Die «Sonntags-Zeitung» bastelt sich eine fette Schlagzeile
Mit einer wahren Schocknachricht für Berner, Solothurner und Aargauer wartete die «Sonntags-Zeitung» auf: «Der gefährlichste Fluss der Schweiz», lautete der Titel auf Seite 1. Und darunter: «In der Aare ertrinken so viele Menschen wie in Rhein, Rhone und Limmat zusammen.»
Andere Medien verbreiteten die Schlagzeile weiter – darunter «20 Minuten», «Tele M1» oder die «Solothurner Zeitung».
Doch die Vergleiche der «Sonntags-Zeitung» sind unsinnig. Es ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Denn die Aare ist viel länger als die meisten anderen Flüsse. Sie ist über weite Strecken zum Baden geeignet. Kurz: In der Aare baden viel mehr Leute als in jedem anderen Schweizer Fluss. Rechnen wir:
Laut der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) sind von 2012 bis 2024 insgesamt 71 Menschen in der Aare ertrunken. Die Aare ist 288 Kilometer lang. Macht 0,25 Ertrunkene pro Kilometer.
Im gleichen Zeitraum sind 25 Menschen in der Limmat ertrunken. Die Limmat ist bloss 36 Kilometer lang. Macht 0,69 Ertrunkene pro Kilometer.
Die «Sonntags-Zeitung» muss in einem ihrer drei Artikel denn auch zugeben: «Gemessen an den reinen Flusskilometern sterben mehr Menschen in der viel kürzeren Limmat.»
Doch wie hiess nochmal die Schlagzeile auf der Titelseite? Genau: «In der Aare ertrinken so viele Menschen wie in Rhein, Rhone und Limmat zusammen.»
Als Leser fragt man sich: Wie ist das jetzt? Ist die Aare der gefährlichste Fluss der Schweiz? Oder die Limmat? Und weiter: Ist die Limmat besonders tückisch? Oder sind die Leute an der Limmat schlechte Schwimmer? Überschätzen sie sich? Doch darauf hat die «Sonntags-Zeitung» keine Antworten.
In unserer Rechnung (Todesfälle pro Kilometer) ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass die Aare in und um Bern das eigentliche Flussschwimm-Mekka der Schweiz ist. Dass wahrscheinlich mehr Menschen pro Kilometer in der Aare schwimmen als in der Limmat. Und dies erst recht, seitdem nach Corona auch die Romands die Aare in Bern für sich entdeckt haben.
Angebliche Badeunfälle
Eigentlich geht es in den Artikeln der «Sonntags-Zeitung» um Badeunfälle. Doch plötzlich vermischt sie Badeunfälle mit anderen Ertrinkungsunfällen. So hat sie mit Daten der SLRG eine Karte erstellt, die zeigt, wo die Unfälle passiert sind. Darauf sind alle möglichen Unfälle verzeichnet. Nur drei Beispiele:
- «Eine 86-jährige Frau stürzt beim Spazieren in die Aare und stirbt.»
- «Ein Jogger stürzt in die Aare und ertrinkt.»
- «Ein Mann kommt mit dem Auto von der Strasse ab und landet im Fluss.»
Mit Badeunfällen haben diese Fälle nicht das Geringste zu tun. Die aufwendig gestaltete Karte ist wertlos.
Junge Männer ertrinken angeblich doppelt so häufig
Mit einer statistischen Tabelle wollen die «Sonntags-Zeitungs»-Journalisten auch zeigen, dass «junge Männer» die «Risikogruppe» seien.

Die Grafik zeigt ein eindrückliches Bild: Die Zahl der Ertrunkenen in der Schweiz war von 2012 bis 2024 bei den 20- bis 29-Jährigen mit Abstand am höchsten. Doch eigentlich hätte die «Sonntags-Zeitung» auch berücksichtigen müssen, wie gross die einzelnen Bevölkerungsgruppen sind.
Vergleichen wir die Gruppen der 20- bis 29-jährigen Männer mit derjenigen der 70- bis 79-jährigen. Von den jüngeren gibt es in der Schweiz 540’000, von den älteren bloss 360’000.
Einer australischen Studie zufolge schwimmen von den jüngeren etwa 37 Prozent. Das sind dann 200’000 jüngere Männer. Von den älteren schwimmen nur noch 14 Prozent. Das sind dann noch 50’000. Das heisst:
- Von den jüngeren Schwimmern ertranken zwischen 2012 und 2024 «nur» 50 von 100’000.
- Bei den älteren Schwimmern ertranken jedoch 108 von 100’000.
Hätte die «Sonntags-Zeitung» die Bevölkerungsstruktur und die Schwimmhäufigkeit berücksichtigt – wie es seriöse Statistiker tun –, dann hätte die Grafik ganz anders ausgesehen. Sie hätte das Gegenteil gezeigt: dass nämlich nicht die Jungen die Risikogruppe sind, sondern die Alten.
Gründe dafür sind laut der australischen Studie abnehmende Schwimmfähigkeiten, reduzierte Ausdauer, chronische Erkrankungen, eingeschränkte Beweglichkeit, negative Wirkung von Medikamenten, Überschätzung der Fähigkeiten und medizinische Notfälle.
Falls der «Sonntags-Zeitung» die Ideen für sommerliche Schlagzeilen ausgehen sollten – Infosperber hätte noch ein paar Vorschläge:
- «Die gefährlichsten Radwege der Schweiz: Auf Berner Radwegen kommt es zu doppelt so vielen Unfällen wie auf Radwegen im Kanton Appenzell Ausserrhoden.»
- «Die Gefahr im Pfadilager: Es verunfallen viel mehr Kinder und Jugendliche als Erwachsene.»
- «Gefährlicher Boxsport: Es sterben deutlich mehr Männer als Frauen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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