Theater reicht bis zum Maxim Gorki Theater, welches das «Zentrum für politische Schönheit» unterstützt. Dies findet der Berliner Innensenator Frank Henkel nichts anderes als verabscheuungswürdig

Ein positiver Denkanstoss für die junge Generation

Doch es gibt in Deutschland auch positive Reaktionen – gerade aus der jüngeren Generation, die den Mauerfall nicht mehr bewusst miterlebt hat. Viele Junge können mit den Diskussionen wenig anfangen, ob die DDR ein Unrechtsstaat oder ein Staat war, in welchem Unrecht geschah. Und wenig wird auch im Rahmen aller Feierlichkeiten diskutiert, dass manche Wessis sich nach dem Zusammenbruch der DDR Liegenschaften und Jobs im Osten in Goldgräberstimmung unter den Nagel gerissen haben. Auch da hat es Unrecht gegeben. Noch 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland weit höher als im Westen.

Wer aber nicht nostalgisch verklärt auf die Vergangenheit schaut und nicht an aktuellem Unrecht vorbeischauen will, ist eher bereit, sich herausfordern zu lassen. So meint ein Leser in ZEITonline zur politischen Aktion des Zentrums für politische Schönheit: »Dass das, was sie tun, wehtut und Grenzen überschreitet, ist genau der Witz daran.» Gerade durch den Bezug zur heutigen Flüchtlingsdramatik in Ceuta und Melilla erhält für Viele das Nachdenken über Grenzen und Mauern eine aktuelle Bedeutung.

Paradox an der ganzen Aufregung ist aber auch, dass im Rahmen der 25 Jahr-Feierlichkeiten kaum jemand an die weissen Kreuze dachte. Erst durch die Provokation der Künstlergruppe sind sie in Deutschland zum heissen medialen Thema geworden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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2 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 10.11.2014 um 09:50 Uhr
    Permalink

    Man müsste sich die Reaktionen vorstellen, wenn mit Holocaustopfern ein solches Spiel gespielt würde.

  • am 10.11.2014 um 15:01 Uhr
    Permalink

    Es wird hier nicht mit Opfern gespielt, sondern mit Symbolen.
    Ich will hier nicht urteilen, doch das Ziel der Aufmerksamkeit wurde mit der Aktion wohl erreicht.

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