Die Schweiz ist auf Rückzug aus dem globalen Süden
Es herrscht die Methode «Salamitaktik». Scheibe für Scheibe kürzt die Schweiz ihre Ausgaben für die Entwicklung in armen Ländern. Die Wende setzte letztes Jahr ein. Die Entwicklungshilfe nahm 2024 gegenüber 2023 um zehn Prozent ab. Für die Periode 2025–2028 schlug der Bundesrat zwar zuerst eine Erhöhung der Mittel im Vergleich zum Rahmenkredit 2021–2024 vor, um die Ukraine nach der Invasion Russlands stärker zu unterstützen. Doch kaum getan, folgte die massive Umschichtung von 1,5 Milliarden Franken zugunsten der Ukraine auf Kosten der Länder im globalen Süden. Ende 2024 setzte das Parlament den Rotstift an. Es kürzte den vierjährigen Rahmenkredit um 433,7 Millionen Franken. Jetzt gilt auch das nicht mehr. Mit den neusten Budgetentscheiden fällt die nächste Scheibe weg. Sie bringt ein weiteres Minus von 11,6 Millionen für 2026.
Rückzug aus Afrika
So dünn die einzelnen Abstriche auch sind, zusammen markieren sie eine Wende in der Entwicklungszusammenarbeit. Das vielfach vom Bundesrat bekräftigte Versprechen, Hilfe im Umfang von 0,5 Prozent des Bruttonationalprodukts zu leisten, gilt nicht mehr. Statt 0,5 waren es im letzten Jahr ohne die Anrechnung der in der Schweiz angefallenen Asylkosten noch 0,38 Prozent. Es ist der tiefste Wert seit zehn Jahren, und er wird in den nächsten Jahren noch weiter sinken.
Die Länder von Subsahara-Afrika trifft es am schlimmsten.

Für den Kreditrahmen 2025–2028 plant die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit bei der bilateral vergebenen Hilfe für Subsahara-Afrika, Asien und die Ländergruppe Naher Osten, Nordafrika und Europa ohne Ukraine im Vergleich zur Periode 2021–2024 massive Kürzungen. (Siehe Grafik) Mit einem Minus um mehr als einen Drittel soll es Subsahara-Afrika am stärksten treffen. Einen Drittel weniger werden die Länder der Gruppe Naher Osten, Nordafrika, Europa ohne Ukraine erhalten. Die Hilfe an die Länder Asiens soll um einen Viertel reduziert werden. Lateinamerika geht inzwischen fast leer aus, nachdem die Deza vor vier Jahren den Rückzug einleitete.
Der Rückzug der Schweiz aus dem globalen Süden ist nicht nur in Gang, sondern könnte sich noch beschleunigen. Denn die Debatte über das «Entlastungspaket 27» hat erst begonnen. Das Risiko weiterer Kürzungen ist gross.
Auch die 12 Schwerpunktländer des Seco von Albanien bis Vietnam trifft es hart. Die grosse Umschichtung der Gelder zugunsten der Ukraine geht auch auf ihre Kosten. Ihnen kommt in den nächsten Jahren ein zusehends kleinerer Anteil der vom Seco gewährten Mittel zu. 2028 dürfte er auf weniger als 50 Prozent sinken.
«Europe first» und «Switzerland first»
«Europe first» und auch «Switzerland first» prägen den neuen Kurs. Der Bundesrat will die Ukraine-Hilfe an den Kauf von Waren und Dienstleistungen der Schweizer Wirtschaft knüpfen. Sie soll die Auftragsbücher von Schweizer Unternehmen füllen. Die Ukraine könnte nur profitieren, sofern sich ihre Bedürfnisse für den Wiederaufbau mit Angeboten von Schweizer Unternehmen decken.
Es ist die Rückkehr der «gebundenen Hilfe», mit der über Jahrzehnte die internationale Entwicklungshilfe in Verruf kam. Zu oft stellte sie sich als Hilfe zur Selbsthilfe in den Geberländern statt den Zielländern heraus und war teurer, als wenn mit Hilfsgeldern die Ressourcen und Möglichkeiten in Empfängerländern genutzt und gefördert worden wären,
Armee und Kartoffeln gehen vor
Die Wende in der Entwicklungshilfe spiegelt die politische Wende im Parlament seit den letzten Wahlen. In der Budgetdebatte des National- und des Ständerates bestätigte es sich erneut. Es begann schon in den vorberatenden Finanz-Kommissionen. Die Tageszeitung «Le Temps» brachte es auf die Kurzformel «Plus d’armes et de patates, moins de coopération internationale». In der Session setzte es sich fort mit – wie der Tages-Anzeiger titelte – «Bauern, Hochschulen und Fleischlobby machen Druck».
Zwar wurde immer wieder die Schuldenbremse beschworen. Die Ausgaben müssten gekürzt werden, übertrumpften sich rhetorisch Vertreterinnen und Vertreter von Rechtsaussen bis zur Mitte. Doch der Zeitgeist der Schuldenbremse manifestierte sich selektiv – wenn es um Klima- oder Umweltpolitik und die internationale Zusammenarbeit ging, nicht aber bei Armee- und Bauernanliegen. Geht es um Kartoffeln, Weinbau, Fleischinteressen und Aufrüstungspläne gibt man sich spendabel.
Die Bevölkerung möchte es anders
Was sich Schweizerinnen und Schweizer wünschen, zählt wenig. Für mehr Armee-Ausgaben spricht sich laut jüngster Umfrage des ETH-Center for Security Studies – trotz leichter Zunahme – nur jede und jeder Vierte aus. Deutlich mehr, nämlich rund ein Drittel, erachten die Verteidigungsausgaben als zu hoch, und etwas mehr als ein Drittel stuft sie als richtig ein.
Auch bei der Entwicklungshilfe ist das Stimmungsbild in der Bevölkerung anders als im Parlament. Die Zustimmungsrate für die Erhöhung der Mittel ist zuletzt zwar etwas gesunken. Aber noch immer wünscht sich eine Mehrheit mehr Mittel für die Entwicklungshilfe. Für weniger Hilfe, wie sie die Politik beschliesst, sprach sich in der letztjährigen Umfrage des «Nadel»-Instituts der ETH hingegen nur eine kleine Minderheit von gerade 17 Prozent aus.
Worte statt Taten
Die Widersprüche setzen sich bis ins EDA fort. An wohlfeilen Parolen fehlt es nicht, auch wenn anders gehandelt wird. Im Vorwort zur «Afrika-Strategie 2025–2028» bekennt sich Aussenminister Ignazio Cassis zur «Notwendigkeit, die Beziehungen zu diesem dynamischen und aufstrebenden Kontinent gezielt zu stärken». Die Schweiz wolle «die Beziehungen zum Kontinent weiter vertiefen», verspricht das Strategiepapier. Doch schon zum Zeitpunkt der Publikation im Dezember letzten Jahres war es ein leeres Versprechen. Die bilateral vergebene Entwicklungshilfe für die Länder Subsahara-Afrikas belief sich 2024 nur noch auf 488,5 Millionen. Das war fast ein Fünftel weniger als im Jahr zuvor mit noch 600 Millionen Franken. Statt «gezielt zu stärken», tritt die Schweiz unter EDA-Führung den Rückzug aus den ärmsten Ländern in der nahen Nachbarschaft zu Europa und damit auch der Schweiz an.
Es wird sich nicht auszahlen. Denn – so hält die «Afrika-Strategie 2025–2028» zu Recht fest: «Auch im Hinblick auf globale Sicherheit und Stabilität» ist Afrika für Europa und die Schweiz von grossem Interesse. «Präventiv handeln», um «Instabilität nicht nur humanitär zu bewältigen», verspricht das EDA in seiner Strategie. Den Rückzug tritt die Schweiz trotzdem an.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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