Sperberauge

Das Spiel mit der Angst vor Terroranschlägen

Sperber Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsKeine. Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker © Bénédicte Sambo

Red. /  «Bedenklich, dass das Risiko eines Terroranschlags nicht mit andern Risiken des Lebens verglichen wird», sagen Psychologen.

Eine von Versicherungen bezahlte Angst-Studie in Deutschland hat ergeben, dass über siebzig Prozent der befragten Personen Angst äussern über Anschläge terroristischer Organisationen. Der Zustrom von Flüchtlingen würde diese Angst verstärken.
Dies sei verständlich, erklären der Psychologe Professor Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, sowie der Statistiker Professor Walter Krämer der Technischen Universität Dortmund.
«Bedenklich» sei es aber, dass Behörden und Medien – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht versuchen, die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags in Relation zu anderen Gefahren des Lebens zu stellen.

  • So sei es in Deutschland in den vergangenen Jahren wahrscheinlicher gewesen, von einem Blitz getroffen als Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden.
  • Selbst in den USA sei es in den meisten Jahren wahrscheinlicher von einem Kleinkind erschossen zu werden, das mit den Waffen der Eltern herumspielt, als durch einen Terroristen.

Mit derartigen Informationen könnte man nicht nur der Angst der Bevölkerung entgegenwirken, sondern auch den Terrorismus entwaffnen. Dessen Ziel sei es ja gerade, Angst zu verbreiten.
Konkret mahnen Gigerenzer und Krämer: «Sollten Sie sich aufgrund der terroristischen Anschläge entschieden haben, dieses Jahr mit dem Auto an die Nord- oder Ostsee oder in die Alpen zu fahren – fahren Sie vorsichtig! Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie dabei einen tödlichen Verkehrsunfall haben, ist um ein Vielfaches höher als in der Türkei oder auf Djerba in Tunesien Opfer eines Terroranschlags zu werden.»

Siehe dazu:
«Unverantwortliche Angstmacherei mit Terror», 23.7.2016


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.

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5 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 16.08.2016 um 11:59 Uhr
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    Die Politik ist nicht verantwortlich dafür, dass ich beim Spaziergang vom Blitz getroffen werde. Beim Terrorismus zum Beispiel in Paris aber ist es nicht ganz dasselbe oder beim Besuch eines Olympia-Meetings. Ich vermute, dass diese Psychologen nie an einer Polizeischule über Grundlagen der Sicherheit gelehrt zu haben scheinen. Auch die Wahrscheinlichkeit, Präsident oder Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden oder zum Beispiel Papst, ist extrem gering, dazu kommt, dass nur wenige Päpste und Präsidenten erschossen werden.Trotzdem wird «hysterisch» viel in die Sicherheit dieser Personen investiert. Ohne politisches Grundwissen sind Statistiker und Psychologen in solchen Fragen wenig kompetente Berater. Die erste Staatsaufgabe überhaupt ist die Sicherheit. Natürlich ist es statistisch nicht erwiesen, dass bei denjenigen, die ihre Wohnung nicht abschliessen, wesentlich mehr eingebrochen wird als bei den anderen. Trotzdem ist es nicht vollständig unvernünftig, die Wohnung im Zweifelsfall zu schliessen. Auch sind einigermassen gründliche Grenzkontrollen für ein Land möglicherweise doch sicherer als keine Grenzkontrollen. Ausserdem brauche ich als Autofahrer auch keine Statistik, dass es, je schneller ich fahre, potentiell doch eher mehr Unfälle gibt als wenn ich langsam fahre, wiewohl das Risiko, von hinten in einen Auffahrunfall verwickelt zu werden, bei Langsamfahrern grösser ist als beim Rasen. Leider habe ich das aber statistisch noch nicht abgeklärt, kann mich irren..

  • am 16.08.2016 um 13:12 Uhr
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    Anders als bei Mord gibt es bei «Terrorismus» keine Menschenrechte, keine Unschuldsvermutung, keinen Prozess. Je barbarischer er erscheint, desto unwidersprochener ist dieser stille Konsens. Die Deutungshoheit darüber, ob aus Mord plötzlich Terror wird, haben die Drahtzieher, deren Trittbrettfahrer und die von ihnen manipulierten Medien. Der selbstherrlich nicht als Mord definierte mythische Terrorismus ist die Lizenz zur Handlungsfreiheit ausserhalb von Ethik und Recht.

    Dieselben unsicheren offenbar permanent verängstigten Menschen, welche Politikern sonst scheinbar kein Wort glauben, glauben ihnen als unter Terror völlig verunsicherte panische Menschen plötzlich alles.

    Unter anderem erzählen uns angebliche Terrorismusexperten immer wieder irgendein Geschwurbel. Kein einziger von ihnen erklärt uns auch nur einmal das Selbstverständliche, nämlich dass von Terrorismus immer sehr sehr viele profitieren, bloss nie die scheinbare Seite der angeblichen Terroristen, und dass Terrorismus deshalb immer unter «falscher Flagge» ausgeführt und auf Sündenböcke abgeschoben wird, zur öffentlichen Durchsetzung eigener Interessen, beispielsweise noch totalitärerer Überwachung der eigenen Bevölkerung oder deren Manipulation in Angriffskriege, gemäss Nürnberger Prinzipien die schwersten Kriegsverbrechen, aus reiner Macht-, Geld- oder Ölgier einer psychopathischen Elite, bis das Gegenteil bewiesen ist.

  • am 16.08.2016 um 17:28 Uhr
    Permalink

    @Meier. Ihre Verunglimpfung von angesehenen Psychologen und Statistikern, denen Sie «fehlendes politisches Grundwissen» attestieren, und denen Sie vorwerfen, dass sie «nie an einer Polizeischule über Grundlagen der Sicherheit gelehrt zu haben scheinen», zielt daneben. Der Psychologe und der Statistiker haben die Politiker nicht für die unterschiedlichen Risiko-Wahrscheinlichkeiten verantwortlich gemacht, wie Sie eingangs behaupten. Sie wünschen nur, dass auch die Politiker über die verschiedenen Risiko-Wahrscheinlichkeiten informieren. Nochmals: Es geht bei obigem Artikel nicht um die Frage, wer wie mit wieviel Aufwand Risiken verringern soll und kann, sondern um die Frage, wie wahrscheinlich ist es, dass wir Opfer eines Terroranschlags, einer Untat eines Verirrten, eines Blitzes oder eines Verkehrsunfalls etc. werden. Es ist irrational, vor einem Terroranschlag viel mehr Angst zu haben als vor einem Verkehrsunfall, weil die Wahrscheinlichkeit, einem Terroranschlag oder einem Psycho-Attentat zum Opfer zu fallen, ungleich kleiner ist. Es ist – vom Todes- und Verletzungsrisiko her, nicht von der Umweltbelastung – irrational, mit dem Auto nach Süditalien in die Ferien zu fahren, anstatt mit dem Flugzeug in die Türkei.
    Ad personam: Die Risiko-Wahrscheinlichkeit, dass Sie Ihre Meinungen sachlich begründen ist erheblich grösser als die Risiko-Wahrscheinlichkeit, dass Sie polemisieren und andern Worte in den Mund legen, die sie nicht gesagt haben :–)).

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 16.08.2016 um 19:06 Uhr
    Permalink

    @Gasche/Binder. Finde Ausführungen von Binder mehr in die Tiefe gehend als zum Beispiel die meinigen. Es mag auch richtig sein, dass ich auch bei anderen Fragen und Erörterungen Thesen von Statistikern und ev. Psychologen ungeduldig und im Endeffekt wie Sie sagen polemisch kommentiert habe, womit man im Einzelfall unter sein Niveau gehen kann. Ihre Erläuterungen, Herr Gasche, sehe ich über die Kritik hinaus als eine methodische Rechtfertigung dafür, warum Sie diese Ausführungen überhaupt gebracht haben.

    Ist es nun aber polemisch, wenn ich die Frage stelle, ob es psychologisch richtig sei, bei Terroranschlägen u. Amokläufen immer gleich mit der Statistik zu kommen? Für die Opfer etwa des Amoklaufes von Sennwald, über welches Thema Infosperber einen Beitrag gebracht hat, den ich nicht kritisiere, wäre es ein sehr schwacher Trost gewesen, dass sie im Zug einer sehr unwahrscheinliche Todesursache zum Opfer gefallen sind.

    Es geht wohl beim Bemühen der Statistik wohl darum, dass jetzt nicht unverhältnismässige Angst vor dem Zugfahren verbreitet wird. Letzteres ist ein legitimes Anliegen. Noch ein Beispiel, das ich in Frageform kleide: Wie wäre es in Norwegen vor ein paar Jahren gewesen, wenn man die Wahrscheinlichkeit, Opfer von übermässigem Cholesteringenuss geworden zu sein in Relation gesetzt hätte zur Wahrscheinlichkeit, von Breivik erschossen zu werden? Mir ist aber klar, dass in jenem Fall auch von Ihnen u. den Experten keine solche Rechnung angestellt worden wäre.

  • am 18.08.2016 um 01:06 Uhr
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    @Meier: »… ob es … richtig sei, bei Terroranschlägen u. Amokläufen immer gleich mit der Statistik zu kommen?»
    Somit haben Sie entweder die Aussage des Artikels nicht verstanden oder versuchen, diese dadurch zu entkräften, indem Sie falsche Assoziationen erzeugen: Die Psychologen haben die statistische Wahrscheinlichkeit bezüglich Terrorgefahr nicht als Beileidsbekundung vorgeschlagen, wie Sie es hier suggerieren, sondern lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass andere Risiken in einer normalen Gesellschaft weit höher sind als jene, Opfer eines Terroranschlages zu werden. Dadurch folgt – und dies schreiben die Autoren – dass Angst vor Terror entkräftet werden kann. Die Angst wohlgemerkt, nicht politische Bemühungen, Terror zu verhindern.
    Die Quintessenz, keine Angst vor Terror zu haben, keinen Polizeistaat aufzubauen, die freie Gesellschaft nicht zu opfern, gilt genauso bezüglich des von Ihnen zitierten Breivik-Attentats.
    (Zum Thema Sicherheit und Politik empfehle ich Ihnen «Who rules the world?» von Noam Chomsky. Wie wenig der Sicherheit der Bevölkerung tatsächlich Beachtung geschenkt wird, ist dort hervorragend beschrieben (Kapitel 13, Whose security? How Washington Protects Itself and the Corporate Sector). )

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