Kommentar

Das Gejammer über die «News-Deprivierten»

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung nutzt keine journalistischen Medien mehr. Radio, Fernsehen und Zeitungen sind selber schuld.

«News-Deprivation nimmt weiter zu – mit Folgen für die Demokratie.» So überschrieb die Universität Zürich gestern ihre Medienmitteilung zum neu erschienenen «Jahrbuch Qualität der Medien».

Der Begriff «Deprivation» stiess – obwohl kaum geläufig – bei vielen Medien auf Anklang. «Watson» titelte: «Darum wird ‹News-Deprivation› zur Gefahr für die Schweizer Demokratie.» Der «Tages-Anzeiger»: «Der Anteil News-Deprivierter hat sich seit 2009 verdoppelt.» Die «Andelfinger-Zeitung»: «News-Deprivation als Gefahr für Schweizer Demokratie.»

«Deprivation» – das ist ein Fachbegriff aus der Psychologie. Er bedeutet: Mangel, Verlust, Entzug von etwas Erwünschtem, Liebesentzug. Und er bedeutet auch: Absetzung eines katholischen Geistlichen. Und da liegt das Problem. Viele Radiohörer, Fernsehzuschauer und Zeitungsleser werden das Wort nicht verstehen. Und wenn, dann nur aus dem Zusammenhang.

Kommt hinzu: Das Wort ist falsch angewendet. Niemandem werden Nachrichten vorenthalten. Wer keine journalistischen Medien nutzt, tut das freiwillig. Es ist kein Entzug, sondern ein Verzicht.

Doch viele Journalisten scheinen sich gerne so auszudrücken, dass sie ihren Kollegen gefallen – und auch sich selbst. Sie bedienen sich einer Sprache, die ein schöner Teil ihres Publikums nicht versteht. Sie scheinen sich kaum in ihre Leser, ihre Zuschauer, ihre Zuhörer versetzen zu können. Das ist eine Schwäche vieler Schweizer Medienschaffender. Und mit ein Grund dafür, dass viele Leute keine journalistischen Medien mehr nutzen.

Dazu zwei Beispiele aus dem neusten «Magazin», das vielen Zeitungen des Tamedia-Verlags beiliegt. Zwei Passagen aus einem Artikel über Indien waren in grosser Schrift hervorgehoben. Vermutlich, weil sie besonders wichtig waren oder weil sie den «Magazin»-Machern besonders gut gefielen. Sie lauteten:

  • «Nur 69 Prozent der Frauen sind alphabetisiert, im Global Gender Gap Index liegt Indien auf Platz 131 von 148.»
  • «Das Problem rechter Kritik an Identitätspolitik ist: Sie lehnt die Idee ab, dass der Staat aktiv eingreifen muss, um Gerechtigkeit zu schaffen.»

Wer die zweite Passage nach einmaligen Lesen versteht – der bekommt 100 Punkte. Und auch die erste ist bestens geeignet, den Leuten das Lesen zu verleiden.

Doch zurück zu den Leuten, die keine journalistischen Medien mehr nutzen: Auch die «Tagesschau» berichtete in ihrer Abendausgabe über das Jahrbuch der Universität Zürich. In einem kurzen Beitrag war vier Mal von «Deprivierten» die Rede, und in einer Grafik zeigte die «Tagesschau» die «Zahl der News-Deprivierten». Im gleichen Beitrag erklärte Pia Guggenbühl, Direktorin des Schweizerischen Verlegerverbands, dass die Verleger die «User-Needs» vermehrt in den Vordergrund stellen müssten.

Wer sich so ausdrückt, der foutiert sich ganz offensichtlich um die Bedürfnisse der Leser.

Aber auch die Universität Zürich ist nicht besser. Ausgerechnet sie, die beklagt, dass die Leute nicht mehr Nachrichten lesen, hören und schauen, macht es den Leuten schwer. In der eingangs erwähnten Medienmitteilung schreibt sie: «Fast die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz (46,4 Prozent, + 0,7 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) zählt 2025 zu den ‹News-Deprivierten›, also Personen, die keine oder kaum Nachrichten nutzen – und wenn, dann hauptsächlich über Social Media.»

Klammern, Zahlen, Kommastellen, Prozente und Prozentpunkte – schlechter kann man fast nicht formulieren.


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Eine Meinung zu

  • am 28.10.2025 um 11:38 Uhr
    Permalink

    In meinen Augen ist der beschriebene Zustand im Artike,l nur ein Nenbenschauplatz. Wer die Leistung der meisten Meisten Medien in den letzten Jahren kritisch beurteilt,wird andere Gründe finden. Zu den grossen Themen Pandemie, Ukraine- und Gaza Krieg war die vorherrschende Berichterstattung etwas zwischen schlecht bis katastrophal, ganz sicher einseitig. Heutzutage dominiert der sogenannte Haltungsjournalismus,der das kann man unterdessen klar erkennen, in die Sackgasse führt. Mit seinem übertrieben Moralismus,kann er Realitäten kaum mehr bennen und ist so für viele Menschen nur noch ein Ärgernis. Erstaunlicherweise sind ja viele Vorwürfe schon länger bekannt, zum Beispiel dass beim Srf konservative Ansichten einen schweren Stand haben und deshalb häufig mit negativen Unterton, wenn überhaubt, darüber berichtet wird. Trotzdem ändert sich nichts, denn die Verantwortlichen sind schon zu fest in ihrer Bubble gefangen.

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