Kommentar

kontertext: Nun auch «Musik unserer Zeit»

Felix Schneider © zvg

Felix Schneider /  Eine weitere Streichung im Programm von SRF 2 Kultur wirft die Frage auf: Begeht die SRG eigentlich Suizid?

Eine Hörerin brachte es an den Tag: Die wöchentliche Mittwoch-Abend-Sendung «Musik unserer Zeit» auf SRF 2 Kultur, die sich der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts widmet, fällt dem Rotstift zum Opfer. Die Pianistin Simone Keller schrieb in ihrem klugen Facebook-Post vom 8. November unter anderem: 

«(…) ‹Musik unserer Zeit› war mehr als eine Radiosendung. Es war ein Resonanzraum für künstlerisches Denken, ein Ort, an dem sich Klang und Reflexion begegneten, an dem Diskurse geführt wurden, die über die Musik hinauswiesen (…) Wenn Kulturangebote zunehmend nach ihrer Quote bewertet werden und danach, wie viele Menschen sie in einem bestimmten Moment erreichen, verschiebt sich der Massstab von Qualität zu Quantität. Doch künstlerische Relevanz lässt sich nicht in Zahlen messen. (…) Wenn Medien beginnen, nur noch das zu fördern, was sofort verstanden, konsumiert oder «geklickt» wird, verlieren wir diese Erfahrungsräume der Differenz.»

Der Kulturauftrag

SRF hat die Streichungsabsicht unterdessen eingeräumt und vor allem mit dem Rückgang der Hörerzahlen begründet. In seinem lesenswerten Kommentar «Quotendruck statt Kulturauftrag» (NZZ vom 17.11.25) weist der Musikkritiker Christian Wildhagen darauf hin, dass SRF das Ausmass der Publikums-Einbussen dieser Sendung und die möglichen Gründe dafür – vielleicht zum Beispiel die UKW-Abschaltung? – im Dunkeln lasse. Das unglaubwürdige Versprechen der Verantwortlichen, anspruchsvolle Gegenwartsmusik künftig vermehrt im übrigen Programm zu platzieren, kommentiert Wildhagen mit ironischem Unterton: «Im Hinblick auf die zunehmend rückwärtsgewandte Werkauswahl bei den meisten Klassik-Sendern wäre das (…) geradezu eine Programmrevolution.»

War das klug?

Vor siebeneinhalb Jahren wurde die No-Billag-Initiative mit 71,6 Prozent in einer Volksabstimmung abgelehnt. Die Kulturschaffenden und die Kulturlobby hatten an diesem Erfolg wesentlichen Anteil. Ihr Enthusiasmus ist seither abgeflaut. Im Oktober dieses Jahres ergab eine Umfrage, dass eine Mehrheit von Stimmberechtigten zur SVP-Halbierungsinitiative «200 Franken sind genug», die im März vors Volk kommt, «ja» sagt oder «eher ja». Sicher, die Situation der öffentlich-rechtlichen Medien hat sich in vielen westlichen Demokratien verschlechtert. Aber ein paar Fragen zu möglichen hausgemachten Ursachen sind dennoch dringlich. War es klug, kurz vor der Abstimmung

  • den Wissenschaftsinteressierten das Wissenschaftsmagazin wegzunehmen?
  • Im Kulturradio die Hintergrundsendungen «Kontext», «Trend», «Passage» ebenso wie das Montags-Hörspiel zu streichen? 
  • den UKW-Empfang abzustellen?
  • den zeitversetzten Fernsehempfang nur noch gegen Gebühren werbefrei zu belassen?

Ja, die SRG muss sparen. Die kommerziellen Einnahmen sind rückläufig, der Teuerungsausgleich auf die Medienabgabe ist reduziert worden, die Kosten steigen, Bundesrat Rösti setzt seine Gebührenreduktion mit einer undemokratischen Verordnung durch. 

Ja. Aber. In ihrer Mitteilung vom 6. 2. 25 schreibt die Medienstelle von SRF: 

«Im Radio nimmt SRF in den kommenden Monaten ebenfalls verschiedene Veränderungen im Angebot vor. Insbesondere werden längere Wortinhalte durch kürzere Beiträge ersetzt. Dies entspricht vermehrt den Nutzungsgewohnheiten des Radiopublikums und stärkt die Sender in ihrem Programmablauf.» In der Umsetzung des Sparimperativs stecken kultur-, geist- und aufklärungsfeindliche Strategien. 

Was verteidigen wir?

Ehemalige und jetzige SRG-Kadermitglieder sowie manche Politiker und Journalistinnen denken, dass jede öffentliche Kritik an der SRG bis zur Abstimmung über die Halbierungsinitiative schädlich sei. Die Kundgebungen, die es Anfang Jahr in Basel vor dem Radiostudio gegen die Streichung des Wissenschaftsmagazins gab, halten sie für verfehlt. Man hätte in Bern gegen Rösti demonstrieren sollen, sagen sie. Viele unterstützen auch den Schmusekurs der SRG mit Privaten. In ihrer Übereinkunft mit dem Verlegerverband hat die SRG den Privaten weitgehende Konzessionen gemacht. Viele Freunde der SRG vertreten einen nationalen Schulterschluss: Öffentliche und private Medien in der Schweiz müssten zusammenhalten, so heisst es, sonst würden sie von ausländischen Giganten, insbesondere von den Tech-Plattformen und Streaming-Diensten, geschluckt oder diese nähmen ihnen wenigstens die Werbung weg. Die Initiative «Pro Medienvielfalt» hat als Hauptparole ausgegeben: «Für unabhängige Medien». Nun beanspruchen selbstredend auch die NZZ oder der Tagesanzeiger für sich, unabhängig zu sein. Vergeblich sucht man im Argumentarium von «Pro Medienvielfalt» ein Plädoyer für ein anspruchsvolles Kulturprogramm oder eine Referenz auf die Aufklärung. Langsam aber sicher verschwimmt und verschwindet, worum es eigentlich geht. 

Keine Privatisierung der Öffentlichkeit!

Es geht um die Rettung der öffentlichen oder öffentlich-rechtlichen Medien gegen die Privatisierung der Öffentlichkeit, wie sie von rechts angestrebt wird. Kritik an der SRG oder an einzelnen ihrer Produkte lässt sich nicht verbieten, denn sie ist die Folge realer Erfahrungen. Und Verzicht auf sie macht die Gegner der Halbierungsinitiative zumindest im kulturaffinen Milieu weder glaubwürdiger noch beliebter. Man könnte sogar sagen, sie gehöre ganz wesentlich zum öffentlichen Raum, den wir doch verteidigen wollen, und sie hat bei öffentlichen Medienunternehmen mindestens eine Chance auf Wirkung, während ein Privatunternehmer sich naturgemäss von Kritik nicht beeindrucken lassen muss. 

Bei den Öffentlich-Rechtlichen und bei der Abstimmung über die Halbierungsinitiative geht es um etwas sehr Grosses, das jenseits der Unzulänglichkeiten der SRG liegt. Was die BBC für die Welt, ist die SRG für die Schweiz. Oder sie sollten es jedenfalls sein: Ein von den hochkonzentrierten, vermachteten, geradezu diktatorischen Märkten so weit wie möglich unabhängiger Service an der Demokratie. Die SRG muss kritisiert und die Halbierungsinitiative muss abgelehnt werden! 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur, greift Beiträge aus Medien kritisch auf und pflegt die Kunst des Essays. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.

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