Twitterbeitrag-1

Eine Velofahrerin ist im Begriff, klimaschädigendes Fleisch zu kaufen. © Twitter

Rindfleisch-Wahnsinn in der Handelszeitung

Esther Diener-Morscher /  Ein Wissenschaftler rechnet allen Ernstes vor, dass Velofahren klimaschädlicher sei als Autofahren.

Die These des 61-jährigen Wirtschaftswissenschaftlers Reiner Eichenberger in der jüngsten Ausgabe der Handelszeitung ist zweifellos aufsehenerregend. Er verteufelt das Velo als Klimakiller, kritisiert die Statistiken des Bundes als «kreative Buchführung» und bezeichnet sie als «frivolen» amtlichen Trick.

Denn er kennt offenbar die wahren Zahlen. Und die lauten – gemäss dem Professor – so:

«Velofahrende verbrauchen auf 100 Kilometer bei normaler Fahrt rund 2500 Kilokalorien (kcal). Den Energie- und Muskelverbrauch müssen sie durch zusätzliche Nahrungsaufnahme ausgleichen. So bräuchten sie für die 2500 kcal etwa 1 Kilo Rindfleisch. Das verursacht in der Produktion 13,3 Kilogramm CO2

Reiner Eichenberger in der Handelszeitung

Sein Fazit: Fleisch essende Velofahrerinnen und Velofahrer würden pro Personenkilometer 133 Gramm CO2 verursachen. Hingegen stosse ein Auto, das mit vier Personen besetzt sei, pro Person bloss einen Viertel aus.

Das ist «Voodoo-Statistik»

Eichenberger hat alles richtig gerechnet. Aber vieles falsch gedacht. Oder sind Autos im Normalfall mit vier Personen besetzt? Verbraucht ein Durchschnittsauto fünf Liter Treibstoff auf 100 Kilometer? Machen die Insassen alle eine Fastenkur? Vertilgen Velofahrer nach einer 100-Kilometer-Tour ein Kilo Rindfleisch?

Voodoo-Statistik nennt die Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden das, was Eichenberger veröffentlicht. Selbst Berufskolleginnen halten nicht viel von Eichenbergers Zahlenspielen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Dina Pomeranz spöttelt auf Twitter, dass sie derzeit eine Gegenstudie verfasse mit dem Titel das «Treadmill-Paradoxon», auf deutsch das «Laufband-Paradoxon». Sie werde von der Annahme ausgehen, dass alle Autofahrer wegen mangelnder Bewegung ihre Kalorien auf dem Laufband verbrennen müssten.

Die Handelszeitung hat sich inzwischen von Eichenbergers Beitrag etwas distanziert. Co-Chefredaktor Stefan Barmettler schreibt besänftigend: Die Kolumne gebe die persönliche Meinung des Professors wieder. Sie solle zum Denken und zur Debatte anregen. Die Handelszeitung wolle deshalb weitere Meinungsbeiträge zum Thema veröffentlichen.

Der jüngste Beitrag von Eichenberger ist nicht sein erster Feldzug gegen die angeblichen Klima-Schädlinge auf zwei Rädern. Schon vor fünf Jahren zweifelte Eichenberger in einem Artikel in der Sonntagszeitung den gesundheitlichen Nutzen des Velo Fahrens an. Unter dem Titel «Die Velolüge» behauptete er, der Veloverkehr steigere die Gesundheit kaum. Denn die meisten Velokilometer würden von ohnehin sportlichen Menschen gefahren. Diese hätten auch ohne Velo genügend Bewegung. Das Velofahren mache sie deshalb nicht gesünder.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Zeitungen_1

Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

14 Meinungen

  • am 17.11.2022 um 11:46 Uhr
    Permalink

    Erinnert mich an: https://de.wikipedia.org/wiki/Merchants_of_Doubt
    Auffallend, dass ein Wissenschaftler der Wirtschaft und eine Zeitung des Handels das präsentieren. Und dass etwa Krankenkassen und Krankenwesen (Pharma, Spitäler, Arztpraxen) für unsere Gesundheit zuständig sind offiziell, obwohl Volksgesundheit ihr Ruin wäre.
    Bewegen (Stichwort: Schrittzähler) muss sich der Mensch eh im Sinne Gesundheit. Dann doch lieber mit dem Velo als mit (meist) über einer Tonne Blech unter dem Hintern und dem (nicht veganen) «Tiger im Tank».

  • am 17.11.2022 um 12:42 Uhr
    Permalink

    «Die Kolumne gebe die persönliche Meinung des Professors wieder. Sie solle zum Denken und zur Debatte anregen. Die Handelszeitung wolle deshalb weitere Meinungsbeiträge zum Thema veröffentlichen».
    Kritisiert nun infosperber den Schwachsinn des «Professors» oder die Handelszeitung die ihn publiziert.
    Auf solche «Meinungsbeiträge» gibt es nur eine Antwort: Abo der Handelszeitung kündigen!

  • am 17.11.2022 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Es ist ein bisschen schade, dass Natalie Imboden und Dina Pomeranz nur kritisieren und sich lustig machen. Die Frage nach dem zusätzlichen Nahrungsbedarf und dem damit verbundenen CO2-Ausstoss finde ich aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich interessant. Wo sind die wissenschaftlichen Antworten der beiden Damen?

  • am 17.11.2022 um 12:50 Uhr
    Permalink

    Wieso müssen wir solche «Wissenschaftler» auch noch mit unseren Steuergelder finanzieren?

  • am 17.11.2022 um 13:39 Uhr
    Permalink

    Der Mann ist ja nicht einfach Professor der ist ein Genie, möglicherweise nicht von diesem Planeten. Manchmal habe ich das Gefühl, mit seinen wissenschaftlichen Analysen auch in anderen Bereichen, die meistens weit über das Erkenntnisvermögen eines Normalsterblichen hinaus weisen, veräppelt er uns ein wenig.

  • am 17.11.2022 um 14:08 Uhr
    Permalink

    Der Spruch passt…: ‹Däm hett’s doch is Hirni gschneit!›

  • am 17.11.2022 um 14:40 Uhr
    Permalink

    Vielleicht war der Artikel der Handelszeitung als Belustigung und Intelligenztest gemeint. Denn: kein Normalbürger fährt 100km Rad am Tag und niemand isst 1kg Rind am Tag. Primäre Energiequellen sind außerdem Fett und Kohlenhydrate; nicht das Rindfleisch. Bei täglichen 100km müssten also Fett- und Kohlenhydratzufuhr entsprechend der persönlichen Bedürfnisse gesteigert werden; nicht weniger Eiweißzufuhr. Außerdem kommt es nach einer Weile durch die körpereigene Optimierung der intra- und intermuskulären Zusammenarbeit zu einem Absinken des Kalorienverbrauchs – der Körper braucht weniger Energie für die gleiche Arbeit. Bei optimaler Gesundheit trüge eine tägliche Radstrecke von 100km erheblich zur Steigerung der Volksgesundheit bei: Herzerkrankungen, Schlaganfallneigung, Diabetes usw. würden vermindert und damit auch die Kosten für das Gesundheitssystem. Soherum gehört die Rechnung gemacht. Herr Eichberger sollte seine Abschlüsse nochmal machen.

  • am 17.11.2022 um 15:08 Uhr
    Permalink

    Als Blog sicher eine nach denkenswerte «Geschichte». Wieso die Sache nicht mal wirklich durchrechen. Wir werden ja sonst immer nur von den Klimakritikern belehrt mit ähnlichen Überlegungen, die meist auch nicht fertig gedacht sind.

  • am 17.11.2022 um 16:51 Uhr
    Permalink

    Herr Eichenberger hatte auch mal vorgerechnet, dass die Velofahrer zu viel Gesundheitskosten verursachen würden – wegen Unfällen mit Autos. Schlussfolgerung: wenn alle Velofahrer Auto fahren würden, gäbe es weniger Unfälle und alles würde billiger…
    Ich hatte mal von einem Bauern gehört, dass er, wenn er Herrn Eichenberger sähe, ihn fragen würde, warum er nicht durch zwei tschechische Professoren ersetzt werde, das sei doch seine Vorstellung von Effizienz.

  • am 17.11.2022 um 17:09 Uhr
    Permalink

    Viele der von dem Herrn Professor angeführten Zahlen kenne ich nicht und kann mich dazu nicht äussern.
    Eines weiss ich jedoch ganz genau aus eigener Erfahrung: Auch nach 100 km Velotour (Incl >1000 Höhenmeter) könnte ich unmöglich 1 kg Rindfleisch essen. Und auch nach 100 km esse ich nicht fast eine ganze Tagesration von 2500 kCal über das normale Quantum hinaus. Und was ich zusätzlich esse sind eher Teigwaren, Nüsse und Früchte…

    Bedenklich erscheint mir, dass solche Äusserungen gemacht werden von Personen die qua ihrer Position eigentlich einer wissenschaftlichen Arbeitsweise und Argumentation verpflichtet wären. Der Herr Professor diskreditiert nicht nur sich selbst, sondern indirekt auch die Institution die ihn beschäftigt.

  • am 17.11.2022 um 17:50 Uhr
    Permalink

    Es gibt schon Stilblüten, das wohl eine davon.
    Aber im Ernst, die Wirtschaft arbeitet schon mit Rechenmodellen wo sich der normale Mensch an den Kopf fasst.
    Jeden Tag während der Arbeitszeit für 5 Minuten auf Toilette kostet den Arbeitgeber 2 volle Arbeitstage im Jahr und eine viertel Stunde näher am Arbeitsplatz bringen einem 50 Stunden mehr Freizeit im Jahr. Umgerechnet über eine Woche mehr Urlaub. Deshalb ist der tägliche Stau mit einer Stunde und 30.000 Verkehrsteilnehmern auf Volkswirtschaftlicher Blödsinn.
    Also etwas nicht ganzheitlich zu betrachten macht Propaganda, auf die eine wie die andere Weise also zweifelhaft. Aber das liegt ja an jedem selbst wie man Informationen verarbeitet, es glaubt ja auch kaum jemand das Zitronenfalter, Zitronen falten sondern eine Schmetterlingsart ist.

  • am 18.11.2022 um 08:08 Uhr
    Permalink

    Jede Statistik kann so ausgelegt werden um die Aussage zu erzielen, die ich gerne hätte. Das war das Thema der ersten Lektion in Statistik während des Studiums, die angewendeten Tricks sind hinlänglich bekannt und bei Infosperber gibt es sogar ein recht interessantes Dossier dazu.

    Auf jeden Fall erscheint mir 2022 interessant, dass Statistik die nicht das aussagt, was jemand gerne ausgesagt hätte als falsch oder Voodoo bezeichnet wird. Das ist Polemik und spaltet weiterhin zusätzlich. Denn genau diese Methode wenden alle Seiten an, um die eigene Meinung weiter zu bestärken.

  • am 18.11.2022 um 17:14 Uhr
    Permalink

    Wozu die Aufregung? Jede Generation hat doch Anrecht auf einen Bullshit-Ökonomen. Er ist charaketerisiert durch ein höchst fragwürdiges Ansehen in der eigenen Zunft, hat aber einen unbändigen Geltungsdrang und verlegt sich deshalb in pseudo-wissenschaftlichem Aktivismus auf alle möglichen, jedenfalls disziplinfremde Felder. Manche mögen sich vielleicht noch an Professor Walter Wittmann erinnern (sinnigerweise ist Reiner Eichenberger sein Lehrstuhl-Nachfolger), der auch meinte, sich zu allem und jedem äussern zu müssen. Und nun haben wir halt diesen Reiner Eichenberger. Höchst peinlich schon vor einem Jahr, als er für die SVP die Stadt-Land-Diskussion lancierte, dabei aber ein heilloses Durcheinander von Zahlungs-Inzidenz, Güter-Inzidenz und Nutzen-Inzidenz veranstaltete. Jede Seminararbeit von solcher Qualität wäre vor 30 Jahren hochkant durchgefallen. Dumm nur, dass Eichenberger Dissertationen betreuen darf. Was kommt da noch alles auf uns zu?

  • am 19.11.2022 um 10:09 Uhr
    Permalink

    Es liegt an jedem von uns, ob wir diese These ernst nehmen, oder darüber schmunzeln. Ein Genie ist Herr Eichenberger in jedem Fall, denn er hat mich zum lachen gebracht und dies soll ja gesund sein.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...