Keine Klicks, keine User
Red. Dieser Artikel ist eine leicht veränderte Version der Erstveröffentlichung im Schweizer Medienmagazin «Edito».
In den letzten zwölf Monaten haben 33 der 50 grössten englischsprachigen News-Seiten massiv an Traffic verloren. In den USA büsste «Forbes» verglichen mit dem Vorjahr 55 Prozent ein, «Business Insider» verlor 38 Prozent und die «Washington Post» verzeichnete einen Rückgang von 33 Prozent.
Das Phänomen zeigt sich auch in Europa: Auch die englischen Zeitungen «Independent» (–27 Prozent), «Mirror» (–27 Prozent) und «Daily Mail» (–23 Prozent) haben Leserinnen und Leser eingebüsst. Das zeigen Daten vom September 2025, die das britische Medienmagazin «Press Gazette» zusammengetragen hat und auf seiner Website monatlich aktualisiert.
Darum bricht der Traffic ein
Die Ursachen für den globalen Traffic-Einbruch liegen primär bei Google. Der Konzern tut alles dafür, dass Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr klicken müssen. Zuerst lieferte die «Übersicht mit KI» oberhalb der Suchresultate eine pfannenfertige Antwort statt einer Linkliste. Neu trägt der KI-Modus auch hierzulande Informationen von mehreren Websites zusammen, ohne dass diese je besucht werden müssen.
«Zeroclick» nennt sich das Phänomen, wenn Userinnen und User die angezeigten Informationen nur noch konsumieren, aber keinen Link mehr anklicken und keine Websites von Medienhäusern (oder Unternehmen und Onlineshops) mehr besuchen. Problematisch ist das insbesondere für werbefinanzierte Onlinemedien, weil weniger Traffic automatisch weniger Werbeeinnahmen bedeutet.
«Das könnte das Modell der Zukunft sein: Weg vom Algorithmus, hin zur Beziehung. Mit ‹Vertrauen› als neuer Währung.»
Reto Vogt
Bei Schweizer oder deutschsprachigen Medien ist der Rückgang noch nicht so dramatisch wie im angelsächsischen Raum. Warum? Die KI-Funktionen gibts hierzulande noch weniger lang. Die «Übersicht mit KI» steht in den USA seit Mai 2024 und in England seit August 2024 bereit, in der Schweiz erst seit März 2025. Und der KI-Modus wurde jenseits des Atlantiks sowie in Grossbritannien im März 2025 lanciert, hierzulande gibt es ihn erst seit Anfang Oktober 2025.
Brechen die Zahlen bald auch in der Schweiz ein?
Englischsprachige Medien haben also rund ein halbes Jahr Vorsprung, was die Erfahrung mit Googles-KI-Funktionen angeht. Die sinkenden Zahlen zeigen, wohin die Entwicklung des Traffics von Google bei Schweizer Medienhäusern gehen wird: rapide nach unten. Noch stehen hiesige Verlage am Anfang dieser Entwicklung. Aber was bei amerikanischen und britischen Medien bereits Realität ist, wird hierzulande in den kommenden Monaten spürbar werden.
Leo Helfenberger, Mitglied der Chefredaktion bei Watson und Leiter Search Engine Optimization (SEO), bestätigt, dass sich der «Traffic-Rückgang bislang in Grenzen hält». Aber der «Traffic ist früher oder später weg». Insbesondere längerfristig funktionierende Themen habe er abgeschrieben, so Helfenberger. Zum Beispiel würden Filmklassiker heute nicht mehr gegoogelt, sondern mit KI erfragt.
Das Ende des Google-Modells
«Wir wissen, dass das Google-Modell ein Ablaufdatum hat», sagt Flavio Razzino, Head of Digital bei Ringier Medien Schweiz. «Entsprechend lassen wir dies stets in unsere strategischen Überlegungen einfliessen und haben die letzten Jahre stark in die Diversifizierung unseres Traffics investiert, um die Abhängigkeit von externen Traffic-Quellen zu reduzieren.» Beim «Blick» habe man den Vorteil, dass der Google-Traffic ohnehin sehr tief sei. «Rund 70 Prozent unserer Leserinnen und Leser kommen entweder direkt oder via andere Quellen als SEO zu uns», sagt Razzino. «Generische Inhalte werden zunehmend von AI produziert, weshalb wir darauf verzichten, solche zu produzieren und zu publizieren. Wir müssen stattdessen einen Mehrwert und damit Dringlichkeit bieten.»
Beim «Tages-Anzeiger» klingt es optimistischer. Tina Huber ist Distribution Manager am Newsdesk Zürich und stellvertretende Leiterin des Digital Desk bei Tamedia. Zwar hätte man im Sommer einen starken Traffic-Einbruch erlebt, aber «wegen eines Updates beim Google-Algorithmus und nicht wegen KI», so Huber. Doch dank der Aufstockung von Ressourcen am Desk habe man diesen Rückgang nicht nur aufholen können, sondern sogar noch an «Google-Traffic zugelegt».
Google Discover ist wichtiger Traffic-Lieferant
Tina Huber und Flavio Razzino betonen die Wichtigkeit von Google Discover. Der Newsdienst schlägt Nutzerinnen und Nutzern auf ihren Mobilgeräten Artikel vor, die zu ihren Interessen passen sollen. Der Dienst sei ein wichtiger Traffic-Bringer, der vorderhand an Bedeutung gewinnen könnte, sagen beide. So wichtig sogar, dass Tamedia-Redaktorinnen und -Redaktoren gezielt Artikel schreiben, die das Potenzial haben, dort zu erscheinen, erklärt Tina Huber.
Helfenberger und Razzino betonen beide, dass dies bei ihnen nicht der Fall sei. «Wir haben nie Artikel gezielt für Google geschrieben», sagt etwa Helfenberger. Razzino betont, dass man sich intern nicht allein aufgrund von Google-Trends für oder gegen eine Geschichte entscheidet. Und auch «Agenda-Geschichten wie etwa zu Halloween machen wir nicht nur allein für Google». Das bringe zu wenig.
Der Ausweg: Eigene Kanäle und Leserbindung
Es brauche zwar weiterhin Reichweite, sagt Leo Helfenberger von Watson. Aber «wir müssen unsere Strategie künftig auf die loyalen Userinnen und User ausrichten». Und solange via Google noch Menschen auf die Watson-Website gelangen, sei es zentral, diese zu loyalen Leserinnen und Lesern zu konvertieren. Darüber hinaus beschäftigt ihn die Optimierung der Watson-Website für künstliche Intelligenz. «Für uns ist es das Beste, uns komplett für die KI-Welt zu öffnen.» Das sei zwar eine emotionale Diskussion, so Helfenberger, aber laut ihm «gibt es keinen anderen Weg». Doch eine letzte Frage bleibt offen: Wie bringen Medien die schwierigsten, wichtigsten Geschichten zu den Userinnen und Usern? Wo ist der Trigger, damit die Storys gelesen und je nach Geschäftsmodell sogar ein Digitalabonnement gelöst wird? Flavio Razzino sagt dazu: «Indem wir es uns nicht einfach machen. Je konkreter und lesernaher eine Geschichte erzählt werden kann, desto besser die Quote.»
Vertrauen als neue Währung
Reicht das? Der Blick auf die Zahlen aus Übersee lässt wenig Hoffnung – einerseits. Andererseits gibt es auch klare Gewinner: Die Plattform Substack hat verglichen mit dem Vorjahr um 56 Prozent zugelegt – mehr als dreimal so viel wie jede andere Medienwebsite. Was macht Substack anders? Die Plattform setzt wie ihre Konkurrenten Ghost oder Beehiiv auf Newsletter und auf den direkten Kontakt zwischen Autor:innen und Leser:innen. Es entscheidet kein Algorithmus, wer was zu sehen bekommt. Und Google hat nichts zu melden bei der Frage, ob ein Artikel Traffic bekommt oder nicht. Stattdessen sind andere Aspekte wichtig: Beziehung, Vertrauen und Loyalität.
Auf diesen Plattformen bauen Autorinnen und Autoren eigene Communities auf. Menschen abonnieren Newsletter, weil sie die Absender kennen, weil sie der Qualität vertrauen, weil sie nah dran sein wollen. Und viele sind bereit zu zahlen – für Inhalte, die sie direkt und ohne Umweg über Plattformen erreichen.
Das könnte das Modell der Zukunft sein: Weg vom Algorithmus, hin zur Beziehung. Mit «Vertrauen» als neuer Währung.
Reto Vogt ist Studienleiter Digitale Medien und KI am MAZ und freier Journalist. maz.ch, retovogt.ch
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.










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