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Den Wein selber entdecken: Barolo, links hinten La Morra © cm

Sein und Wein: auch die NZZ geht in den Kommerz

Christian Müller /  Immer mehr Zeitungen betreiben kommerzielle Online-Shops. Jetzt auch die NZZ. Von Sein und Schein, von Pein und Wein.

Die «Süddeutsche Zeitung» hatte es der Branche vorgemacht. Sie sanierte sich schon vor etlichen Jahren aus einer Finanzbaisse mit dem direkten Verkauf von Büchern. Seither ist kein Bayer mehr, der seine intellektuelle Potenz nicht im eigenen Wohnstuben-Büchergestell mit literarischen Gesamtausgaben aus dem SZ-Shop zur Schau stellt. Ein Risiko für den SZ-Verlag war das damals nicht, die Verärgerung über diesen Schritt der SZ zum Direktverkauf bei Buchverlagen und Buchhandlungen war zwar gross, aber kein Problem, denn die Anzeigen-Erlöse aus dem Buchmarkt waren eh nur marginal und deren Ausfall also verkraftbar. Heute verkauft die SZ auch DVDs, Spiele, und auch Wein: alles Produkte, die über das Anzeigengeschäft kaum grosse Erlöse eingespielt hatten.

Nun basiert der Fortschritt der Menschheit bekanntlich nicht nur auf neuen Ideen, sondern ebenso auf dem cleveren Klau von guten Ideen Anderer. Auch im Zeitungsgeschäft. Denn zwischenzeitlich betreiben die meisten Zeitungen irgendwelche Online-Shops. War früher Kommunikation das Kerngeschäft der Verlage, wird diese Kommunikation mehr und mehr zum Kanalöffner für kommerzielle Aktivitäten jeder Art. Auch in der Schweiz. Ringier etwa ist schon lange ein Gemischtwarenhändler. Aber auch die NZZ geht jetzt diesen Weg: mit einem Wein-Shop. Beachtenswertes Detail: Der Wein-Shop läuft unter dem Label der «NZZ am Sonntag», die eh schon mehr für Unterhaltung steht als die sich seriöser und konservativer gebende Tageszeitung NZZ. Und auch die Auflage der NZZ am Sonntag ist etwas grösser als die der NZZ, und damit auch der potenzielle Wein-Kundenkreis.

Nichts für Otto Normalverbraucher

Ein Klick auf www.wein.nzz.ch zeigt schnell, für welche Kasse und Klasse dieser Wein-Shop konzipiert ist: Der zum Beispiel heute dort propagierte Wein ist ein «La Dame de Malescot, Margaux AOC, Château Malescot-St-Exupéry», Jahrgang 2010. Kein schlechter Tropfen, gewiss. Aber auch der Preis ist entsprechend: CHF 42.50 die Flasche. Auch wer also nur immer dann eine solche Flasche entkorkt, wenn er am Sonntag in der Sonntagausgabe der NZZ nach Gehaltvollem fahndet, muss dafür über 2210 Franken im Jahr budgetieren…

Der NZZ-Wein-Shop ist noch neu. Von den bisher empfohlenen 25 Weinen kostet der billigste CHF 9.90 (ein Weisser aus dem Kommerz-Keller des russisch/französischen Schauspielers Gérad Depardieu), der teuerste CHF 75.- (der Pinot Noir «Tête de Cru» aus der Staatskellerei Zürich, Jahrgang 2009; auch Staatsbetriebe produzieren, entgegen der Standard-Meinung der NZZ, manchmal ja Köstliches…). Gratis mitgeliefert wird, wie bei den meisten Wein-Shops, natürlich eine Erklärung, wie der bestellte Wein schmeckt. Beim heutigen «La Dame de Malescot» zum Beispiel so: «Der perfekt gelungene 2010er zeichnet sich durch eine tiefe Farbe und ein vielschichtiges Bouquet aus. Im Gaumen verbindet sich Kraft mit Finesse und Eleganz. Geschmeidige Gerbstoffe, eine passende Säure und eine gute Länge machen aus diesem modernen Bordeaux ein tolles Trinkvergnügen.» Das ist notabene nicht nur Verkaufssupport, das ist auch Lebenshilfe für die Käufer. Denn wer würde schon 42 Franken ausgeben für einen guten Tropfen, wenn er damit nicht auch seinen Gästen und sich selber – in gepflegtem Wein-Experten-Slang – bestätigen könnte, etwas von Wein zu verstehen – und also ein gebildeter Mensch zu sein?

Aus Pein zum Wein

Der neue Wein-Shop der NZZ soll hier aber nicht nur kritisiert werden. Wenn er funktioniert und wenn die NZZ damit Geld verdienen kann, um so wiederum die journalistische Leistung der NZZ-Redaktion trotz Medien-Krise aufrechterhalten zu können, dann ist das ja prima. Dann ist der Schritt von der medialen Pein zum mondialen Wein ohne Wenn und Aber gerechtfertigt. Das neue Business der NZZ muss aber sicher aufmerksam im Auge behalten werden. Denn wenn eines Tages die Redaktionsleistung nur noch erbracht wird, damit für das Online-Geschäft ausreichend Adressen mit dem geeigneten Käufer-Profil zur Verfügung stehen, dann wäre dieser erste sichtbare Schritt von der Kommunikation zum Kommerz der Anfang einer echten Trauergeschichte.

Aber noch etwas – und ein kleiner Tipp

Die NZZ-Wein-Website vermeldet unter der Navigations-Position «Ihre Vorteile» die kurze Devise: «Wir entdecken – Sie geniessen!» Das ist nicht ganz ehrlich. Denn auch der NZZ-Wein-Experte Peter Keller weiss natürlich, dass das ENTDECKEN eines Weines ein besonderes Vergnügen ist. Ein Wein, dessen Herkunft man kennt – die Rebberge, das Weingut – ist doppelt bekömmlich. Die persönliche Beziehung zu diesem Wein, die Erinnerung an die Entdeckungsreise, die Begegnung mit dem Viticoltore (oder auch seiner Frau) lassen das Herz beim Trinken des edlen Tropfens gleich höher schlagen! Auch der hier Schreibende geht lieber selber auf Entdeckungsreise. Das obenstehende Bild von Barolo im Piemont zum Beispiel hat er vor wenigen Wochen anlässlich einer eigenen Weinerkundungsreise in die Langhe gemacht. Zur Nachahmung empfohlen…


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor hat in jüngeren Jahren selber über Wein geschrieben und ist Mitautor des Buches: Schweizer Rebbau, Schweizer Wein, von Niklaus Flüeler (Hrsg.), Ex Libris Verlag Zürich 1980.

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Eine Meinung zu

  • am 9.10.2013 um 16:46 Uhr
    Permalink

    Und wer hat denn diese Medien-Shops erfunden? Nein, nicht die Schweizer. Sondern die Barolo- und Brunello-Amici del Sud.

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