Kommentar

Auch ich bin ein News-Deprivierter

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  Die Jungen lesen keine Zeitung mehr. So lautet die Klage seit Jahren. Doch warum sollten sie?

«Die Zahl der Nachrichten-Abstinenten – der sogenannten News-Deprivierten – ist in der Schweiz auf rekordhohe 46 Prozent angestiegen», schrieben die Tamedia-Zeitungen letzten Herbst. Sie bezogen sich dabei auf eine Studie der Universität Zürich. Diese hatte auch ergeben, dass das Problem bei den Jungen besonders akut sei. Sie nutzen nicht einmal mehr neue Medien wie Facebook als Informationsquelle.

46 Prozent also, die sich nicht mehr für Nachrichten interessieren. «Die Zahl klingt erschreckend, und sie ist es auch», hielt der Verlegerverband fest. «Wir Medien, aber auch wir als demokratische Gesellschaft, sollten schnellstmöglich herausfinden, was da grad wirklich passiert.» Denn: «Wenn tatsächlich jedem zweiten Menschen in der Schweiz unsere Welt einfach egal wäre, dann wäre das wirklich verheerend.»

Mir ist die Welt nicht einfach egal – aber ich gehöre auch zu den News-Deprivierten. Lassen Sie mich das kurz mit einem Wochenrückblick erklären (ich bin Abonnent der «Berner Zeitung», aber bei anderen Zeitungen ist es ähnlich):

Montag

Kurz nach 11 Uhr bricht im Berner Tierspital ein Brand aus. Es kommt zu mehreren Explosionen. Die Polizei sperrt grosse Teile des Länggassquartiers. Das Radio ruft die Bevölkerung dazu auf, Fenster und Türen zu schliessen und die Häuser nicht zu verlassen. Die Rauchsäule ist bis weit in die Vorortsgemeinden zu sehen. Eine grosse Sache.

Spätabends Schweizer Zeit trifft sich Donald Trump in Washington mit Wolodimir Selenski, Friedrich Merz, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron, Keir Starmer, Alexander Stubb und Mark Rutte. Sie sprechen über die Zukunft Russlands und der Ukraine.

Dienstag

Ich lese die «Berner Zeitung». Vom Treffen in Washington finde ich so gut wie nichts. Im Wesentlichen erfahre ich: «Der ukrainische Staatschef hat dazugelernt: Selenski trägt einen schwarzen Anzug.»

Zum Brand im Tierspital hat es nur eine Kurzmeldung. Obwohl die Redaktion viel Zeit hatte. Der Brand war ja schon am späten Montag Vormittag ausgebrochen.

Ich fühle mich News-depriviert.

Mittwoch

Auf der Titelseite finde ich ein grosses Bild vom Brand. Im Zeitungsinnern einen halbseitigen Artikel. Ich lese: «Der Boden ist bedeckt von einer schwarzen Schicht aus Kohle und Asche, darin wühlen am Dienstagmittag zwei Polizisten der Spurensicherung. Nur die neongelben Streifen auf ihren schwarzen Jacken und Masken leuchten zwischen der Brandruine hindurch.»

Ich weiss zwar jetzt, dass es auf den schwarzen Jacken neongelbe Streifen hat. Aber ich fühle mich auch am Mittwoch News-depriviert.

Auch wenn ich jetzt – am übernächsten Tag – nachlesen kann, was am Gipfel in Washington herausgekommen ist – oder eher: nicht herausgekommen ist.

Am Abend spielt übrigens der FC Basel um den Einzug in die Fussball-Champions-League. Und in Lausanne tritt die Leichtathletik-Weltelite an der «Athletissima» an.

Bereits davor hatte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider an einer Medienkonferenz bekannt gegeben, dass es um die AHV viel besser stehe, als der Bund stets prognostiziert hatte. Die eigentliche Nachricht mit Sprengkraft findet sich in den Unterlagen. Aus einer unübersichtlichen Tabelle geht hervor, dass die AHV auch ohne Zusatzfinanzierung für die 13. Rente bis 2040 stattliche Gewinne schreiben wird. Das Vermögen könnte auf 70 Milliarden anwachsen. Damit erweist sich die jahrelange Panikmache von Behörden und Bürgerlichen als verfehlt.

Donnerstag

Brav gibt die «Berner Zeitung» wieder, was Baume-Schneider am Vortag verkündet hatte. Das wirklich Interessante, das in den Unterlagen zu finden gewesen wäre, finde ich nirgends.

Im Sportteil hat es einen ganzseitigen Bericht über eine Mountain-Bike-Zeitschrift und deren Verleger. Aber über das Spiel des FC Basel lese ich nichts. Und über das Leichtathletik-Meeting in Lausanne auch nicht.

Ich fühle mich abermals News-depriviert.

In Bratislava spielen die Young Boys, deren Hofberichterstatterin die «Berner Zeitung» ist, um die Teilnahme an der Fussball-Europa-League.

Freitag

«Nackt gut aussehen, ist die grösste Motivation.» So lautet der Titel auf der ersten Sportseite. Im Artikel geht es um Hyrox, einen neuen Fitnesstrend. An Wettkämpfen gibt es abseitige Disziplinen wie einen Lauf über 200 Meter mit 16 Kilo Gewicht in jeder Hand.

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«Nackt gut aussehen, ist die grösste Motivation»: Qualitätsjournalismus, wie ihn die «Berner Zeitung» versteht.

Und ja: Das Resultat des FC Basel steht auch in der Zeitung. Und ein Artikel über das Leichtathletik-Meeting in Lausanne. Nach zwei Tagen.

Das Spiel der Young Boys vom Vorabend fehlt jedoch. Ich fühle mich abermals News-depriviert.

Samstag

Unter dem Titel «Monstergrätschen und Bedia-Tor: YB beendet europäische Niederlagenserie» erscheint zwei Tage nach dem Spiel der Matchbericht.

Er interessiert mich, ehrlich gesagt, nicht mehr.

Fazit

Ich finde den Ausdruck News-depriviert doof. Es ist die Kombination aus einem Anglizismus und einem Fremdwort, die schwer verständlich ist. Die Forscher der Uni Zürich wollen damit sagen, dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung keine Nachrichten mehr konsumiert. Freiwillig. Und absichtlich.

«Deprivation» bedeutet aber laut duden.de «Mangel», «Verlust» und «Entzug von etwas Erwünschtem». Damit haben die Forscher – wenn auch nicht mit Absicht – das eigentliche Problem benannt: dass nämlich auch jene, die sich für Nachrichten interessieren würden, unter einem «Mangel», «Verlust» und «Entzug von etwas Erwünschtem» leiden.

Weiterführende Informationen


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12 Meinungen

  • am 24.08.2025 um 15:18 Uhr
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    News-depriviert bedeutet ja nicht, dass keine Zeitungen (gedruckte) mehr gelesen werden. Print hat das Rennen um Aktualität weitgehend aufgegeben. Freiwillig. Redaktionsschluss irgendwann um 18 Uhr, Druckbeginn 20 Uhr … Interessant wäre: Was war online zu haben zu all den Ereignissen? Irgendwo dürfte da etwas zu finden gewesen sein. Vielleicht kann man sich mit einer Print-Zeitung durchaus noch informieren. Einfach nicht aktuell. Dafür vertieft?

  • am 24.08.2025 um 16:14 Uhr
    Permalink

    Nur Gruftis lesen noch Zeitung, meist aus reiner Gewohnheit. Und diese Uni-Studien sind Teil des Problems, sie haben die wirklichen Medienprobleme nie klar benannt.

    • am 25.08.2025 um 11:22 Uhr
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      Und die wären?

  • am 25.08.2025 um 11:32 Uhr
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    Mir geht es beim Lesen der Zeitungen auch so wie dem Autor. Deshalb suche ich mir die für mich wichtigen Informationen aus einem Cocktail von etwa 20 ganz verschiedenen Newslettern zusammen, von denen einige, nicht alle, gratis sind. Ich habe weder Zeit noch Lust, Medien wie z.B. den Tagesanzeiger oder die NZZ zu lesen und zu finanzieren, von denen ich vielleicht einen Zwanzigstel oder Fünfzigstel der für mich wichtigen Infos erhalten würde, zumal das Radio, das ich sowieso (zwangs)finanziere, ähnliche, oft propagandistisch gefärbte Mainstream-Mitteilungen übermittelt und – noch bemerkenswerter – ganz Aehnliches weglässt.

  • am 25.08.2025 um 11:41 Uhr
    Permalink

    Der Author hat vollkommen recht. Wenn der Leser einige hundert (bis 900.00) Franken für eine Tageszeitung bezahlt, hat er Anspruch auf aktuelle News, Berichte und Kommentare. Die News von 2 Tagen sind eben keine News mehr.
    Wir haben die TZ (AZ Medien) abonniert und lesen diese regelmässig. Sonst könnten wir ja gleich nur noch Google News und SRF News lesen. Damit deckt man gut 80 % aller Artikel ab. Die Verlage sind mehr an der Gewinnmaximierung interessiert als an den Lesern, dabei sollten alle Stockholder (Leser, Aktionäre, Angestellte etc) gemeinsam profitieren. Die Zeitung muss einen Mehrwert (keinen Minderwert) leisten. Dann wird auch die Zeitung gekauft. In meiner Jugend wurde die Zeitung 3 mal pro Tag gedruckt und von der Post morgens, mittags und abends verteilt. Das war ein Mehrwert und jeder Franken war gut investiert.
    Dafür war der maximale Gewinnanspruch in Fr. jährlich 10 % mehr nicht so wichtig. Reichweite war eine Maxime. Heute ist Klickbaiting die Maxime.

  • am 25.08.2025 um 12:52 Uhr
    Permalink

    Ich schaue neben täglichem Lesen von Infosperber regelmässig The Duran, Due Dissidence, Geopolitical Economy Report und ab und zu Programme von Professoren der Weltpolitik wie Neutrality Studies des schweizer Professors Pascal Lottaz oder die Sendung von Prof. Glenn Diesen. Das alles ist kostenlos auf YouTube erhältlich, und in unzensierter Version auf Rumble. Die hoch detaillierten Analysen dauern mehrere Stunden pro Tag, wenn man sie denn alle in Originalgeschwindigkeit hören will, sind auf Englisch, und bestätigen sich dadurch, dass die meisten Vorhersagen in genannten Kanälen früher oder später eintreffen – im Gegensatz zu allen Schweizer Traditionsmedien, welche alle praktisch identische Sichtweisen haben auf internationale Themen. Ich bin «News depriviert» und wesentlich besser informiert als Zeitungsleser der Schweiz es sind.

    • Favorit Daumen X
      am 25.08.2025 um 14:13 Uhr
      Permalink

      Das Video-Portal «Rumble» hat Risikokapital von den beiden libertären Neokonservativen Milliardären Peter Thiel und J.D. Vance erhalten. Die Inhalte sind mit besonderer Vorsicht aufzunehmen.

      • am 25.08.2025 um 15:53 Uhr
        Permalink

        Rumble ist doch aber lediglich eine Video-Plattform, die haben keinen Einfluss auf die Kanäle und Inhalte. Sie könnten dort problemlos ein Infosperber-TV betreiben. Glenn Greenwald ist z.B. ein bekannter Kanal auf Rumble. Die libertären Milliardäre (Thiel und Vance sind keine Neokonservativen) sind dort Investoren, weil Youtube in den letzten Jahren viele kritische Inhalte löschte. Letztlich gehören aber faste alle US-Plattformen irgendwelchen Milliardären, inklusive Google und Youtube oder Facebook und Twitter. Im Übrigen gibt es auf Rumble immer noch eine gewisse Moderation, für noch weniger Zensur muss man zu Bitchute oder Odyssee.

      • am 25.08.2025 um 15:56 Uhr
        Permalink

        Warum sind die Inhalte von einem Portal mit libertärem Kapital dahinter vorsichtiger bzw. mit besonderer Vorsicht aufzunehmen als bei Portalen bspw. mit linkem Hintergrund?

        • am 26.08.2025 um 07:53 Uhr
          Permalink

          Dass Thiel und Vance ihre eigene Agenda verfolgen, sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben … Bei Musk und X weiss man weniger, was dahinter abgeht. Auf jeden Fall hat sich die Meinungsvielfalt auf X ziemlich reduziert in letzter Zeit. Aber Medien bleiben Medien, Kapital ist immer dabei. Und ein Kanal, der gratis konsumiert werden kann, ist nicht unbedingt besser als einer, der abonniert werden muss. Und Medien abzuqualifizieren, nur weil sie gleiche oder ähnliche Perspektiven zeigen wie andere, ist auch nicht unbedingt eine gute Idee.

        • am 27.08.2025 um 07:34 Uhr
          Permalink

          «Auf jeden Fall hat sich die Meinungsvielfalt auf X ziemlich reduziert in letzter Zeit.»

          Im Gegenteil. Musk hat dafür gesorgt, dass deutlich weniger Zensur erfolgt. Das können Sie gut oder schlecht finden, die Meinungsvielfalt ist aber definitiv höher als vorher.

          Ansonsten einverstanden.

      • am 26.08.2025 um 04:24 Uhr
        Permalink

        Dann kann man die Inhalte auch auf YouTube ansehen, dort ist Thiel explizit nicht investiert. Oder auf Locals. Rumble ist ja nur eine der Plattformen. Ich habe einige Kanäle genannt, die ich schaue. Keiner von ihnen ist positiv gegenüber Trump oder Biden, von der Leyen oder Netanyahu. Sie sind übrigens auch nicht explizit pro-China. Lottaz lebt in Japan, Diesen in Skandinavien, Duran ist Britisch-Griechisch. Glenn Greenwald ist auch sehr relevant, da stimme ich James Meier zu.
        Bezüglich «linken» Portalen: da ist mir keines bekannt. Welche wären das?

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