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Schelten – die Elektroauto-Hochburg der Schweiz? © SRF

Datenjournalismus führt oft in die Irre

Marco Diener /  Wo ist das Wandern besonders gefährlich? Wo hat es am meisten E-Autos? Antworten liefert der Datenjournalismus. Oder auch nicht.

«Wo und wie Wanderer sterben: Eine Datenanalyse zeigt, in welchen Regionen die meisten Ausflügler zu Tode kommen.» So kündigte die «Sonntags-Zeitung» kürzlich eine beinahe doppelseitige «exklusive Datenanalyse» an. Einer Grafik konnten die Leser dann entnehmen, dass in der Zentralschweiz von 2010 bis 2014 fast drei Mal so viele Wanderer ums Leben kamen wie im Jura (Bezahlschranke).

Screenshot 2025-09-08 at 14-29-49 Wandern Schweiz Exklusive Datenanalyse zu tödlichen Unfällen Tages-Anzeiger
Am wenigsten tödliche Wanderunfälle gibt’s im Jura

Dazu hätte es allerdings keiner grossen Datenanalyse bedurft. Dass in der Zentralschweiz mehr Wanderer umkommen als im Jura, hat naheliegende Gründe. In der Zentralschweiz sind die Wanderwege schwieriger. Die vielen Bergbahnen ermöglichen es auch Ungeübten, in die Höhe zu kommen. Und vor allem hat es in der Zentralschweiz viel mehr Wanderer als im Jura.

Die Datenanalyse brachte zwar keine neuen Erkenntnisse. Aber immerhin war sie nicht irreführend. Ganz im Gegensatz zu den nun folgenden Beispielen.

«Der gefährlichste Fluss der Schweiz»

Bereits im Sommer hatte die «Sonntags-Zeitung» eine grosse Datenanalyse gemacht. An deren Ende stand die Schlagzeile: Die Aare sei «der gefährlichste Fluss der Schweiz». Die Datenanalyse führte wohl zu falschen Schlüssen. Infosperber kritisierte das damals.

Denn nicht berücksichtigt war damals: dass die Aare viel länger ist als die meisten anderen Flüsse. Dass sie im Gegensatz zu anderen Fliessgewässern über weite Strecken zum Baden geeignet ist. Und dass deshalb mehr Leute in der Aare baden als in jedem anderen Schweizer Fluss.

Doch es geht noch schlimmer mit den Datenanalysen.

«Am meisten Elektroautos»

Die Tamedia-Zeitungen ermittelten vor bald zwei Jahren, «wo es in der Schweiz am meisten Elektroautos gibt» (Bezahlschranke). Dabei bedienten sie sich der Daten der Bundesämter für Statistik (BFS), für Strassen (Astra) und für Energie (BFE). Zudem stellten sie eigene Berechnungen an.

Das Ergebnis: Am höchsten war der Elektroauto-Anteil in Chêne-Pâquier VD mit 13,3 Prozent, gefolgt von Schelten BE mit 11,1 und Bannwil BE mit 11,0 Prozent.

Warum lagen ausgerechnet diese Gemeinden vorne? Sind die Autobesitzer besonders fortschrittlich? Besonders umweltbewusst? Oder gibt es andere Gründe?

Die «Berner Zeitung» behauptete: «Je reicher jemand ist, desto eher ist sie oder er bereit, ein Elektroauto zu kaufen.» Je höher der Anteil an E-Autos in einer Region sei, umso höher sei dort auch das durchschnittliche Einkommen.

Elektroauto-Boom in Schelten

Stimmt das wirklich? Nehmen wir das Beispiel von Schelten. Schelten ist die nördlichste Gemeinde des Kantons Bern. Sie grenzt an die Kantone Solothurn und Jura. Keine zwei Jahre vor der Tamedia-Untersuchung hatte «Watson» eigene Zahlen veröffentlicht. Schelten lag damals auf Platz 2145 – also auf dem letzten Platz aller Schweizer Gemeinden. Der Elektroauto-Anteil lag bei 0 Prozent.

Und dann dieser plötzliche Elektroauto-Boom! Gibt es dafür eine Erklärung? Natürlich gibt es eine – wenn man statt der Prozentzahlen die absoluten Zahlen anschaut. Schelten hat bloss 34 Einwohner. Es ist – zusammen mit Rebévelier – die kleinste Gemeinde des Kantons Bern.

Als «Watson» den Elektroauto-Anteil berechnete, waren in Schelten 20 Autos gemeldet. Keines hatte einen Elektromotor. Als die Tamedia-Zeitungen knapp zwei Jahre später rechneten, waren noch 18 Autos gemeldet. Aber zwei Autobesitzer hatten in der Zwischenzeit ein Elektroauto gekauft. Damit katapultierten sie Schelten auf Platz zwei aller Schweizer Gemeinden.

Entgegen der Behauptung der «Berner Zeitung» hat der angebliche Elektroauto-Boom in Schelten nichts mit dem Reichtum der Einwohner zu tun. Denn der nördliche Berner Jura ist keine Gegend, in die es besonders viele reiche Leute zieht.

Mehr Autos als Einwohner in Bannwil

Anders liegt der Fall in Bannwil im Oberaargau, einer Region im Nordosten des Kantons Bern. Die Gemeinde ist mit knapp 700 Einwohnern zwar ebenfalls klein, aber doch deutlich grösser als Schelten. Auffallend: In Bannwil waren fast 900 Autos gemeldet. Also deutlich mehr, als Bannwil Einwohner hat. Zwei neue Elektroautos haben daher – anders als in Schelten – kaum Einfluss auf den prozentualen Elektroauto-Anteil.

Aber: Bannwil ist der Hauptsitz der Firma Carvolution. Sie ist auf die Dauervermietung von Autos spezialisiert. Sie hat in ihrer Flotte einen hohen Elektroauto-Anteil. Auch wenn sie die Autos vermietet, bleibt sie die Halterin. Daher der hohe statistische Elektroauto-Anteil in Bannwil.

Screenshot 2025-09-09 at 17-47-32 Grosse regionale Unterschiede Wo es in der Schweiz am meisten Elektroautos gibt Berner Zeitung

Auffallend auch: Auf den Plätzen vier und sechs stehen Saas-Fee VS und Zermatt VS. Nicht weil deren Einwohner besonders umweltbewusst wären, sondern weil Autos mit Verbrennungsmotoren in den Dorfkernen verboten sind.

Die Beispiele zeigen die Grenzen des Datenjournalismus auf. Es ist zwar eindrücklich, welche Zahlen und Statistiken sich mittlerweile ohne grossen Aufwand verarbeiten lassen. Aber der kritische Blick auf die ermittelten Zahlen bleibt trotzdem unerlässlich.

Die vielen Katzen in Bernex

Das zeigte Infosperber auch anhand von Katzen auf. Die Tamedia-Zeitungen hatten errechnet, «wo die meisten Büsis leben» (Bezahlschranke). Ergebnis: «Anteilsmässig am meisten Tiere leben in Bernex im Kanton Genf» – nämlich sagenhafte 62 Katzen pro 100 Einwohner. Der Grund für die hohe Katzendichte: Der Genfer Tierschutzverein hat seinen Sitz in Bernex. Katzen, die ein neues Daheim gefunden haben, bleiben beim Tierschutzverein in Bernex registriert.



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Mit Statistiken und Grafiken sollten Medien besonders sorgfältig umgehen. Beispiele von Unstatistiken.

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