Kommentar

kontertext: Am Anfang war das Radio und seine Genossenschaften

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Versuch einer historischen Einordnung im Hinblick auf die aktuellen Debatten zur forcierten Digitalisierung von SRF.

Es waren die Radiobegeisterten und zukünftigen Radiohörer, die Genossenschaften gründeten und so den Grundstein zur heutigen SRG legten. Es ist eine lange und wechselhafte Geschichte, die von unausweichlichen Abhängigkeiten, aber auch vom Konkurrenzkampf mit den herkömmlichen Medien erzählt. Diese lange Geschichte war immer wieder und entscheidend von neuen technischen Möglichkeiten geprägt und nicht zuletzt von grossen gesellschaftlichen Veränderungen, so wie sie auch heute wieder anstehen und zu einer erneuten Debatte über die Rolle der SRG führen. Daher lohnt es sich, auf diese Geschichte zurückzublicken und einige Erkenntnisse daraus zu ziehen.

Leicht in Vergessenheit gerät, dass das Radio das erste elektronische Medium war, das einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wurde. Genau genommen sind es hundert Jahre her, dass es den Rundfunk gibt. Noch leben heute Menschen, die in ihrer Kindheit das Aufkommen des Radios miterlebten. Es war kurz nach dem ersten Weltkrieg, im Jahre 1920, als sich der Völkerbund darauf einigte, dass es internationale Regeln für die Ausstrahlung von Radioprogrammen brauche. Ein erster rudimentärer Versuch in der Nähe von Genf konnte gestartet werden. Nur war die Sache im technischen Bereich nicht so einfach. Telefonische oder telegrafische Nachrichten zu verbreiten war zwar schon damals relativ einfach möglich, ein breites Publikum zu erreichen aber schwieriger. Es brauchte leistungsstarke Sender und die entsprechenden Geräte, mit denen sich das Radio auf einfache Weise empfangen liess. Einerseits waren es Wissenschafter und Techniker, die dieses Ziel aus persönlicher Leidenschaft verfolgten. Diese Pioniere kamen nicht zuletzt aus der Schweiz und vor allem aus der Region Basel. Und es waren anderseits Radio-Amateure, die sich mit dem Empfang des Rundfunks befassten und ihre ersten Empfangsgeräte selber bauten.

Internationale und nationale Regeln

Das Interesse an Nachrichten aus aller Welt war enorm gestiegen; der Erste Weltkrieg mit seinen Wirren hatte dieses Interesse zusätzlich angetrieben.  Die Ansprüche  prallten aufeinander, weil es nur beschränkte Sendefrequenzen im «Äther» gab. Das war einer der Hauptgründe, weshalb sich eine internationale Übereinkunft aufdrängte, sollte nicht der Konkurrenzkampf zu gegenseitigen massiven Störungen führen.

Die Zuteilungen erfolgten an die einzelnen Staaten unter allgemeinen Richtlinien und mit rudimentären rechtlichen Vorgaben. Auch in der Schweiz mussten neue Regelungen gefunden werden, wie man mit dem neuen Medium Radio zurecht kommen wollte. Bereits 1922 verabschiedete der Bund ein neues Gesetz, das die technische Verbreitung des Radios der PTT zuwies und dem damaligen Postdepartement gleichzeitig das exklusive Recht zur Vergabe von Empfangsbewilligungen zuteilte. Inzwischen wurden in manchen Kantonen private Radioclubs gegründet, die sich für die Förderung des Radios einsetzten oder sie möglichst breiten Bevölkerungsschichten zugänglich machen wollten. Dabei ging es auch um Fragen der gerechten Verteilung zu erschwinglichen Preisen und nicht zuletzt um Medienfreiheit und Meinungsvielfalt.

Zwischen 1924 und 1927 wurden die ersten regionalen Radiogenossenschaften gegründet, die sich mit der Ausstrahlung und Verbreitung des Rundfunks befassten und um die entsprechenden Konzessionen sowohl zur Ausstrahlung der Sendungen in den einzelnen Regionen sowie der Hörerschaft bemühten.

Schon bald wurde klar, dass die Verbreitung von Radioprogrammen nur gesamtschweizerisch gelöst werden konnte.  Es brauchte die nötigen Geldmittel für die technische Verbreitung und die Gestaltung der Programme, die in erster Linie von den Radiohörern aufgebracht werden mussten. Damit waren die kantonalen und regionalen Genossenschaften bald überfordert. Die Radiogenossenschaften rückten langsam näher zusammen, um die Herausforderung gemeinsam anzugehen. Und selbstverständlich gab es unter den Genossenschaften, aber auch bei den  Hörerschaft heftige Diskussionen über den richtigen Weg. Neben den Genossenschaften entstanden auch Vereine, die das Radio unterstützen und fördern wollten, so unter anderen der 1929 gegründete ARBUS, der Arbeiter-Radiobund, der sich vor allem um preisgünstige Empfangsgeräte bemühte und auch die Darstellung der  Meinungsvielfalt und um ein Recht auf Publizität  aller Bevölkerungsschichten verlangte.

Ein helvetischer Kompromiss

Gleichzeitig sicherte sich die Landesregierung ihren Hoheitsanspruch mit der Investition in die drei Landessender Beromünster, Sottens und – etwas später – Monte Ceneri. Die Sender sollten von der PTT betrieben werden, die auch die Erhebung der Gebühren bei den Radiohörern organisieren und abwickeln sollte.  Die Konzessionsvergabe verblieb beim Bund. 1931, kurz nachdem der Sender Beromünster auf Sendung ging, kam es zur Gründung der Dachorgansation der Radiogenossenschaften, der Schweizerischem Rundspruchgesellschaft SRG, die damit vom Bund die einzige Konzession zum Betreiben von Radioprogrammen erhielt. Die Radiogenossenschaften organisierten den Inhalt, innerhalb von Richtlinien, die seinerzeit vom Staat vorgegeben wurden (wie Berücksichtigung aller Landesteile, Meinungsvielfalt). Mit dieser Konzession wurde ihr die Gestaltungsfreiheit im Rahmen eines «Service Public» garantiert; der Bund behielt die Oberaufsicht. Dadurch entstand ein  typischer helvetischer Kompromiss zwischen unabhängigen Genossenschaften und den staatlichen Interessen, anders als in vielen andern Ländern, wo der öffentliche Rundfunk eine staatliche Aufgabe war. Es ist also Unsinn, wenn man behauptet in der Schweiz gebe es ein Staatsradio oder Staatsfernsehen. Es ist ein grosses Glück, dass sich bereits in den Anfangszeiten dieses zweigeteilte System etabliert hatte, womit eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat und eine demokratische Mitgestaltung des gesamten Publikums über die Genossenschaften garantiert war.  

Trotzdem kam es im Vorfeld zu heftigen Diskussionen. Die einen befürchteten zu viel Einfluss des Staates, andere fürchteten die Konkurrenz, wie zum Beispiel die Zeitungsverleger, die im schnelleren Medium Radio eine existenzielle Bedrohung sahen. Der Verband der Zeitungsverleger setzte denn auch durch, dass das Radio dazu verpflichtet wurde vorrangig die  Informationsquellen der Schweizerischen Depeschenagentur SDA zu nutzen, die von den Zeitungsverlegern betrieben wurde. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Information, denn das Publikum war wissbegierig auf Neuigkeiten aller Art und aus der ganzen Welt.  

Das Radio trat seinen Siegeszug an. Aber es waren natürlich längst nicht nur die Nachrichten über das politische Geschehen, die das anhaltende Interesse weckten, sondern auch andere Neuigkeiten und nicht zuletzt kulturelle Darbietungen, vor allem die Musik, die jetzt erstmals so weit und so vielfältig verbreitet werden konnte. Radio war unverzichtbar geworden und bald stand in den meisten Familien das seltsame, mit Stoff bespannte rechteckige Kästlein in der Wohnung und war zu einer Institution des kulturellen und politischen Lebens geworden.

Nochmals Krieg und Autonomieverlust

Schon bald aber war die Harmonie gestört, als ab 1933 unser Nachbarland Deutschland unter die Macht des Hitler-Faschismus kam, der die Welt bedrohte; der zweite Weltkrieg zeichnet sich bereits ab. Bekanntlich reagierte die damalige Schweizer Landesregierung mit Vorsicht und Angst. Bereits 1933 setzte sie eine Kontrollstelle über den Radiobetrieb ein, die schon damals eine politische Vorzensur ausübte. Ab 1937 verschaffte sich der Bund eine Stimmenmehrheit in allen Gremien der SRG, und 1939 wurde die Konzession sistiert und die Konzessionsträgerin unter direkte Aufsicht der Bundesbehörden gestellt.  Das Radio sollte der «geistigen Landesverteidigung» dienen, die Zensurmassnahmen des Bundes weckten aber oft den Eindruck von Anpassung an das Diktat von Hitler-Deutschland. Kein Wunder also, dass es zu Unstimmigkeiten innerhalb der SRG kam, die auch schweizweit zu heftiger Kritik an der Zensur des Bundesrates führte. Dennoch war das Schweizer Radio während des Weltkrieges eine wichtige und europaweit viel gehörte Stimme.

Erst 1945 trat die Sendekonzession wieder in Kraft und die Trägerschaft – also die Genossenschaften – erhielten ihre Rechte zurück. In den ersten Nachkriegsjahren kam es kaum mehr zu Diskussionen und das Radio entwickelte sich in die Breite.

Das änderte sich wieder, als das Fernsehen ins Spiel kam. Es war wohl die einschneidenste Veränderung, die vor allem den Gesamtbetrieb enorm anwachsen liess und Probleme auch finanzieller Art mit sich brachte. Das hatte Konsequenzen für die Organisation und nicht zuletzt auf die Rolle der Genossenschaften.

Quellen:
Geschichte des Radios (auf SRF)
Geschichte des Radios in der Schweiz (auf Wikipedia)

Der zweite Teil des historischen Rückblicks folgt demnächst auf infosperber.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).
 
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Georg Geiger, Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

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