Kommentar

Warum die Tamedia-Abos so teuer sind

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  605 Franken kostet das Jahresabo für den Tages-Anzeiger. Vielleicht deshalb, weil die Redaktion das Geld verschleudert.

Wie viele Journalisten braucht es für einen Zeitungsartikel? Bei Infosperber reicht normalerweise einer. In Ausnahmefällen braucht es vielleicht auch mal zwei.

Bei Tamedia sind es mehr.

Nehmen wir den Tages-Anzeiger vom 18. Juli: Er berichtete darüber, dass im letzten Jahr in der Schweiz so viele Fotovoltaikmodule installiert worden seien wie noch nie. Und stellte – wenig überraschend – fest: «Nicht alle Gemeinden und Kantone machen gleich schnell vorwärts.» Personalbedarf für diesen Artikel: Drei Journalisten.

Bleiben wir beim Tages-Anzeiger. Und bleiben wir beim 18. Juli. Im Sportteil gab es einen beinahe ganzseitigen Aufwisch der fünf aufwühlendsten Tour-de-France-Duelle zwischen 1949 und 2001. Dafür stiegen sogar drei Journalisten und eine Journalistin ins Archiv. Oder machten vielleicht auch nur «Copy, Paste». Denn es war ein typischer «Alle-Jahre-wieder»-Artikel.

Enorme Verschwendung

Der Tages-Anzeiger berichtete auch über «Neue Vorwürfe gegen Rammstein». Auch gegen den Keyboarder der deutschen Band seien Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs laut geworden. Mehr stand im ganzseitigen Artikel nicht. Geschrieben haben ihn Jakob Biazza, Sebastian Erb, Daniel Drepper, Lena Kampf, Laura Hertreiter, Marlene Knobloch und Ralf Wiegand. Mitgearbeitet haben Elena Kuch, Sebastian Pittelkow, Nadja Mitzkat und Isabel Schneider.

Falls Sie Mühe mit Mitzählen hatten: Es sind elf Personen. Gut, der Artikel stammt – im Gegensatz zu den beiden ersten – von der Süddeutschen Zeitung. Aber auch dafür wird Tamedia zahlen müssen.

Und wohlgemerkt: Auch dieses Beispiel stammt aus der Tages-Anzeiger-Ausgabe vom 18. Juli.

Vielleicht erklärt der riesige personelle Einsatz die inzwischen sehr hohen Abo-Preise. Für die Berner Zeitung kostet das Jahresabo 555 Franken, für den Bund 579 Franken, für den Tages-Anzeiger sogar 605 Franken. Doch zu diesem hohen Preis erhalten die Leserinnen und Leser wenig Gegenleistung.

Enorme Sparsamkeit

Der verschwenderische Umgang mit dem Personal geht bei Tamedia mit einem sparsamen Umgang bei der Zusammenstellung der gedruckten Zeitungen einher. Die Artikel erscheinen nämlich in der Regel unverändert auch gleich noch in der Basler Zeitung, im Berner Oberländer, in der Berner Zeitung, im Langenthaler Tagblatt, im Bund, im Landboten, im Thuner Tagblatt und im Zürcher Unterländer. Das ist für Berner oder Basler Leser mitunter unbefriedigend, wenn in den Artikeln die Situation in Zürich beschrieben wird.

Und für alle, die wieder Mühe mit Mitzählen hatten: Es sind — inklusive Tages-Anzeiger — neun Zeitungen.

Die Sparsamkeit treibt bei Tamedia mitunter seltsame Blüten. Am 14. Juli erschien in der Berner Zeitung ein ganzseitiger Artikel über Kroatien unter dem Titel «Die Toskana des Ostens». Und am nächsten Tag druckte die Berner Zeitung den genau gleichen Artikel mit dem genau gleichen Titel und den genau gleichen Bildern gleich nochmals ab.

Enorme Optimierung

Doch Tamedia hat auch andernorts Optimierungspotential ausgemacht. Es lässt sich nicht nur von den Abonnenten bezahlen, sondern auch vom Bund. 2020 kassierte die TX-Group, zu der auch Tamedia gehört, 21,2 Millionen Franken an Kurzarbeitsentschädigungen. Im Jahr darauf nochmals 7,3 Millionen. Und dies, obwohl die Tamedia-Personalkommission schon zu Beginn der Pandemie festgestellt hatte: «Auf den Redaktionen und in der Produktion gibt es derzeit nicht weniger zu tun – in manchen Bereichen gar mehr, zumal der Bedarf der Bevölkerung nach aktuellen Informationen sehr gross ist.» Für Kurzarbeit gab es also kaum einen Grund.

Weiterführende Informationen:

Infosperber: «Kaufen Sie jetzt endlich einen Kia EV6!»

Infosperber: Leser fragt. Tamedia schweigt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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2 Meinungen

  • am 26.07.2023 um 10:48 Uhr
    Permalink

    Hatte auch mal ein Abo bei einer TA Media Zeitung. Leider hat sich auch dort ein missionarischer Eifer eingeschlichen,den Lesern die «richtige Meinung» einzutrichtern. Wie so vieler Orts. Journalisten verstehen sich immer mehr als Aktivisten,den als Informanten. Da stört eine andere,als die ihrige, Sichtweise. Wahrscheinlich auch ein Grund für die existierenden Filterblasen. Selber reagiere ich immer allergischer auf solchen Meinungsjournalismus.

  • am 26.07.2023 um 11:34 Uhr
    Permalink

    Sehr interessante Darstellung, Herr Diener. Seit Jahrzehnten bin ich Tagi-Abonnent insbesondere deshalb, weil ich damit auch einen Beitrag für die Aufrechterhaltung der Pressefreiheit leisten kann. Selbstverständlich vertraue ich als Nicht-Insider auf eine ‹kostenoptimale Leistungserstellung›, die nach Ihrer Darlegung offensichtlich nicht gegeben ist und ich hoffe, die Tagi-Verantwortlichen werden auf Ihre Äusserungen reagieren. Ganz bestimmt werden Sie auf Ihren letzten Abschnitt reagieren, denn sie bezichtigen implizite die TA-Leitung, unrechtmässig Kurarbeitsentschädigung bezogen zu haben.

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