Kommentar

kontertext: Rechtlich an und rhetorisch über der Grenze

Andreas Mauz © zvg

Andreas Mauz /  Das deutsche «Compact»-Magazin ist verfassungsfeindlich, aber nicht verbotswürdig. Überlegungen zum juristischen Tauziehen.

Erst rückblickend wurde mir klar: Ich hatte das Verbot des «Compact»-Magazins viel zu oberflächlich wahrgenommen. Der Beschluss vom 5. Juni 2024 – auf den Weg gebracht von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser – war mir nicht mehr als eine erfreuliche Nebenerscheinung: eine rechte Postille weniger, gut so! Dass das Magazin bereits am 14. August die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erreichte, also weiterhin erscheinen konnte, hatte ich nicht einmal registriert. Erst mit der endgültigen Aufhebung des Verbots vom 24. Juni 2025 war mein Interesse geweckt. Ich wollte genauer verstehen: Was hat es mit dem «Compact»-Magazin und dem gescheiterten Versuch seines Verbots auf sich? Ob ich mich über den Richtspruch empören oder freuen soll, ist mir nach wie vor unklar. Klar ist aber: Der Fall gibt zu denken.

Stramm rechts

Das monatlich erscheinende «Magazin für Souveränität» (so der Untertitel) ist nur eines der Standbeine des von Jürgen und Stefanie Elsässer geleiteten Medienunternehmens. «Compact» unterhält auch einen erfolgreichen Youtube-Kanal (aktuell 537’000 Abonnent:innen); die Gruppe lanciert Kampagnen, aus Anlass des Wahljahres 2024 etwa eine Deutschland-Tour zugunsten der AfD; sie vergibt den Preis «Held der Freiheit», 2019 etwa an den Rechtsrapper Chris Ares.

Das 2010 gegründete Magazin hat eine Verkaufsauflage von 40’000 Exemplaren, mit dem Online-Angebot – unter anderem einer täglichen Nachrichtensendung – erreichen die Elsässers und ihre Mitstreiter:innen aber deutlich mehr Menschen. Damit gehört «Compact» zu den prominentesten Medienkanälen des rechtspopulären oder vielmehr rechtsextremen Spektrums Deutschlands: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat das Magazin im Dezember 2021 «gesichert» als «extremistisch» eingestuft. Es trage nationalistische und minderheitenfeindliche Positionen in die Öffentlichkeit, es verbreite Verschwörungstheorien und betreibe Geschichtsrevisionismus. 

«Ein grosser Sieg für das Volk»

Nancy Faesers «Bundesministerium des Inneren und» (wie es seit 2021 gewöhnungsbedürftig heisst) «für Heimat» hatte sich für den Schlag gegen die Compact-Magazin GmbH und ihre Ableger auf Artikel 9 des deutschen Grundgesetzes (GG) bzw. Artikel 3 des Vereinsgesetzes berufen: Die Compact-Gruppe habe das Recht zur Vereinsaktivität verwirkt, weil sie sich gegen die verfassungsmässige Ordnung richte. Sie sei zu verbieten und aufzulösen.

Und danach sah es im Sommer 2024 auch aus: In mehreren Bundesländern wurden Razzien gegen die Gruppe durchgeführt. Aber nur für einen kurzen Moment: Nachdem «Compact» unter Berufung auf die Meinungs- und Pressefreiheit (Grundgesetz Artikel 5 Abs. 1) einen vorläufigen Erfolg feiern konnte, wurde der Gruppe im Juni nun auch im «Hauptsacheverfahren» Recht gegeben. Damit ist das Verbot endgültig vom Tisch, das Bundesverwaltungsgericht (BVG) ist in Sachen Vereinsverbot die erste wie die letzte Instanz. Entsprechend Chefredakteur Elsässer im Editorial des Juli-Hefts:

«Unser Erfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht ist ein grosser Sieg für die Pressefreiheit, für die Demokratie und für das Volk. Die ansteigende Unterdrückung der Opposition kommt ins Stocken. COMPACT ist der Fels, an dem sich die Brandung bricht. […] Die Richter am Bundesverwaltungsgericht haben eine entfesselte Exekutive gestoppt. Das zeigt, dass der Machtapparat noch nicht komplett faschisiert ist.» (1)

Jürgen und Stephanie Elsässer
Jürgen und Stephanie Elsässer an einer Veranstaltung im Jahr 2024.

Meinungsfreiheit selbst für die Feinde der Freiheit

Dem Entscheid des Verwaltungsgerichts – mehrheitlich begrüsst, nicht nur von rechts – liegen die folgenden Einschätzungen zugrunde: Der «Elsässer-Kreis» vertrete fraglos eine verfassungsfeindliche Haltung, er unterstütze insbesondere das «Remigrationskonzept» der «Identitären Bewegung», dessen Vordenker Martin Sellner allmonatlich mit einer Kolumne im Magazin vertreten ist. (2) «Compact» verbreite also die Idee einer schützenswerten «ethnokulturellen Identität», die Menschen mit Migrationsgeschichten – auch deutsche Staatsbürger:innen – zu Menschen zweiter Klasse machten. Diese Auffassungen stünden offensichtlich im Widerspruch zur verfassungsmässig gesicherten Menschenwürde wie zum egalitären Verständnis der Staatszugehörigkeit. Sie stellten zwar keine Straftat dar, könnten aber aufgrund der gegebenen organisatorischen Struktur dennoch ein Vereinsverbot nach sich ziehen.

Mit Blick auf die fundamentalen Rechtsgüter der Meinungs- und Pressefreiheit hat das Verwaltungsgericht jedoch anders entschieden: Die verfassungswidrigen Positionen gelten ihm «noch» als zu schwach. Denn: «Ein Vereinsverbot [setzt] mit der Voraussetzung des Sichrichtens erst an der geplanten Umsetzung der durch die Meinungsfreiheit geschützten verfassungswidrigen Vorstellungen in kämpferisch-aggressiver Weise an; Art. 9 Abs. 2 GG ist kein Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot.» Im Zusammenhang lautet die Begründung des BVG dann folgendermassen:

«Das Grundgesetz garantiert […] im Vertrauen auf die Kraft der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung selbst den Feinden der Freiheit die Meinungs- und Pressefreiheit. Es vertraut mit der Vereinigungsfreiheit grundsätzlich auf die freie gesellschaftliche Gruppenbildung und die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs. Deshalb ist ein Vereinsverbot mit Blick auf das gesamte Staatshandeln steuernde Prinzip der Verhältnismässigkeit nur gerechtfertigt, wenn sich die verfassungswidrigen Aktivitäten für die Vereinigung als prägend erweisen. In der Gesamtwürdigung erreichen die verbotsrelevanten Äusserungen und Aktivitäten noch nicht die Schwelle der Prägung.»

Wo liegt die «Schwelle der Prägung»?

Dieser Entscheid führt einmal mehr vor Augen: Dass Meinungsfreiheit herrscht, merkt man vor allem dann, wenn sie weh tut, wenn nämlich straflos Meinungen vertreten werden, die man selbst zu sanktionieren bereit wäre. Eine menschenverachtende Haltung steht für mich klar ausserhalb dessen, was das formale Wertprädikat einer «Meinung» und den entsprechenden Freiheitsschutz verdient. Hier sollte man eher von Hassrede sprechen, und sie hat ebenso wenig Platz im demokratiekonstitutiven Meinungsspektrum wie Geschichtsrevisionismus.

Dieses Leiden an der Meinungsfreiheit lässt auch den Laien nach der juristischen Praxis fragen, durch die sie zur Geltung gebracht wird: Was ist das Kriterium, um begründet diesem oder jenem Rechtsgut (eben: GG Art. 9, Abs. 2 oder Art. 5, Abs. 1) den Vorzug zu geben? In Ableitung vom juristischen Prinzip der Verhältnismässigkeit haben sich die Leipziger Richter an einer «Schwelle der Prägung» orientiert: einem Grenzwert, an dem noch legitime verfassungsfeindliche Auffassungen und (Presse)-Aktivitäten ins Illegitime umschlagen. Wo diese Schwelle liegt und wie die Aktivitäten eines Akteurs an ihr gemessen werden, geht aus der Pressemeldung im Einzelnen natürlich nicht hervor. Dass «Compact» nach Auffassung des Gerichts unterhalb des kritischen Werts bleibt, dokumentieren aber Formulierungen wie die folgende:

«Eine Vielzahl der von der Beklagten als Beleg für den Verbotsgrund angeführten migrationskritischen bzw. migrationsfeindlichen Äusserungen lässt sich […] auch als überspitzte, aber letztlich im Lichte der Kommunikationsgrundrechte zulässige Kritik an der Migrationspolitik deuten.»

Ja, sie lässt sich so deuten. Aber würde ich sie, wäre ich Richter, so deuten wollen? Denn nach der Lektüre einiger «Compact»-Hefte lässt mich ein solcher Satz schon fragen: Wie sähe eigentlich eine «migrationskritische bzw. migrationsfeindliche Äusserung» aus, die den grosszügig gewährten Spielraum der Überspitztheit verlässt? Wie könnte sie an diesem hyperflexibel anmutenden Kriterium scheitern und als unzulässig aussortiert werden? 

«Überspitzte» Rhetorik

Die juristische Bearbeitung und Urteilsbildung in Sachen «Compact» ist nun vorderhand vom Tisch. Nicht vom Tisch ist aber die auch zivilgesellschaftliche Aufgabe, «Compact» und Co. im Blick zu behalten. Was in meinem Fall heisst: Ich nehme die Zumutung der Lektüre weiterhin an und betreibe Sprachanalyse. Ich lese:

«Mit steigenden Temperaturen ändern sich die Mordmethoden. Im Winter brettert man gerne im gut beheizten Auto durch Weihnachtsmärkte, im Sommer sitzt das Messer griffbereit im Hosenbund. Das Blut spritzt, so oder so. Merkel, Scholz, Merz – ganz egal, wer an der Spitze steht. Niemand steht dem deutschen Volk auf seinem Golgathaweg zur Seite. Niemand lässt sich blicken, wenn die Opfer zu Grabe getragen werden.» (3)

Ist das noch «überspitzt»? Jürgen Elsässer setzte in seiner linken Vergangenheit auf einen offensiven journalistischen Stil, und das tut er in seiner ultrarechten Gegenwart noch immer. Er sucht starke Effekte und befeuert starke Affekte. Im Dienst seiner politischen Agenda formuliert er rhetorisch routinierte Sätze von abscheulicher Präzision. Durch ein zynisches «man» weckt er die Vorstellung unzähliger Amokfahrten; er setzt auf Drastik («Das Blut spritzt, so oder so»), auf Verallgemeinerung («ganz egal, wer an der Spitze steht») und kontrafaktische Überzeichnung («Niemand … Niemand»). Damit werden unmissverständlich Fronten eingeschärft: da «die» mit ihren Autos und ihren griffbereiten Messern, hier «wir», das «deutsche Volk». Wenn Elsässer dieses Volk allein «auf seinem Golgathaweg» sieht, weckt er wiederum mit minimalem Aufwand maximale Assoziationen. Diesmal heroisch-religiöse: Das Volk mag leiden, aber es wird das Leiden christusgleich überwinden und alle erlösen. Auch solche subtile politische Theologie gehört ins Programm der «Compact»-Gruppe, die – kriminalisiert oder nicht – aufmerksam begleitet sein will.

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1) Jürgen Elsässer, Freiheit oder Kriegsrecht, in: Compact. Magazin für Souveränität, 7.2025, S. 3.
2) Der vollständige Wortlaut des Urteils ist derzeit noch nicht zugänglich. Die folgenden Zitate stammen aus der ausführlichen Pressemitteilung des BVG vom 24.6.2025
3) Jürgen Elsässer, Ein mörderischer Sommer, Compact. Magazin für Souveränität, 6.2025, S. 3.


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