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Tamedia-Leser klicken Online-Umfragen an – ein Meinungsforschungsinstitut «modelliert» daraus angeblich repräsentative Ergebnisse. © Esther Diener-Morscher

Online-Befragungen: Viele Klicks für triviale Befunde

Esther Diener-Morscher /  Mit «exklusiven Umfragen» zeigen die Tamedia-Zeitungen, wie viele Schweizer Trump verlogen finden und keinen USA-Trip vorhaben.

Dieses Resultat war den Tamedia-Zeitungen fast eine Seite wert: 59 Prozent der Schweizer würden derzeit nicht in die USA reisen. Noch überraschender eine zweite Erkenntnis, die bereits vier Tage vorher ebenfalls über vier Spalten ausgebreitet wurde: Viele Schweizer finden Donald Trump keinen guten Politiker.

Zustande gekommen sind diese Resultate mit einer Online-Umfrage auf den Newsportalen der Tamedia-Zeitungen und von «20 Minuten». Beantworten konnten die Teilnehmer unter anderem die Frage: Welche drei Eigenschaften beschreiben Trumps Charakter am ehesten?

Resultat überrascht nicht

Gut 35’000 Personen taten mit ihren Klicks ihre Meinung kund. Wenig überraschend ist das Resultat. Trotzdem vermelden die Zeitungen mit akribischer Genauigkeit die Zahlen: Die vier meistgenannten sind «unberechenbar» (57 Prozent), «egozentrisch» (54 Prozent), «verlogen» (46 Prozent) und «antidemokratisch» (43 Prozent).

Umfrage Tamedia Leewas Trump Eigenschaften
Angeblich relevante Resultate einer Online-Umfrage zum Charakter Donald Trumps.

Dieselbe «exklusive Umfrage» nutzten die Tamedia-Zeitungen einige Tage später für die Erkenntnis: «Trump, no thanks: Schweizer Touristen verzichten auf den USA-Trip.» Der US-Präsident mache sein Land als Ferienziel unbeliebt, erklärten die Journalisten ihrem Publikum. Und wieder wurde die banale Aussage mit aufwändigen Grafiken untermauert.

Nur die Leser von Tamedia und «20 Minuten» nehmen teil

Das Umfrage-Insitut Leewas hat in der Schweiz einen neuen Ansatz zur Durchführung von Umfragen eingeführt. Dieser funktioniert so: Das Unternehmen führt keine aufwändigen Telefonumfragen mit Zufallsstichproben durch, sondern macht so genannte design-basierte Umfragen. Die Grundlage sind Gratis-Online-Befragungen, die auf den Newsportalen der Tamedia-Zeitungen und von «20 Minuten» publiziert werden.

Teilnehmen kann, wer will. Danach werden die Daten «modelliert», das heisst, dass Leewas nachträglich die Teilnehmer, die für die Umfrage berücksichtigt werden, so auswählt, dass sie angeblich den geografischen, demografischen und politischen Verhältnissen in der Schweiz entsprechen. Nicht berücksichtigt werden Personen, die sich nicht auf diesen Newsportalen informieren, und alle Personen, die nicht an solchen Online-Umfragen teilnehmen.

Derartige Umfragen dürften wesentlich billiger sein als telefonische Befragungen von ausgewählten Personen. Vor allem, weil die Newsportale mit ihren Online-Umfragen dem Umfrage-Institut schnell und günstig Tausende von Antworten liefern können. Tamedia spricht denn auch von einer Zusammenarbeit und nicht von einem Auftrag an Leewas.

Wie viel solche Umfragen kosten, wollte Tamedia nicht beantworten.

Dabei war schon die Frage hypothetisch: «Würden Sie aktuell aufgrund der Trump-Regierung noch in die USA reisen?» 59 Prozent der Personen, die sich an der Online-Umfrage äusserten, verneinten. Doch das lässt keine Schlüsse zu. Schon gar nicht den, dass Schweizer Touristen auf einen USA-Trip verzichten. Denn die Mehrheit hat mutmasslich ohnehin keine solche Reise geplant.

Umfrage Tamedia Leewas USA-Reisen
59 Prozent der Personen, die an der Umfrage teilnahmen, würden «aktuell aufgrund der Trump-Regierung nicht in die USA reisen». Doch die meisten hatten das wohl sowieso nicht vor.

Infosperber wollte von Tamedia wissen, was die Umfrageergebnisse für einen Informationsnutzen hätten. Dazu antwortete Tamedia: Man sei «von der Relevanz und Aussagekraft der Befragungen überzeugt». Ziel sei es gewesen, detailliert abzubilden, wie sich die Schweizer Bevölkerung zur Politik der neuen US-Regierung unter Donald Trump positioniere.

Vom Umfrageinstitut Leewas wollte Infosperber wissen: Besteht nicht die Gefahr, dass mit der zunehmenden Umfrageflut die Antwortbereitschaft bei einem bestimmten Ausschnitt der Bevölkerung abnimmt und die Verzerrungen des Resultats zunehmen?

Mitgründer Fabio Wasserfallen antwortete: «Wir sehen keine Evidenz für diese Gefahr.»

Abstimmungsresultate: Ziemlich ungenau

Die Umfragen von Leewas zu den eidgenössischen Abstimmungen sind Prognosen mit viel Spielraum: Im Durchschnitt weichen die tatsächlichen Abstimmungsergebnisse um über 8 Prozentpunkte von der letzten Umfrage vor der Abstimmung ab. Leewas prognostiziert für die Tamedia-Zeitungen kaum viel exakter als das Institut GFS für die SRG, das ebenfalls im Schnitt über 8 Prozentpunkte daneben liegt.

Die Abweichungen sind mitunter so gross, dass Leewas – und auch GFS – zum Beispiel für das CO2-Gesetz eine Annahme voraussagten, die Vorlage aber abgelehnt wurde. Noch falscher lag Leewas bei der Vorlage zur Erhöhung der Kinderabzüge bei den Steuern: Das Umfrage-Institut sagte eine Annahme voraus, doch sie wurde sehr deutlich abgelehnt.

Trotzdem behauptet Leewas, dass ihre Umfrage-Methode mit den Online-Befragungen auf den Tamedia-Newsportalen «die Qualität politischer Umfragen nachhaltig verbessert».


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